Essen. Karl Theodor zu Guttenberg wird die EU-Kommissarin Kroes in Sachen Internet beraten. Doch was soll der Freiherr eigentlich genau machen? Netzaktivisten und -politiker sind ratlos. Ihre Befürchtung: Der US-Datenlobby ist mit der Besetzung ein einflussreicher Posten geschenkt worden.
Karl Theodor zu Guttenberg stößt derzeit auf wenig Gegenliebe. Seine Comeback-Versuche von Halifax über Zeit-Interview bis zu seinem neuen Posten als Internetberater der niederländischen EU-Kommissarin Neelie Kroes sind in den Medien zerrissen worden. Zu früh, zu eitel, zu selbstgerecht – so oder ähnlich werden seine Auftritte wahrgenommen.
Doch seine neue Stelle als EU-Internetberater kostet den Freiherr nicht nur Sympathiewerte, sie sorgt bei Netzaktivisten und Internetpolitiker für Entsetzen und große Sorge. Christopher Lang, Pressesprecher der Piratenpartei, versteht nicht „wie ein ehemaliger Zensor, jemand, der sich für die Vorratsdatenspeicherung stark gemacht hat, die Netzgemeinde vertreten soll“. Das Vertrauen zwischen Netzaktivisten und Guttenberg sei erheblich gestört „immerhin waren wir es, die seine Doktorarbeit entlarvt haben“. Zudem, davon ist Lang überzeugt, besitze Guttenberg „keinerlei Kernkompetenzen“ im Bereich Netzpolitik.
Netzpolitik liegt Guttenberg tatsächlich am Herzen – doch besonders freiheitlich waren seine Ansichten bisher nicht
Das sieht auch padeluun, Gründer und Vorsitzender des Datenschutzvereins FoeBud sowie sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft im Bundestag, ähnlich. Guttenbergs neue Anstellung sei nicht mehr als ein „Praktikum mit Reisekostenzuschuss“, fachlich befähige ihn überhaupt nichts zum Netzberater. „Da gibt es andere Politiker in Deutschland, die man hätte berufen können, Dorothee Bär (CSU), zum Beispiel.“ Doch Kroes hat sich für den geltungsbedürftigen Franken entschieden. Warum? Das Thema Netzpolitik liegt Guttenberg tatsächlich am Herzen, doch in einer völlig anderen Weise, als es die liberale Kommissarin Neelie Kroes bislang verfolgte.
Guttenberg ist als nicht näher definierter „herausragender Staatsmann“ Mitglied des amerikanischen Thinktanks „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS), einer den Republikanern nahe stehenden Denkfabrik in Washington. Immer wieder gab es zwischen der EU und den USA Konflikte über die Weitergabe von Daten zur Terrorismusbekämpfung. Nicht wenige befürchten nun, dass die Platzierung des Freiherren in Brüssel ein geschickter Coup der amerikanischen Datenlobby sein könnte. padeluun meint: „Guttenberg hat sich bisher klar auf eine Seite geschlagen; die der Überwachung und Kontrolle. Er ist als amerikanischer Lobbyist in Brüssel“.
Was soll der Freiherr als Internetberater eigentlich machen? Das weiß keiner so genau.
Das befürchtet auch Jan Philipp Albrecht, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt. Der Internetexperte hat die Berufung Guttenbergs zum Anlass für eine Anfrage an das EU-Parlament genommen. Albrecht will wissen, wie die Entscheidung zustande kam, welchen Mehrwert sich die Kommission vom Engagement des Freiherrn verspricht – und was der ehemalige Verteidigungsminister in seinem neuen Job denn überhaupt machen werde.
Eine Frage, die bisher niemand wirklich beantworten kann. Guttenberg soll sich im Sinne der „Guten“ einsetzen, die im arabischen Frühling für ihre Bürgerrechte kämpfen. Software und Hardware an Blogger verteilen, „einfache und hilfreiche Werkzeuge, um die Zensur zu umgehen“, so beschreibt Kroes das Aufgabenfeld ihres neuen Beraters. Denn: „Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eines der vordringlichsten Bürgerrechte in der Europäischen Union.“ Wie konkret Guttenbergs Engagement für die Freiheit der arabischen Welt aussehen soll, darüber zerbricht sich zum Beispiel Stephan Urbach den Kopf.
Urbach unterstützt den arabischen Frühling mit elektronischer Infrastruktur
Urbach, der sich auch in der Piratenpartei engagiert, macht seit Monaten das, was nun auch Guttenbergs Aufgabe werden soll. Mit „Telecomix“, einem losen Netzwerk von internationalen Computerfreaks, unterstützt er die Revolutionen im nahen Osten mit Know-How und Zensur-Umgehungs-Tricks. Als Aktivist des elektronischen Hilfsdienstes verschickt Urbach Faxe mit Telefonnummern, über die sich die Oppositionellen in Ägypten oder Syrien an der Zensur vorbei ins Netz einwählen können, er schmuggelt Videos und Berichte aus Syrien an deutsche Medien und prangert an, wie westliche Softwarefirmen die Zensur des Regimes unterstützen. Europäische Netzaktivisten wie Urbach stellen die Infrastruktur bereit, derer sich die Bürgerrechtler im arabischen Frühling bedienen.
Viele befürchten, dass Guttenberg neuer Job Kalkül sein könnte
In Guttenbergs Agenda kommen sie dagegen nicht vor. „Guttenberg redet von Bloggern, großen Playern in den USA – dabei sind die gar nicht so wichtig für die Bewegung“, so Urbach. Ob Unwissenheit oder politische Absicht; Urbach befürchtet, dass der neue EU-Netzberater sich auf Firmen, Geheimdienste und ein oder zwei bekannte Blogger konzentrieren wird. Beim Graben der virtuellen Tunnel wird der Freiherr wohl nicht behilflich sein. „Er hat ausdrücklich nicht die Aktivisten in Europa erwähnt – und bisher hat er uns auch immer bekämpft, zum Beispiel in der Vorratsdatenspeicherung“, so Urbach weiter.
padeluun, Albrecht und Urbach – sie alle eint eine Befürchtung: dass Guttenbergs neuer Job mehr ist als nur ein PR-Coup, mehr als eine Rückkehr aufs politische Parkett. Sein bisheriges Engagement im Bereich Internet, Freiheit und Kontrolle, das offensive Werben seiner Frau für mehr Sperren im Netz, seine Mitgliedschaft im CSIS – all das deute darauf hin, dass ihm mit dem unbezahlten Job in Brüssel ein Schachzug gelungen ist, auf den er lange hingearbeitet hat – und den er in seinem Sinne nutzen wird.