Berlin. Deutschland sollte seine Entwicklungshilfe für Dritte Welt-Länder deutlich erhöhen. Das ist das Ergebnis der Studie "Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" der Deutsche Welthungerhilfe und Terre des Hommes. Es gibt aber auch Kritiker an dieser Art der Hilfe.
Die Deutsche Welthungerhilfe und Terre des Hommes fordern die Bundesregierung auf, ihre Entwicklungshilfe für die Dritte Welt deutlich zu erhöhen. Die von den Industrieländern ausgelösten Klimaveränderungen verursachen in den Entwicklungsländern zusätzliche Kosten für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel. Deshalb reiche es nicht, bis 2015 die mit der EU vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die ODA aufzuwenden. Im 17. Bericht „Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe“ fordern die Hilfsorganisationen eine Erhöhung um 0,3 auf 1,0 Prozent.
Die Studie, die jedes Jahr einen kritischen Blick auf die deutsche Entwicklungspolitik wirft, wurde am Donnerstag veröffentlicht. Sie behandelt in diesem Jahr vor allem die Folgen der globalen Welternährungs-, Weltwirtschafts- und Weltklimakrise für die Entwicklungsländer und kommt zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen für die Entwicklungsländer verheerend sind. Die Zahl der Hungernden ist bekanntlich auf eine Milliarde gestiegen, es betrifft also jeden sechsten Menschen der Welt. Über 100 Millionen sind durch die Krisen zusätzlich in extreme Armut geraten.
Deutschland nur absolut auf Platz zwei
Mit Entwicklungshilfe ist hier die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) von einer Regierung an eine andere Regierung gemeint. Deutschland erhöhte in 2008 die Entwicklungshilfe auf 9,6 Milliarden Euro (2007: 9,0 Milliarden Euro). Absolut liegt Deutschland damit auf Platz zwei der 22 Geberländer, gemessen an seiner wirtschaftlichen Leistungskraft dann nur auf Platz 14. Die Deutsche ODA-Quote gemessen am Bruttonationaleinkommen liegt derzeit bei 0,38 Prozent. Nach EU-Vereinbarung soll sie 2010 0,51 Prozent betragen und 2015 wie erwähnt auf 0,7 Prozent. Im nächsten Jahr müsste die Entwicklungshilfe Deutschlands also um 1,7 Milliarden Euro steigen, um das Ziel zu erreichen.
Schützt afrikanische Bauern
Die Hilfsorganisationen fordern Reformen, um die Ernährung der Dritten Welt zu sichern.
In der Studie „Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe“ fordern die Hilfsorganisationen außer finanziellen Mitteln auch Reformen, um die Ernährung zu sichern. Der Schutz kleinbäuerlicher Landwirtschaft und der vollständige Abbau der Agrarexportsubventionen in den Industrieländern werden als Beispiele genannt. So sollte etwa das sogenannte „land grabbing“ verhindert werden, bei dem ausländische Investoren im großen Stil Flächen zum Anbau von Agrartreibstoffen ankaufen.
Ralf Dickerhoff, Sprecher der Welthungerhilfe, gibt ein Beispiel dafür, wie der Westen die wirtschaftlichen Grundlagen der Dritten Welt angreift: „Die EU kauft Mauretanien die Fischereirechte ab, aber das Geld kommt nie bei den Fischern an.” Das zerstöre die Lebensgrundlage der Fischer in dem Land an der afrikanischen Westküste, die bisher dazu beitragen, dass sich die Mauretanier selbst ernähren können. Ergebnis der wirtschaftlichen Übermacht des Westens: Den armen Ländern bleibt nur, Rohstoffe zu verkaufen und Waren des Westens zu importieren. Ein künstliches Abhängigkeitsverhältnis.
