Essen. . Nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 waren die Ermittler zunächst auf der richtigen Spur - ohne es zu ahnen. Weil andere Behörden nicht kooperierten, verloren sie die Fährte wieder. Nicht nur an dieser Stelle weisen die Ermittlungen viele Ungereimtheiten auf.
Bei den Ermittlungen nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 waren die Ermittler auf der richtigen Fährte - nur ohne es zu merken. Wie der Kölner Oberstaatsanwalt Josef Rainer Wolf gegenüber DerWesten bestätigte, überprüften die Ermittler einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag und den „Döner-Morden“.
Zu diesem Zweck seien Ermittler nach Nürnberg gereist, sagte Wolf. Dort war drei Jahre zuvor ein türkischer Schneider in seinem Geschäft mit zwei Kopfschüssen hingerichtet worden. Schon im Jahr 2000 wurde der Blumenhändler Enver Ş. in Nürnberg getötet.
Staatsanwalt Wolf will bundesweiten Zugriff auf Fahndungsbilder
„Wir konnten aber damals aus den Erkenntnissen der Nürnberger Kollegen keinen Honig saugen“, sagte Wolf. Das Fahndungsraster erwies sich als zu eng. Da man Rechtsextremisten aus dem Kölner Raum im Blick gehabt habe, ist laut Wolf kein Abgleich mit Fahndungsbildern aus der bundesweiten Kartei vorgenommen worden. Somit konnten die Ermittler den Zusammenhang zu der Mordserie der Thüringer Neonazis nicht herstellen.
Damit die Ermittler künftig in solchen Fällen bessere Möglichkeiten haben, schließt sich Wolf der Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nach einer gemeinsamen Neonazi-Datei an. „Wir haben damals nichts bekommen, was über den Kölner Tellerrand hinausgeht.“
Auch an anderen Stellen zeigt sich, dass die Ermittlungen zumindest nicht ideal verlaufen sind. Besonders in der Kritik stehen die Thüringer Sicherheitsbehörden.
Innenminister Friedrich fordert Erklärungen von Thüringer Sicherheitsbehörden
Obwohl die thüringische Rechtsextremisten-Szene angeblich mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt ist, konnte sich das Trio um Beate Zschäpe hier 13 Jahre lang verstecken.
Selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat sich eingeschaltet:. „Die Thüringer Sicherheitsbehörden müssen schon erklären, warum in 1998 das Trio etwa 13 Jahre lang abtauchen konnte“, sagte der CSU-Politiker dem „Bonner General-Anzeiger“ . Die Zuständigkeit für die Ermittlungen habe immer bei den Thüringer Behörden gelegen.
Unabhängige Kommission soll Rolle des Verfassungsschutzes in Thüringen untersuchen
Friedrich wies zugleich Vorwürfe zurück, dass deutsche Sicherheitsbehörden sich zu wenig mit dem Rechtsextremismus befassen. „Wir haben die rechtsextremistische Szene sehr genau im Blick“, sagte er. „Wir sind gewiss nicht blind, was die Gefahren von Rechtsaußen angeht.“
In Thüringen soll eine unabhängige Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer die Rolle des Verfassungsschutzes untersuchen. Es müsse vor allem geklärt werden, warum es nicht gelungen sei, das rechtsextreme Trio um Beate Z. nach ihrem Abtauchen 1998 zu fassen, sagte Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) in Erfurt.
Niedersächsischer Geheimdienst observierte Holger G. - und ließ ihn laufen
Der niedersächsische Verfassungsschutz räumte Versäumnisse im Fall der Mordserie ein. Bereits im Herbst 1999 habe die Behörde den inzwischen inhaftierten mutmaßlichen Unterstützer der Zelle, Holger G., auf Bitten des Thüringer Verfassungsschutzes drei Tage lang observiert, sagte der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans Wargel, in Hannover. Damals bestand demnach der Verdacht, dass Holger G. den drei untergetauchten Neonazis bei der Suche nach einem Quartier helfen sollte. Die niedersächsische Behörde habe einen Observationsbericht nach Thüringen geschickt, wonach Holger G. mit mehreren nicht zu identifizierenden Personen telefoniert und sich der Verdacht nicht konkretisiert habe.
„Aus heutiger Sicht stellt sich dar, dass der niedersächsische Verfassungsschutz nicht alles getan hat, was man hätte tun müssen“, räumte Wargel ein. Der Geheimdienst sei noch mehrfach auf Holger G. gestoßen - 1999 habe er die Hochzeitsfeier eines bekannten Neonazis besucht und bis 2003 an mehreren Neonazi-Demonstrationen teilgenommen. 2004 habe er das Konzert einer Skinhead-Band besucht. Es sei aber keine Verbindung zu dem Thüringer Fall gezogen worden. „Die Bewertung der Person Holger G. als Randfigur stellt sich im Nachhinein als falsch heraus“, erklärte Wargel. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Holger G. das Neonazi-Trio seit 2007 unterstützte und deckte, indem er den Mitgliedern seinen Führerschein und Reisepass überließ.
Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei drei Mordfällen anwesend
Bei einer Sitzung des Geheimdienstausschusses des Bundestags in Berlin wurde am Dienstag bekannt, dass ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes an drei Tatorten der Mordserie an Migranten war. Der Mann sei inzwischen suspendiert und arbeite bei der Bezirksregierung in Hessen, sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, Thomas Oppermann. Er kritisierte auch das Anheuern hochrangiger Neonazis als V-Leute durch den Thüringer Verfassungsschutz Ende der 90er Jahre. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte deutlich, dass vor einem neuerlichen Verbotsverfahren gegen die NPD zunächst eine eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten stehen müsse.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schlägt einen Verzicht des Verfassungsschutzes auf sogenannte V-Leute zur Überwachung der rechtsradikalen Szene vor. Der Einsatz von bezahlten Informanten, „die in einer Grauzone arbeiten, die ja meist aus der Szene selbst kommen“, sei etwas, „was allen rechtsstaatlich Denkenden irgendwo unangenehm aufstößt“, sagte die FDP-Politikerin am Mittwoch dem SWR2 in Baden-Baden. Auch hält sie ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD für aussichtslos, „solange V-Leute auf Vorstandsebenen der NPD platziert sind.“ Allerdings liege die Entscheidung über einen Abzug der V-Leute in der alleinigen Verantwortung der Innenminister.
Leutheusser-Schnarrenberger schlug vor zu prüfen, Landesämter für Verfassungsschutz teilweise zusammenzulegen. „Wenn wir den Sachverhalt aufgeklärt haben und genau wissen, wo vielleicht auch Schwachstellen sind, sollte man sich sehr wohl damit beschäftigen, ob nicht die Strukturen effizienter gemacht werden können“, sagte die FDP-Politikerin in Frankfurt am Main. (mit Material von dapd, rtr und afp)