Kairo. . Ägyptens Übergangsregierung unter Essam Scharaf ist gescheitert. Das Kabinett beugt sich den Protesten - und erklärt seinen Rücktritt. Derweil gehen die blutigen Unruhen auf dem Tahrir-Platz in Kairo weiter. Die Bundesregierung und die EU reagieren besorgt.
Als Konsequenz aus den seit drei Tagen andauernden Ausschreitungen auf dem Tahrir-Platz in Kairo hat das ägyptische Kabinett am Montag sein Rücktrittsgesuch beim Militärrat eingereicht. Sicherheitskräfte lieferten sich den dritten Tag in Folge Auseinandersetzungen mit mehreren Tausenden Demonstranten in der ägyptischen Hauptstadt. Die Zahl der Toten stieg auf mindestens 24. Allein am Montag seien neun Menschen ums Leben gekommen, sagte ein Mitarbeiter eines Leichenschauhauses. Die Bundesregierung und die EU äußerten sich beunruhigt.
Das ägyptische Staatsfernsehen berichtete, das Kabinett werde bis zu einer Entscheidung die Amtsgeschäfte weiterführen. Ob der Oberste Rat der Streitkräfte unter Feldmarschall Hussein Tantawi den Massenrücktritt akzeptiert, war zunächst unklar. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur MENA bereits gemeldet, Kultusminister Emad Abu Ghasi sei am Sonntagabend aus Protest gegen die Reaktion des Kabinetts auf die Ausschreitungen zurückgetreten.
Tausende jubeln auf dem Tahrir-Platz
Viele Ägypter sehen die Übergangsregierung unter Ministerpräsident Essam Scharaf als reine Fassade für das Militär, die entweder nicht dazu in der Lage oder gewillt ist, demokratische Reformen voranzutreiben oder etwas zu unternehmen, um die Unruhen und die Wirtschaftskrise im Land einzudämmen. Nach dem Bekanntwerden des Rücktrittsgesuchs am Montag brachen die mehr als 10.000 Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Jubel aus. Die Menge skandierte „Gott ist groß.“
Die Gewalt in Kairo und anderen Orten und die Zahl der Toten und Verletzten seien „bestürzend“, sagte ein Außenamtssprecher am Montag in Berlin. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) appelliere an alle Beteiligten, umgehend die Gewalt zu beenden und schnell „das richtige Umfeld“ für die Parlamentswahl am 28. November zu schaffen.
EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton rief die ägyptische Militärregierung am Montag auf, den Menschen zuzuhören und das Demokratiebestreben der Bevölkerung zu respektieren. Ashton wiederholte ihre Kritik an den Notstandsgesetzen. Die Wahl müsse so durchgeführt werden, dass die Demokratie geschützt werde, sagte sie.
Gesundheitsministerium meldet rund 1.750 Verletzte
Am Montag kam es erneut zu Ausschreitungen auf dem Tahrir-Platz. Etwa 3.000 Aktivisten standen Hunderten Polizisten gegenüber, die Tränengas und Gummigeschosse abfeuerten. Die Demonstranten warfen ihrerseits Steine und Brandsätze auf die Beamten. Zu Zusammenstößen kam es auch vor dem nahegelegenen Innenministerium.
Das ägyptische Gesundheitsministerium erklärte am Montag, rund 1.750 Menschen seien seit Beginn der Unruhen am Samstag verletzt worden. Das Ministerium machte keine Angaben dazu, ob es sich bei den Opfern um Demonstranten handelte, oder ob auch Sicherheitskräfte darunter waren.
Die Demonstranten verlangen eine rasche Übergabe der Macht an eine zivile Regierung. Die Streitkräfte haben angedeutet, sich Ende 2012 oder Anfang 2013 aus der Regierung zurückzuziehen. Die Aktivisten fordern jedoch ein genaues Datum. Eine wachsende Zahl verlangt einen umgehenden Rücktritt des regierenden Militärrats zugunsten einer zivilen Übergangsregierung.
In mehreren ägyptischen Städten kam es am Montag zu Protesten, bei denen die Demonstranten forderten, die Verantwortlichen für die Gewalt in Kairo zu bestrafen. Allein in der Küstenstadt Alexandria marschierten Tausende Studenten.
Inmitten der andauernden Gewalt erließ der Militärrat ein Gesetz gegen Korruption. Der Gesetzestext wurde am Montag von der staatlichen Nachrichtenagentur MENA veröffentlicht. Demnach werden wegen Korruption verurteilte Staatsdiener für die Dauer von bis zu fünf Jahren von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Zudem dürfen sie weder wählen, noch bei Wahlen antreten.
Das Gesetz könnte vor allem ehemaligen Mitgliedern der Regierung des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak den Zugang zu öffentlichen Ämtern versperren. Der Zeitpunkt der Gesetzgebung legt nahe, dass es sich um ein Zugeständnis an die Demonstranten handelt.
Polizist bei Razzia gegen mutmaßliche Islamisten getötet
Bei einer Razzia gegen eine dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahe stehende Gruppe wurde nach Angaben des ägyptischen Innenministeriums am Montag ein Polizist getötet und ein weiterer verletzt. Die Beamten hätten zwei mutmaßliche Sprengstoffexperten der Organisation in der Ortschaft el Arisch auf der Sinai-Halbinsel festnehmen wollen, als Bewaffnete das Feuer auf sie eröffnet hätten, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Die beiden Verdächtigen seien entkommen, aber ein dritter Mann habe festgenommen werden können.
Die Gruppe soll für mehrere Angriffe auf die ägyptische Polizei und Anschläge auf eine Gaspipeline nach Israel und Jordanien verantwortlich sein. (dapd)