Die öffentliche Entwicklungshilfe stößt allerdings zunehmend auf Kritik. „Oft genug sind Hilfen von Regierung zu Regierung nicht bei den Ärmsten der Armen angekommen”, sagte Helen Zille, Ministerpräsidentin der Provinz Western Cape in Südafrika und ehemals Bürgermeisterin Kapstadts, auf der 2. Bonner Konferenz für Entwicklungspolitik im August. Vielmehr fördere diese Art von Förderung schon schlechte Regierungsführung, Clan-Hierarchien und Korruption.
Dambisa Moyo plädiert für Mikrokredite
Das sind auch die Punkte, die Dambisa Moyo in ihrem Buch „Dead Aid“ nennt. Die Ökonomin und Bankerin aus Sambia ist nach der Veröffentlichung ihres Buches vom US-Nachrichtenmagazin „Time“ in eine Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgenommen worden. Sie beschreibt drei Kategorien: 1. Humanitäre Hilfe nach Katastrophen, 2. karitative Hilfe von Organisationen an Institutionen oder Personen im jeweiligen Land, 3. systematische Hilfe – direkte Zahlungen von Regierungen oder Institutionen wie der Weltbank an Regierungen, wozu auch die ODA gehört. Moya sieht bei den ersten beiden Wegen noch Positives, kritisiert aber in manchen Fällen hohe Verwaltungskosten, schlechtes Management, langsame Bürokratie oder das Fehlen von Partnern vor Ort. Die systematische Hilfe kommt bei Moyo überhaupt nicht gut weg: Die Regierungen hätten Afrika in den vergangenen 50 Jahren mehr als zwei Billionen Dollar zukommen lassen. Dennoch gehe es den Menschen nicht besser. Es gehe ihnen sogar schlechter.
Vielmehr sollte den Menschen in der Dritten Welt mit Mikrokrediten geholfen werden, findet Moyo. Mit – aus Sicht der Industrieländer - kleinen Kredite können sich Menschen aus Entwicklungsländern schon eine Existenz aufbauen. Dambisa Moyo empfiehlt eine Förderung über die Internetseite Kiva. Hier können Interessierte Mikrokredite an Menschen oder kleine Projekte vergeben. 25 Dollar leihen die einzelnen privaten Förderer; die Projekte haben meist ein Volumen von 500 bis 2000 Dollar. Kiva arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort, die förderungswürdige Projekte empfehlen. Ob die Solomey, die in Ghana ihr eigenes Lebensmittelgeschäft eröffnen möchte, oder Bridget, die in Nigeria ihr Bekleidungs-Gewerbe aufbauen möchte – es stehen verschiedene Projekte zur Auswahl.
Blick auf "gute Regierungsführung"
Mikrokredite, warnt Wolf-Christian Ramm, Sprecher von Terre des Hommes, seien kein Allheilmittel: Sie „können einen guten Beitrag zur Entwicklung zum Beispiel im ländlichen Raum (Brunnenprojekte, Kreditgenossenschaften) leisten. Manche sozialen Prozesse, politischen Veränderungen und Lernen durch gegenseitigen Erfahrungsaustausch als Voraussetzung für Innovation und so weiter lassen sich jedoch nicht automatisch und zwingend, oft auch gar nicht mit diesem Instrument erreichen“.
Ramm spricht sich für die öffentliche Entwicklungshilfe aus: „Wir halten die Entwicklungshilfe für ein wichtiges Instrument, das allerdings gezielt der Armutsbekämpfung und den Bedürfnissen der Ärmsten zugute kommen muss.“ Die Entwicklungszusammenarbeit müsse den Blick auf das richten, was gemeinhin „gute Regierungsführung“ genannt wird, sprich Partizipation der Bevölkerung, Rechtssicherheit etc. „Natürlich soll kein Geld durch Korruption abgezweigt werden. Hierauf achten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wie auch Nichtregierungsorganisationen als Sachwalter von Steuermitteln beziehungsweise Spenden. Allerdings sollte man mit Klischees vorsichtig sein, denn im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen wird ein vielfaches der gesamten internationalen Entwicklungshilfe pro Jahr zweckentfremdet.“