Washington. Im republikanischen Rennen um die Präsidentschaftskandidatur hat Umfragen-König Newt Gingrich mit unvorteilhaften Altlasten zu kämpfen: Er gibt sich als glaubwürdiger Agitator gegen die Auswüchse des Kapitalismus - hat allerdings Millionen im politischen Filz Washingtons gescheffelt.

Hybris reicht nicht, um die großen Stücke zu beschreiben, die der Mann auf sich hält. Newt Gingrich, 68, drei Mal verheiratet, studierter Historiker, seit 30 Jahren integraler Bestandteil der republikanischen Partei, beanspruchte neulich ein halbes Dutzend mehrstündige Fernsehduelle mit Präsident Barack Obama. Danach, so der weißhaarige Mann aus dem tiefschwarzen Georgia zwischen den Zeilen, werde das amerikanische Volk eigentlich gar nicht mehr anders können - als ihn zu wählen.

Nun, zuvor müsste ihn erst einmal seine eigene Partei nominieren. In neuen Umfragen hat Gingrich die unaufhörlich Pannen und Peinlichkeiten anhäufenden Konkurrenten Bachmann, Cain und Perry zwar hinter sich gelassen und auch den beständig in Führung liegenden Mitt Romney mit seinen diabolisch frechen Auftritten in den Fernsehdebatten nervös gemacht. Aber das heißt noch nichts. Gingrich ist schon einmal von einer Revolution gefressen worden, die er selber anführte.

Nach einer Affäre wurde Gingrich von den Wählern aus dem Amt gejagt

Am 4. Januar 1995 wurde er nach 40 Jahren Abstinenz zum ersten republikanischen Präsidenten des Repräsentantenhauses gewählt. Als Wegbereiter einer konservativen Revolution, die Reagans staatsferne Wirtschaftspolitik um die Faktoren Moral und Werte aufladen sollte und als missionarisch eifernder Jäger des in die Lewinsky-Affäre verstrickten Präsidenten Bill Clinton brachte es Gingrich zum dritten Mann im Staate; gefürchtet wie bewundert. Umso tiefer war 1999 sein Fall. Die Wähler waren der beinharten Oppositionspolitik überdrüssig.

Gingrich wurde - ausgerechnet nach Bekanntwerden einer außerehelichen Affäre - von den eigenen Leuten vom Capitol Hill vertrieben. Fortan schrieb er ein gutes Dutzend Bücher, konvertierte zum Katholizismus und verdingte sich als Verkäufer angesammelten Herrschaftswissens. Letzteres fällt dem für seine andere oft absichtsvoll demütigende rhetorische Angriffslust bekannten Politik-Fuchs jetzt vor die Füße. Gingrich inszenierte sich auch bei der elften Fernsehdebatte am Dienstagabend in der Hauptstadt als Anti-Politiker gegen das verfilzte Washingtoner Establishment, der schon alles gesehen, alles gemacht hat.

Gingrich könnte an seiner liberalen Position zur Einwanderung scheitern

Als einziger von acht Bewerbern warb ausgerechnet der als Hardliner bekannte Schnellredner dafür, einen großen Teil der 11 Millionen illegalen Einwanderer in den USA nachträglich zu legalisieren. Aus Gründen der Menschlichkeit. “Falscher Anreiz”, grantelte Konkurrent Romney zurück. Dass Gingrich in konservativen Kreisen damit ein Tabu verletzt hat, könnten seinen Stern bald wieder sinken lassen. Nicht nur deswegen.

Der frühere Kongressabgeordnete aus Atlanta gehört, wie sich nach und nach herausstellt, zu den größten Profiteuren des politisch-ökonomischen Komplexes in Washington, den er fortlaufend als Zentrale des amerikanischen Untergangs abkanzelt. Als Berater mehrerer Krankenversicherungsgesellschaften kassierte seine Firma über die Jahre 37 Millionen Dollar Honorar; was ihn nicht davon abhält, Obamas Gesundheitsreform bei jeder Gelegenheit zur Mutter allen Übels zu stempeln.

Ein teurer Einkauf beim Juwelier verstört Gingrichs Wähler

Von der halbstaatlichen Hypothekenbank Freddie Mac, die im Zentrum der die USA bis heute erschütternden Immobilienkrise steht, wurde er mit zwei Millionen Dollar entlohnt. Angeblich für den platten Rat, keinen Kredit an Hauskäufer zu geben, die nicht kreditwürdig sind. Als glaubwürdiger Agitator gegen einen verlogenen (“crony”) Kapitalismus, den die Republikaner zu ihrem neuen Feindbild erklärt haben, fällt Gingrich damit aus, bilanzieren etliche Kommentatoren; nicht ohne daran zu erinnern, dass Gingrich und seine aktuelle, 22 Jahre jüngere Gattin Callista beim New Yorker Edeljuwelier Tiffany unlängst für 500 000 Dollar eingekauft haben sollen.

In der tief evangelikal geprägten Stamwählerschaft im Vorwahlstaat Iowa (3. Januar 2012) fühlen sich schon jetzt viele geblendet.