Essen/Berlin. . Die Vorgänge um die rechtsextreme Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Un­tergrund“ (NSU) werden immer bizarrer. Es gibt neue Hinweise auf Ermittlungspannen. Sogar staatliche Zahlungen an die Neonazis durch den Thüringer Verfassungsschutz soll es gegeben haben.

Nach Angaben eines Ex-Verfassungsschützers zahlte die Behörde 2000 D-Mark für neue Pässe an die NSU. Die Staatsschützer hätten sich davon Hinweise auf Aufenthalt und Tarnnamen der Bande versprochen. Doch der Plan ging schief. Das Trio besorgte sich zwar Pässe, tauchte danach aber ab. Der Verfassungsschutz bestreitet, dass das Geld bei dem mutmaßlichen Mördertrio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ankam.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, gab Fehler bei der Beobachtung der NSU zu. Man habe 2003 die Suche nach dem abgetauchten Terror-Trio viel zu früh eingestellt.

Pleiten, Pech und Pannen begleiteten den Umgang der Behörden mit der rechten Terror-Zelle NSU. Jetzt wurde ein neues Missgeschick bekannt: Offenbar wollte der thüringische Verfassungsschutz die Neonazi-Bande mit 2000 Mark unterstützen, damit sich Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 2000 neue Pässe besorgen konnten.

Laut „Bild am Sonntag“ hatte ein früherer Verfassungsschutz-Mitarbeiter diese unglaublich anmutende Geschichte am 6. Dezember vor der Kontrollkommission des Thüringer Landtages erzählt. Die Staatsschützer hätten um die Jahrtausendwende Aufenthaltsort und Tarnnamen der Bande ermitteln wollen. Der Plan ging nicht auf. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt besorgten sich neue Pässe – und verschwanden. Der Verfassungsschutz räumte gestern ein, dass das Trio 2000 Mark bekommen sollte. Es sei aber nicht dazu gekommen. Ein Mittelsmann habe das Geld selbst behalten.

Der Zeuge im Landtag soll noch ein pikantes Detail preisgegeben haben. Es geht um den Mann, der auch das Geld für die Pässe an die „NSU“ vermitteln sollte: Tino Brandt, NPD-Funktionär und V-Mann des Verfassungsschutzes in Thüringen. Brandt habe dem Verfassungsschutz drei Exemplare des antisemitischen Brettspiels „Pogromly“ für je 100 Mark verkauft. Das Geld floss angeblich an Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Auf dem Spielfeld sind Nazi-Symbole zu sehen und Hinweise auf Konzentrationslager.

Am Wochenende wurden weitere Hinweise auf Ermittlungspannen bekannt. Laut „Focus“ war den Verfassungsschützern zumindest Mitte 2000 das Versteck des Trios in Chemnitz bekannt. Ex-Landesverfassungsschutzpräsident Helmut Roewer hatte noch im November erklärt, die Fahndung nach der 1998 untergetauchten Bande sei „leider erfolglos“ gewesen.

Zudem deuten sich Verbindungen der Terrorzelle in andere Bundesländer an. Ermittlungen hätten ergeben, dass es in Rheinland-Pfalz eine weitere rechte Terror-Gruppe. gebe, so die „Frankfurter Rundschau“. Der Neonazi Malte R. habe Kontakt zur „NSU“ unterhalten. Die Behörden in Rheinland-Pfalz bestreiten dies. Sie wiesen auch Darstellungen zurück, Malte R. werde im Zusammenhang mit dem Brand in einem von Türken bewohnten Haus in Ludwigshafen im Jahr 2008 verdächtigt. Damals kamen neun Menschen ums Leben.

Auffällig ist die Gleichgültigkeit, mit der die Behörden jahrelang den Machenschaften der Thüringer Terror-Zelle begegneten: 1998 finden Ermittler in den Garagen Böhnhardts Rohrbomben mit Sprengstoff. Das Trio taucht ab. Die Staatsanwaltschaft erlässt aber keinen Haftbefehl. Als später der Generalbundesanwalt fragt, ob das Trio eine Terror-Vereinigung sein könne, sagt Thüringen: „Nein“.

Als zwischen 2000 bis 2006 bundesweit acht Migranten erschossen werden, kommen für die Landeskriminalämter viele Motive in Frage: Mafia, graue Wölfe, Drogen. Eine einzige Analyse der Sonderkommission „Bosporus“ legt Rechtsextremismus nahe. Diese Annahme wird verworfen.

Ein Streit in einer Innenministerkonferenz bildet den Höhepunkt der Ignoranz: Das Bundeskriminalamt bietet nach mehreren Morden an, sich in die Ermittlungen einzuschalten. Die Länder lehnen ab: „Wir machen das selbst“.

Verfassungsschützer bemerken 2010 im Internt das Erscheinen einer Musik-CD. Darin heißt es: „Neunmal hat er es jetzt schon getan. Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm... Neunmal hat er bisher brutal gekillt. Doch die Lust am Töten ist nicht gestillt.“ Die Behörden erkennen die Parallele zur Mordserie nicht.