Istanbul/Paris. Frankreich hat einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der das Leugnen des Völkermords an den Armeniern durch die Türkei unter Strafe stellt. Die Türkei selbst spricht nicht von Völkermord und hat als Reaktion auf das Gesetz ihren Botschafter abgezogen. Jetzt wirft der türkische Regierungschef Frankreich im Gegenzug Völkermord in Algerien vor.
Das französische Völkermord-Gesetz wird zur Zerreißprobe für die Beziehungen zur Türkei: Der türkische Regierungschef Tayyip Recep Erdogan warf Frankreich am Freitag vor, als Kolonialmacht in Algerien selbst Völkermord begangen zu haben. Die Nationalversammlung in Paris hatte zuvor einen Gesetzentwurf verabschiedet, welcher das Leugnen des "Völkermordes" an den Armeniern durch die Türkei bestraft.
Schätzungsweise 15 Prozent der algerischen Bevölkerung seien von Franzosen ab 1945 "massakriert" worden, sagte Erdogan in Istanbul. "Es handelt sich um einen Völkermord." Der Vater des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sei 1945 als Fremdenlegionär in Algerien gewesen und sollte in der Lage sein, seinem Sohn von "Massakern" zu erzählen, sagte er.
Erdogan macht Sarkozy Vorwürfe
Während des Algerienkriegs um die Unabhängigkeit der Kolonie waren zwischen 1954 und 1962 nach algerischen Angaben mehr als eine Million Menschen getötet worden. Französische Historiker sprechen dagegen von etwa 250.000 Toten. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es in dem nordafrikanischen Land Kämpfe zwischen algerischen Rebellen und dem französischen Militär gegeben.
Erdogan warf dem französischen Präsidenten vor, aus wahltaktischen Gründen "Hass gegen Muslime und Türken" zu schüren. Sarkozy stellt sich im Frühjahr zur Wiederwahl. In dem Völkermord-Gesetz sieht Ankara deshalb ein Manöver des Präsidenten für die etwa 500.000 armenischstämmigen Bürger in Frankreich.
Schlechter Zeitpunkt für die Abstimmung über das Gesetz
"Frankreich entscheidet über seine Politik als souveräner Staat", sagte Sarkozy in Prag, wo er an der Beisetzung des früheren tschechischen Präsidenten Vaclav Havel teilnahm. Sein Land müsse bei Gesetzesvorhabenden "nicht um Erlaubnis fragen".
Außenminister Alain Juppé versuchte dagegen, die Wogen zu glätten. "Einige Erklärungen" im Streit um das Gesetz seien "übertrieben" gewesen, sagte er. Zugleich räumte er ein, dass die Abstimmung über das Genozid-Gesetz "ohne Zweifel zeitlich schlecht festgelegt" gewesen sei.
Die französische Nationalversammlung hatte am Donnerstag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der das Leugnen eines in Frankreich anerkannten Völkermordes unter Strafe stellt. Dazu zählt das Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich zwischen 1915 und 1917. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin lehnt dafür den Begriff Völkermord ab und setzt die Opferzahl deutlich niedriger an. Die Verabschiedung durch den französischen Senat steht noch aus.
Botschafter in die Türkei zurückbeordert
Aus Protest gegen den Beschluss der Nationalversammlung hatte Ankara am Donnerstag seinen Botschafter zu "Konsultationen" aus Paris zurückbeordert und die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder auf Eis gelegt. Botschafter Tahsin Burcuoglu flog am Freitagmorgen in seine Heimat. "Es gibt Grenzen. Ein Land wie die Türkei kann so nicht behandelt werden", sagte Burcuoglu. "Wir sind wirklich sehr traurig. Die französisch-türkischen Beziehungen verdienen das nicht." (afp)