Peking. Nach dem Tod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il rückt sein Sohn Kim Jong Un an die Spitze. Das Atomprogramm bleibt ein Faustpfand und die Lebensversicherung der Kim-Dynastie. Eine Analyse der Situation in Nordkorea.

Der klobige Salonzug mit den dunkelgrün glänzenden Waggons, in dem Kim Jong Il (69) sein plötzlicher Herztod ereilte, ist ein Geschenk Chinas. Die Führung in Peking wusste um die labile Gesundheit ihres nordkoreanischen Verbündeten, hatte er sich doch 2008 nach einem Schlaganfall in einem chinesischen Hospital behandeln lassen. Seither zog der „geliebte Führer“, wie er sich von seinem darbenden Volk nennen ließ, ein Bein nach und hatte Schwierigkeiten beim Sprechen. Sein physischer Verfall war, wenn er sich denn öffentlich zeigte, nicht zu übersehen.

Der Atomstaat Nordkorea ist die letzte Bastion des Stalinismus und den Reformern in China mit ihrer dynamischen „sozialistischen Marktwirtschaft“ ein (teurer) Dorn im Auge. Versuche Chinas, in seinem Vasallenstaat ein Peking-genehmes Regime zu installieren und eine auch in chinesischen Augen unberechenbare, auf sture Planwirtschaft festgelegte Führung zu verdrängen, sind bislang gescheitert, dürften aber andauern. Denn im Reich der Mitte hat Kim Il Sungs ältester Sohn Kim Jong Nam Zuflucht gefunden. Der fiel daheim in Ungnade, nachdem er und seine Familie sich mit gefälschten Pässen in Tokio im Disneyland amüsieren wollten. Seither frönt der dem Alkohol zugeneigte Diktatoren-Spross im Exil dem Glücksspiel und scheint selbst seinen chinesischen Protegés für die Nachfolge zweifelhaft.

Der Lieblingssohn Kim Jong Un

Die läuft jetzt auf Kim Jong Ils Lieblingssohn Kim Jong Un zu. Ihn preisen Nordkoreas Staatsmedien als „großen Nachfolger“, ihm ist der Vorsitz des Beisetzungskomitees angetragen worden, unter seiner „weisen Führung“, las eine schwarzgewandete TV-Ansagerin mit tränenerstickter Stimme vom Blatt, „wird keine Macht der Erde den revolutionären Fortschritt der Partei, der Armee und der Bevölkerung aufhalten.“

Zu Gast in der verbotenen Stadt

weitere Videos

    Den Ausbau seiner Familiendynastie hatte Kim Il Sung seit über zwei Jahren planvoll eingeleitet. Zunächst ließ er die Oberste Volksversammlung einberufen, im Jahr darauf gar einen Parteitag – untrügliche Zeichen für den Umbau der Herrschaftsstrukturen. Er berief Choe Yong Rim zum neuen Ministerpräsidenten und - wichtiger noch – seinen Schwager Jang Song Taek (55) zum Vizechef des Nationalen Verteidigungsrates. Dieser im Volk verhasste Hardliner ist mit Kims Schwester, eine Vier-Sterne-Generalin, verheiratet, die dem Politbüro der Partei angehört. Dieses auf die Bajonette der Militärs gestützte bizarre Powerpaar bereitete mit Premierminister Choe den Transfer an Kim Jong Un vor, den sie in Pjöngjang den „jungen General“ nennen, denn er ist noch keine 30 Jahre alt.

    Im Klammergriff seines Onkels und seiner Tante

    Der Junior, formal an die Spitze Nordkoreas gehievt, wird wohl im Klammergriff seines Onkels und seiner Tante agieren. Jang Song Taek und seine Generalsgattin stehen für die beharrenden Kräfte in der kommunistischen Machtclique, die ihre Herrschaft mit eiserner Härte abzusichern trachtet, weil sie im Unterschied zu den öffnungsbereiten Kräften andernfalls einen Kollaps des Regimes fürchtet. Insofern werden die Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung gewiss getrübt durch eine noch nicht gesicherte Machtposition Kim Jong Uns.

    Kriegsdrohungen aus dem inneren Kreis

    weitere Videos

      Eigentlich wäre der pausbäckige Absolvent der Militärakademie, der seinem Großvater, dem Staatsgründer Kim Il Sung – gerüchteweise nach kosmetischen Korrekturen – ähnelt, für einen Wandel im abgeschotteten Nordkorea prädestiniert. Denn er hat – im Unterschied zur übergroßen Mehrheit seiner 24 Millionen Landsleute – wenigstens einen Zipfel der äußeren Welt gesehen: Die Schweiz. Lehrer und Mitschüler seines Internats in Bern, das er freilich als 15jähriger ohne Abschluss verließ, schildern den Youngster Kim als begabten Jungen, der sich für Basketball, Michael Jackson und amerikanische Action-Filme begeisterte. Neben Schwyzerdütsch soll er auch einigermaßen des Englischen mächtig sein.

