Bochum. . Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat seinen Genossen bei einer Parteikonferenz in Bochum ins Gewissen geredet: „Die Menschen zählen uns zum Establishment. Wenn sie von ,den Politikern da oben’ reden, dann meinen sie auch uns“. Das könne zum „Tod der SPD“ führen.

SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel hat seinen Genossen bei einer Parteikonferenz in Bochum ins Gewissen geredet. Viel zu abgehoben und zu bürgerfern komme die Partei inzwischen in der Öffentlichkeit rüber. „Die Menschen zählen uns zum Establishment. Wenn sie von ,den Politikern da oben’ reden, dann meinen sie auch uns“, sagte Gabriel. Das könne zum „Tod der SPD“ führen.

„Wir haben uns durch Sprache und Habitus zu sehr von den Bürgern entfernt“, findet der Parteichef. Hauptgegner der SPD seien nicht mehr CDU/CSU, FDP oder Grüne, sondern ein „Ohnmachts-Gefühl“: Viele und insbesondere die Klientel der Sozialdemokraten habe nicht mehr das Gefühl, überhaupt etwas in der Politik verändern zu können.

Früher, so Gabriel, habe die Partei in bestimmten Quartieren, in Mehrfamilienhäusern bei Wahlen 50 bis 60 Prozent der Stimmen bekommen. Heute gingen die meisten dieser Bewohner gar nicht mehr wählen. Gabriel empfiehlt seiner Partei, deren Mitglieder im Schnitt 59 Jahre alt sind, dringend, auf Außenstehende zuzugehen. „Wir sollten die Leute einladen, ohne dass sie beitreten müssen“, forderte er.

Ein Satz, der direkt an die SPD im Ruhrgebiet gerichtet sein dürfte. Denn anders als in Sachsen oder Thüringen hat die Partei im Revier immer noch keine großen Probleme, Mitglieder für die Arbeit in Stadtparlamenten oder Ar­beitskreisen zu gewinnen. Bei der Regionalkonferenz der Ruhr-SPD warb Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski leidenschaftlich für mehr Zusammenarbeit zwischen den Ruhrgebietsstädten. „Wir haben ei­ne gemeinsame Zukunft oder gar keine. Wir sind aber politisch noch längst nicht so weit, wie es die Menschen im Revier sind“, sagte der Vorsitzende der Ruhr-SPD. Die Kommunen lägen „zu eng beieinander für Ego-Trips“. Dieser Hinweis dürfte vor allem Essenern und Dortmundern in den Ohren klingeln.

„Kommunen sind so systemrelevant wie Banken“

In einer Resolution „Umbau Ruhr“ fordern die Sozialdemokraten, dass eine SPD-geführte Bundesregierung den armen Städten unter die Arme greifen müsse: „Kommunen sind genauso systemrelevant wie Banken“, so Baranowski.

„Umbau Ruhr“ heißt ein Papier, das die Ruhr­ge­biets-SPD am Wochenende be­schlossen hat. Das klingt nicht zufällig so ähnlich wie „Aufbau Ost“. Der Bochumer Landtagsabgeordnete Thomas Eiskirch und andere Sozialdemokraten wollen, dass künftig Hilfsgelder des Bundes „nicht mehr nach Himmelsrichtungen, sondern nach ­Be­dürftigkeit“ verteilt werden.

Heißt: Geld sollte nicht mehr hauptsächlich nach ­Osten oder Süden fließen, sondern auch in die Not leidenden Städte an der Ruhr. Eine neue, SPD-geführte Bundesregierung müsse sich zur Hälfte an den Sozialkosten beteiligen, vor allem an der Eingliederungshilfe für Behinderte. Und: Die Neuauflage des ­Programms „Soziale Stadt“ sei bitter nötig.

Nicht zumutbare Züge

Doch das Revier ist nach ­Ansicht der Ruhr-SPD nicht nur arm, sondern auch unbeweglich: „Wir ersticken in ­Mo­bilitätsproblemen. Manche Re­gionalexpresse auf den Gleisen der Deutschen Bahn sind schlicht nicht zumutbar“, sagte Thomas Eiskirch.

Die neue Chefin des Regionalverbands Ruhr (RVR), ­Karola Geiß-Netthöfel, sieht es ähnlich. „Das was manchmal in den Zügen passiert, ist teilweise menschenunwürdig“, unterstrich sie erneut. Ohne die Unterstützung durch die EU und den Bund drohe bald der Verkehrskollaps.

