Düsseldorf. Eltern in Nordrhein-Westfalen müssen Geduld haben beim Kita-Ausbau. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds NRW, Bernd Jürgen Schneider, bezweifelt, dass der Rechtsanspruch für jedes dritte Kind unter drei Jahren tatsächlich im Sommer 2013 kommt.
Die Kommunen klagen über explodierende Sozialkosten. Werden die Gemeinden zum Ausfallbürgen für Bund und Land?
Bernd Jürgen Schneider: Die Kommunen sind es bereits. Bund und Land haben den Städten immer mehr Aufgaben übertragen - ohne echten finanziellen Ausgleich. Jedes Jahr steigen die Sozialkosten bundesweit um rund 2,4 Milliarden Euro. Diese Mehrausgaben können die Gemeinden auch durch heftiger sprudelnde Steuerquellen nicht ausgleichen.
Bund und Land werden nicht herumkommen, einen Teil der Sozialkosten bei Pflege, Behinderten, Kindern und Arbeitslosen zu übernehmen. Denn das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, welche die Kommunen überfordern.
Steht die Erfüllung des Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für jedes dritte Kind unter drei Jahren auf der Kippe?
Schneider: Es wird sehr schwer, diesen Rechtsanspruch punktgenau zum 1. Juli 2013 zu erfüllen. Aber die Kommunen in NRW arbeiten hart daran. Man darf nicht vergessen: bis Ende 2010 wussten die Städte und Gemeinden nicht einmal, wer ihnen den von oben verordneten Ausbau bezahlt. Nach einem Richterspruch hat die Landesregierung eingelenkt.
Das Land wird die Ausbaukosten sowie die Betriebskosten erstatten. Wir wissen auch noch nicht, wie groß der Bedarf an Betreuungsplätzen sein wird. Wahrscheinlich wird es ohne Improvisation seitens der Kommunen und etwas Geduld seitens der Eltern nicht gehen.
Hohe Personal- und Pensionskosten belasten die kommunalen Haushalte. Haben die Städte zu lange über die Verhältnisse gelebt? Muss mehr Personal gespart werden?
Schneider: In den 1970er- und 1980er-Jahren haben die Kommunen eine leistungsfähige, aber auch teure Infrastruktur aufgebaut. Dann kam die deutsche Einheit. Deren Herausforderungen und Folgekosten konnte niemand vorhersehen. Heute müssen die Kommunen bei ihren Bürgern um Verständnis werden, dass vieles eingeschränkt oder geschlossen wird. Am Personal haben die Gemeinden bereits gespart. Seit mehr als zehn Jahren stagniert die Beschäftigtenzahl oder geht zurück - und das bei wachsenden Aufgaben. Beispiel Kinderbetreuung: Hier müssen viele Fachkräfte neu eingestellt werden. Gleichzeitig soll die Betreuung besser werden. Das geht nicht ohne attraktive Entlohnung, die aber wieder Geld kostet.
Mit dem Stärkungspakt Stadtfinanzen will Rot-Grün in NRW die Finanzmisere der ärmsten Kommunen beheben. Sollen steuerstarke Kommunen einen Soli leisten?
Schneider: Wir sind nicht grundsätzlich gegen einen Soli der steuerstarken Gemeinden. Aber er muss seinen Zweck erfüllen. Dazu gehört, dass dieses Geld zur dauerhaften Entschuldung der Empfänger-Kommunen beiträgt. Bei der jetzigen Konstruktion des Stärkungspaktes ist das nicht zu erkennen - er ist schlicht und einfach zu schwach dotiert. Außerdem darf nicht passieren, dass die mit Soli belasteten Gemeinden selbst in Finanznot geraten. Gerade die Gefahr besteht aber bei den derzeit diskutierten Modellen.
Die Energiewende erfordert neue Stromtrassen, Windräder und Pumpspeicherwerke. Vor Ort entzündet sich oft Widerstand. Müssen Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden?
Schneider: Unser Planungsrecht ist nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen bei der Umsetzung von Großprojekten - und solche gibt es auch im Bereich erneuerbare Energien - in der Tat schneller werden. Das soll aber nicht heißen, dass wir die Bürger ausschließen wollen. Die Menschen sind heute aufgrund von Handy und Internet viel besser informiert und wollen mitentscheiden.
Da gibt es Sinn, die Kommunikations- und Beteiligungsverfahren über das Internet intensiver zu nutzen. Beim Bürgerhaushalt haben wir da schon gute Erfahrungen gemacht. E-Partizipation kann dazu beitragen, bei großen Bauvorhaben rascher Konsens herzustellen.
Noch liegt das Zinsniveau niedrig. Tickt da eine neue Zeitbombe in den Gemeinden?
Schneider: Zinserhöhungen für laufende Kassenkredite könnten die Kommunen in arge Bedrängnis bringen. Aber nicht die Zinsen sind das Problem, sondern das gigantische Volumen der Kassenkredite: über 21 Milliarden Euro bei den NRW-Kommunen. Die Geldnot der vergangenen Jahre führt dazu, dass die Kämmereien immer mehr zu komplizierten Konstruktionen greifen, um die Zinsbelastung zu senken.
Dabei machen die Geschäftspartner die Risiken - siehe Zinsswaps - häufig nicht transparent. Wenn die Mehrzahl der Kommunen finanziell gesund ist, können ihnen Zinsschwankungen nicht viel anhaben.