Paris. . Frankreich stellt die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe. Die Türkei zieht daraufhin umgehend den Botschafter ab. Passiert das Gesetz auch die zweite Hürde im Senat, wird die Leugnung des türkischen Völkermords an der armenischen Bevölkerung zur Straftat.
Draußen vor dem „Palais de Bourbon“ schwenken rund tausend überwiegend türkischstämmige Demonstranten schon im Morgengrauen die rote Fahne mit dem Halbmond, die türkische Flagge. Drinnen billigen die Abgeordneten der Nationalversammlung wenig später ein Gesetzesvorhaben, das die Beziehungen zwischen Ankara und Paris schwer belastet.
Passiert das Gesetzesvorhaben auch die zweite Hürde im Senat, wird die Leugnung des türkischen Völkermords an der armenischen Bevölkerung zur Straftat. Der Entwurf sieht ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von bis zu 45.000 Euro vor.
Türkei warnt vor irreparablen Schäden
Der Streit zwischen Ankara und Paris schwelt schon seit Tagen, an diesem Donnerstag ist richtig Feuer unterm Dach. Immer mehr rückt dabei ein Mann in den Mittelpunkt des Konflikts, der mit dem eigentlichen parlamentarischen Prozedere nur indirekt zu tun hat: der französische Staatspräsident. In der vergangenen Woche hatte Ankaras Regierungschef Tayyip Erdogan Nicolas Sarkozy einen Brief geschickt, in dem er vor „irreparablen Schäden“ warnte und gleichzeitig mit empfindlichen „Sanktionen“ drohte.
Der Maßnahmenkatalog reicht offenbar vom Einfrieren diplomatischer Beziehungen bis hin zu wirtschaftlichen Repressalien gegen französische Firmen. Unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes macht Ankara am Donnerstag die ersten Drohungen wahr: Die Türkei zieht ihren Botschafter aus Paris ab und stoppt die politische und militärische Kooperation.
Sarkozy wollte angeblich nicht mit seinem Kollegen Gül telefonieren
Am Dienstag wurde auch Staatspräsident Abdullah Gül per Telefon im Elysée-Palast vorstellig und begehrte zu seinem Amtskollegen durchgestellt zu werden. Doch Medienberichten zufolge weigerte sich Nicolas Sarkozy, an den Hörer zu gehen. Einen „Mangel an Respekt“ hielt Ankara daraufhin dem französischen Staatschef vor.
Die vorerst letzte Salve in Richtung Paris schoss jetzt der türkische Außenminister ab. In einem Interview mit der Zeitung „Le Monde“ sagte Ahmet Davutoglu: „Dieses Gesetz ist ein Angriff gegen unsere nationale Würde und gegen die Geschichte der Türkei.“ Zur Erinnerung: Beim selben Konflikt 2006 warf die Türkei französische Firmen kurzerhand aus dem Gaspipeline-Projekte „Nabucco“ und untersagte französischen Jets, türkisches Territorium Richtung Afghanistan zu überfliegen.
Sprunghafter französischer Präsident
Bereits vor zehn Jahren hatte Frankreich die Massaker und Vertreibungen, die während der osmanischen Herrschaft 1915/16 an Armeniern begangen wurden, per Gesetz als Völkermord eingestuft. Bei den Konflikten während des Ersten Weltkriegs sind nach armenischer Sicht zwischen einer und eineinhalb Millionen Armenier ums Leben gekommen. Die türkische Seite bestreitet nicht, dass Armenier ums Leben kamen. Allerdings wird die Opferzahl weitaus niedriger angegeben – mit 200.000 bis 300.000 Menschen. Zudem wehrt sich Ankara dagegen, dass es sich um einen Völkermord gehandelt habe. Vielmehr ist von „tragischen Ereignissen“ die Rede.
Was im aktuellen Konflikt irritiert, ist die Sprunghaftigkeit des französischen Staatschefs. Noch in im Frühjahr hatte sich Nicolas Sarkozy gegen das jetzt verabschiedete Genozid-Gesetz ausgesprochen – wohl aus Rücksicht auf die türkische Brückenkopf-Funktion im Nahen Osten. Zwar lehnt Sarkozy die EU-Mitgliedschaft der Türkei ab, gleichzeitig sucht er den Schulterschluss mit dem einflussreichen G-20-Mitglied und Nato-Partner. Schließlich spielt Ankara eine Schlüsselrolle im Syrienkonflikt sowie beim Versuch, den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen.
Wahltaktische Erwägungen
Was mag Nicolas Sarkozy also zu dem Sinneswandel bewogen haben? Ganz offenbar wahltaktische Erwägungen. Denn jetzt, vier Monate vor der Präsidentenwahl, scheint ihm aufzugehen, wie wichtig die Stimmen der 500 000 armenischstämmigen Franzosen für seine höchst gefährdete Wiederwahl sein könnten.