Essen. . In zwei Jahren kann der Iran eine Atombombe testen, vielleicht auch schon in einem halben. Ein Politologe erklärt, was das bedeutet – und warum auch Israel militärisch nichts dagegen tun kann.

Lange hörte man nichts vom Atomprogramm des Iran, doch dann versetzte ein Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA die Welt in Kriegsstimmung. Oliver Schmidt von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik forscht seit Jahren über das iranische Atomprogramm. Von ihm wollten wir wissen, was jetzt kommt – und ob Irans Präsident tatsächlich ein Spinner ist.

Wie nah ist der Iran denn nun an einer eigenen Atombombe?

Er hat Raketen. Er hat die Anlagen, um hochangereichertes Uran herzustellen. Und laut IAEA entwickelt er einen Sprengkopf. Der Westen kann nur spekulieren, wie lange der Iran noch braucht, aber diese Spekulationen besagen: zwischen einem halben Jahr und zwei Jahren.

Und wie wahrscheinlich ist es, dass Israel den Iran militärisch angreift?

Auch Israel ist nicht in der Lage, das Atomprogramm auf militärischem Wege zu stoppen. Bedenken Sie: Es geht um eine Handvoll zentraler Anlagen. Um sie zu zerstören, müsste zuvor die Luftabwehr ausgeschaltet werden. Und dafür hat Israel allein gar nicht genug Maschinen. Außerdem ist die Entfernung zu groß, gestatten die Nachbarländer den Überflug nicht, sind einige Anlagen nahezu unzerstörbar unter der Erde...

Jeder Computervirus wäre effektiver als Luftangriffe

Oliver Schmidt forscht bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Spezialgebiet: Kernwaffen, ihre Verbreitung und wie man sie verhindert.
Oliver Schmidt forscht bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Spezialgebiet: Kernwaffen, ihre Verbreitung und wie man sie verhindert.

Israel könnte einzelne Anlagen bombardieren, quasi symbolisch.

Der politische Schaden wäre groß. Und jeder Sabotageakt mit einem Computervirus würde mehr bringen.

Ist es vorstellbar, dass Deutschland sich an einem Militärschlag beteiligt?

Das sehe ich nicht. Die Bundesregierung sagt seit Jahren, dass eine militärische Eskalation zu vermeiden ist. Der Zeitpunkt wäre jetzt auch zu früh. Es sind noch nicht alle diplomatischen Mittel ausgereizt.

Was müsste denn diplomatisch jetzt geschehen?

Bislang krankten die Sanktionen daran, dass sich China und Russland nicht im gleichen Umfang beteiligt haben. Optimal wäre es, wenn diese Länder nun überzeugt werden könnten, den Druck auf Iran weiter zu erhöhen.

Eine Folge: mehr US-Präsenz am Golf

Was würde sich ändern, wenn der Iran Atomraketen hätte?

Sicher würden die Nachbarstaaten am Golf näher zusammenrücken, auch militärisch. Und es könnte sein, dass sie die USA um mehr Schiffe und Stützpunkte bitten.

Israel besitzt schon Nuklearwaffen. Es gäbe also ein „Gleichgewicht des Schreckens“ wie früher in Europa. Und das ist ja gutgegangen.

Auch in Europa war die Stabilität nicht perfekt. Es gab mehrere kritische Momente, und der frühere US-Verteidigungsminister McNamara sagte später, es sei manchmal „reines Glück“ gewesen, dass es nicht zum Atomkrieg kam. Israel und der Iran bräuchten noch viel mehr Glück: Im Kalten Krieg gab es wegen der großen Entfernungen 30 Minuten Reaktionszeit, und weil beide Seiten technologisch hoch gerüstet waren, hatte auch jeder einen guten Überblick, was der andere gerade tut. Zwischen Israel und dem Iran wäre das nicht unbedingt gegeben.

Teheran agiert eigentlich sehr geschickt

Voraussetzung für Stabilität sind rationale Führungen. Handelt Teheran rational?

Ja, das tut es. Das Regime tut alles, um sich selbst zu erhalten. Und im Atomstreit agiert es eigentlich sehr geschickt.

Im Westen wird Ahmadinedschad oft als Spinner dargestellt.

Das ist ein Zerrbild. Ahmadinedschad hat innenpolitische Probleme, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben. Also nutzt er den Atomstreit, um seinem Volk zu zeigen: Seht her, der Westen ist es, der den technischen Fortschritt unseres Landes behindert.