Manche Vertreter der Ruhr-SPD bevorzugen klare Trennlinien zu den Grünen. Ein kompletter Verzicht auf konventionelle Kraftwerke zur Energieerzeugung ist für sie zum Beispiel derzeit nicht vorstellbar. Auch Bundes­parteichef Sigmar Gabriel bemühte sich um Distanz zur Öko-Partei: „Mit der Idee, Energiepreise zu erhöhen, um den Verbrauch zu senken, stoßen wir jetzt an Grenzen. Auch bei der Frage der Energieeinsparung und Gebäudedämmung müssen wir uns immer fragen: Was bedeutet das für die Mieter? Bei den ­Grü­nen ist Einkommens­un­gleich­heit in der Wählerschaft ja eher unbekannt.“

Sigmar Gabriel

Seit dem 13. November 2009 ist Sigmar Gabriel Chef der SPD.
Seit dem 13. November 2009 ist Sigmar Gabriel Chef der SPD. © ddp
Gabriel ist 1959 in Goslar geboren und diente nach seinem Abitur 1979 bei der Bundeswehr. Anschließend studierte er Politik, Soziologie sowie Germanistik für das Lehramt an Gymnasien.
Gabriel ist 1959 in Goslar geboren und diente nach seinem Abitur 1979 bei der Bundeswehr. Anschließend studierte er Politik, Soziologie sowie Germanistik für das Lehramt an Gymnasien. © AFP
Nach seinem Referendariat arbeitete er noch ein Jahr als Lehrer in der beruflichen Erwachsenenbildung und zog 1990 als Abgeordneter in den niedersächsischen Landtag ein.
Nach seinem Referendariat arbeitete er noch ein Jahr als Lehrer in der beruflichen Erwachsenenbildung und zog 1990 als Abgeordneter in den niedersächsischen Landtag ein. © REUTERS
Neben seinem Landtagsmandat, das er bis 2005 innehatte, saß Gabriel von 1991 bis 1999 auch noch im Stadtrat von Goslar. Schon dort beschäftigte er sich mit dem Thema
Neben seinem Landtagsmandat, das er bis 2005 innehatte, saß Gabriel von 1991 bis 1999 auch noch im Stadtrat von Goslar. Schon dort beschäftigte er sich mit dem Thema "Umwelt", später war er dafür der zuständige Bundesminister. © WAZ FotoPool
Im März 1998 legte Gabriel dann den Grundstein für seine politische Karriere. Er wurde Vorsitzender der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag, und knapp zwei Jahre später niedersächsischer Ministerpräsident.
Im März 1998 legte Gabriel dann den Grundstein für seine politische Karriere. Er wurde Vorsitzender der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag, und knapp zwei Jahre später niedersächsischer Ministerpräsident. © ddp
Bei der Landtagswahl am 2. Februar 2003 allerdings verlor die SPD unter Gabriel die Macht. Neuer Ministerpräsident wurde Christian Wulff (CDU).
Bei der Landtagswahl am 2. Februar 2003 allerdings verlor die SPD unter Gabriel die Macht. Neuer Ministerpräsident wurde Christian Wulff (CDU). © Remo Bodo Tietz, NRZ
Trotzdem blieb Sigmar Gabriel in Niedersachsen und übernahm erneut den Fraktionsvorsitz im Landtag. Im Oktober 2005 zog es ihn nach Berlin und er übernahm das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Trotzdem blieb Sigmar Gabriel in Niedersachsen und übernahm erneut den Fraktionsvorsitz im Landtag. Im Oktober 2005 zog es ihn nach Berlin und er übernahm das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. © REUTERS
Als Umweltminister setzte sich Gabriel - wie sein Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) - vehement für den Atomausstieg ein.
Als Umweltminister setzte sich Gabriel - wie sein Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) - vehement für den Atomausstieg ein. © ddp
Hier zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Expedition.
Hier zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Expedition. © AFP
Gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier setzte sich Gabriel außerdem für einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung ein.
Gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier setzte sich Gabriel außerdem für einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung ein. © WAZ FotoPool
Hier steht er im Atommüllendlager Morsleben in einem Förderkorb.
Hier steht er im Atommüllendlager Morsleben in einem Förderkorb. © ddp
Gabriel warb kontinuierlich für den Ausbau erneuerbarer Energien und auch für das Elektroauto.
Gabriel warb kontinuierlich für den Ausbau erneuerbarer Energien und auch für das Elektroauto. "Elektrofahrzeuge, angetrieben durch Strom aus erneuerbaren Energien, sind eine Schlüsseltechnologie für den Verkehr der Zukunft", sagte der Minister 2009. © REUTERS
Nach der Bundestagswahl 2009 verlor Gabriel sein Ministeramt. Frank-Walter Steinmeier wurde neuer Fraktionschef im Bundestag, Sigmar Gabriel übernahm den Parteivorsitz.
Nach der Bundestagswahl 2009 verlor Gabriel sein Ministeramt. Frank-Walter Steinmeier wurde neuer Fraktionschef im Bundestag, Sigmar Gabriel übernahm den Parteivorsitz. © WAZ FotoPool
Auf dem Bundesparteitag in Dresden erhielt er bei seiner Wahl über 94 Prozent der Stimmen.
Auf dem Bundesparteitag in Dresden erhielt er bei seiner Wahl über 94 Prozent der Stimmen. © AP
Glückwünsche gab`s von seiner ehemaligen Kabinettskollegin Ulla Schmidt, ...
Glückwünsche gab`s von seiner ehemaligen Kabinettskollegin Ulla Schmidt, ... © AP
... von SPD-Generalsekretärin Andreas Nahles ...
... von SPD-Generalsekretärin Andreas Nahles ... © REUTERS
... sowie von einem seiner Vorgänger im Amt, Kurt Beck.
... sowie von einem seiner Vorgänger im Amt, Kurt Beck. © WAZ FotoPool
Gabriels erster Weg nach seiner Rede auf dem Parteitag führte ihn zu Greta Wehner, der Witwe des SPD-Urgesteins Herbert Wehner.
Gabriels erster Weg nach seiner Rede auf dem Parteitag führte ihn zu Greta Wehner, der Witwe des SPD-Urgesteins Herbert Wehner. © WAZ FotoPool
Bilder aus seinem Leben als Parteichef: Hier steht Gabriel neben Franz Müntefering. Beide nahmen im Februar 2010 am Landesparteitag der NRW-SPD teil. Die Delegierten entschieden über das Wahlprogramm und die Aufstellung der Landesliste.
Bilder aus seinem Leben als Parteichef: Hier steht Gabriel neben Franz Müntefering. Beide nahmen im Februar 2010 am Landesparteitag der NRW-SPD teil. Die Delegierten entschieden über das Wahlprogramm und die Aufstellung der Landesliste. © ddp
Sigmar Gabriel und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Sigmar Gabriel und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. © REUTERS
In ihrem Wahlkampf war er oft im größten deutschen Bundesland ...
In ihrem Wahlkampf war er oft im größten deutschen Bundesland ... © ddp
... so zum Beispiel bei seiner Reise durch mehrere Moscheen im Ruhrgebiet ...
... so zum Beispiel bei seiner Reise durch mehrere Moscheen im Ruhrgebiet ... © WAZ FotoPool
... beim
... beim "Rock in den Ruinen" in Dortmund-Hohensyburg oder ... © Linz/PiLi
... beim Straßenwahlkampf in der Dortmunder Fußgängerzone.
... beim Straßenwahlkampf in der Dortmunder Fußgängerzone. © WAZ FotoPool
Beim Düsseldorfer Rosenmontagszug zeigte ein Motivwagen einen SPD-Bundesvorsitzenden, der auf einem skelettierten SPD-Gaul zur Attacke reitet.
Beim Düsseldorfer Rosenmontagszug zeigte ein Motivwagen einen SPD-Bundesvorsitzenden, der auf einem skelettierten SPD-Gaul zur Attacke reitet. © ddp
Aktuell bemüht sich Sigmar Gabriel, die SPD als Volkspartei zu erhalten und sie im Hinblick auf die nächsten Wahlen wieder mehrheitsfähig zu machen.
Aktuell bemüht sich Sigmar Gabriel, die SPD als Volkspartei zu erhalten und sie im Hinblick auf die nächsten Wahlen wieder mehrheitsfähig zu machen. © ddp
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