      Doch gegen einen bevorstehenden Aufbruch Nordkoreas spricht trotz der anhaltend prekären Versorgungslage die Sorge der im Luxus lebenden militärischen und politischen Machtelite, die Macht aus der Hand zu geben. Das Atomprogramm bleibt dabei das Faustpfand und die Lebensversicherung der Kim-Dynastie. Experten der Wiener Atomenergiebehörde IAEO berichten, , dass Nordkorea mit bis zu 50 Kilogramm Plutonium über Material für vier Atombomben verfügt. Westliche Geheimdienste wollen von geplanten Tests für Raketen mit Reichweiten von über 12 000 Kilometern wissen. Zwei nukleare Sprengsätze hat Nordkorea bisher gezündet, den vorerst letzten 2009. Jeder Test kostet 300 Millionen Dollar. Die Parteizeitung „Rodong Sinmum“ behauptet, es sei möglich, eine kontrollierte Kernverschmelzung auszulösen. Damit könnte Nordkorea nicht nur einfache Atomsprengsätze, sondern auch thermonukleare Waffen wie die Wasserstoffbombe bauen. Kein Wunder, dass die Nachbarstaaten nervös auf Kim Jong Ils Tod reagieren und die Kurse an Asiens Börsen nach unten trudeln.

      Die koreanische Halbinsel war stets ein Spielball großer Mächte. Ihre Wiedervereinigung bleibt ein abstrakter Traum – selbst wenn sich die Reformer innerhalb der nordkoreanischen Machtelite von den kommenden Wahlen in Südkorea die Chance auf eine Annäherung versprechen. Doch die Führung in Pjöngjang wird sich auch unter dem Spross von Kim Jong Il von der Erkenntnis leiten lassen, dass die größte Gefährdung für ihren Machterhalt nicht von außen, sondern von innen droht.

      Eine neue Hungersnot bahnt sich an

      Im Staatsfernsehen werfen sich dieser Tage die Untertanen der Kims schluchzend auf den Boden und schreien ihre Trauer um den „geliebten Führer“ heraus. Dies sind in einer von der realen Welt abgeschotteten Diktatur, die die Hirne der Menschen verformt hat, nicht nur Trugbilder. Doch diese Menschen wissen auch, dass die staatlichen Lebensmittel-Zuteilungen nicht einmal ausreichen, um die Hälfte des täglichen Kalorienbedarfs zu decken. In diesem Winter bahnt sich wegen schlechter Ernten, ausgelaugter Böden und Überschwemmungskatastrophen eine neue Hungersnot an. Sechs Millionen Nordkoreaner, ein Viertel der Bevölkerung, sind laut Warnungen der UNO akut bedroht. Im nächsten Jahr, zum 100. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il Sung, hatte sein im Salonzug gestorbener Sohn dem Volk eine „wohlhabende Nation“ versprochen. Daraus wird fürs Erste nichts.

      Kim Jong Il ist gestorben

      Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Il ist tot. Er starb...
      Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Il ist tot. Er starb... © AP
      ...im Alter von 69 Jahren an Herzversagen.
      ...im Alter von 69 Jahren an Herzversagen. © AFP
      Kim Jong Il regierte sein Land als Diktator, hatte aber dennoch gute Kontakte...
      Kim Jong Il regierte sein Land als Diktator, hatte aber dennoch gute Kontakte... © AP
      ...ins Ausland. Zum Beispiel zu Russlands Premierminister Wladimir Putin. Oder auch...
      ...ins Ausland. Zum Beispiel zu Russlands Premierminister Wladimir Putin. Oder auch... © AP
      zu dessen Präsidenten Dmitry Medvedev. Doch selbst mit US-Politikern wie...
      zu dessen Präsidenten Dmitry Medvedev. Doch selbst mit US-Politikern wie... © AP
      ...der ehemaligen Außenministerin Madelaine Albrigth verkehrte Kim Jon Il.
      ...der ehemaligen Außenministerin Madelaine Albrigth verkehrte Kim Jon Il. © AP
      Sein Tod sei
      Sein Tod sei ""der größte Verlust für unserer Partei und der größte Trauerfall für unser Volk und Land", erklärte eine in schwarz gekleidete Nachrichtensprecherin im koreanischen Staatsfernsehen. © AP
      Im Jahr 2008 erlitt Kim vermutlich einen Schlaganfall. Zuletzt hatte er jedoch auf Fotos und Videoaufnahmen seiner jüngsten Reisen nach China und Russland sowie zahlreichen Inlandsreisen einen relativ rüstigen Eindruck hinterlassen.
      Im Jahr 2008 erlitt Kim vermutlich einen Schlaganfall. Zuletzt hatte er jedoch auf Fotos und Videoaufnahmen seiner jüngsten Reisen nach China und Russland sowie zahlreichen Inlandsreisen einen relativ rüstigen Eindruck hinterlassen. © AP
      Allerdings soll der Mann mit einer kolportierten Vorliebe für Zigaretten, Kognac und gutem Essen an Diabetes und Herzproblemen gelitten haben.
      Allerdings soll der Mann mit einer kolportierten Vorliebe für Zigaretten, Kognac und gutem Essen an Diabetes und Herzproblemen gelitten haben. © AP
      So wie Kim Jong Il die Macht in Nordkorea einst von seinem Vater Kim Il Sung übernommen hat, reicht er sie jetzt an seinen Sohn...
      So wie Kim Jong Il die Macht in Nordkorea einst von seinem Vater Kim Il Sung übernommen hat, reicht er sie jetzt an seinen Sohn... © AP
      ...Kim Il Un weiter. Dieser gilt als designierter Nachfolger Kim Jong Ils und hatte schon bislang mehrere wichtige Posten im Machtapparat inne.
      ...Kim Il Un weiter. Dieser gilt als designierter Nachfolger Kim Jong Ils und hatte schon bislang mehrere wichtige Posten im Machtapparat inne. © AP
      1/11