Kopenhagen. Interviews mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sind selten. Im Gespräch mit DerWesten sagt er, warum im Kampf gegen den Klimawandel die Industrieländer in der Pflicht sind. Außerdem erklärt er, warum Afghanistan weiter Hilfe braucht - und welche Hoffnungen er in Barack Obama setzt.
Wir sind hier in Kopenhagen, dem Schauplatz der Klima-Konferenz im Dezember, auf der ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll verabschiedet werden soll. Von einem Durchbruch scheinen die Staaten noch weit entfernt, wie der Klima-Gipfel der UNO gerade gezeigt hat. Sind Sie dennoch zuversichtlich, dass es zu einem Abkommen kommt?
Ban Ki Moon: Wir bemühen uns sehr, dieses Übereinkommen im Kopenhagen im Dezember unter Dach und Fach zu bekommen. Ich weiß, einige Länder sind spät dran. Die USA mit ihrer gewaltigen Wirtschaftskraft haben bisher nur wenig zum gemeinsamen Erfolg beigetragen. Die USA und die anderen Schlüsselmächte haben aber jetzt volle Unterstützung zugesagt, um einen Durchbruch zu erreichen. Jetzt müssen wir den Schwung bis Kopenhagen aufrechterhalten, damit die Verhandlungen nach klaren Regeln ablaufen können.
Entwicklung ist mit mehr Kohlendioxyd verbunden. Die Industriestaaten möchten die Schwellen- und Entwicklungsländer überzeugen, einen anderen Weg zu gehen, sind aber selbst nicht dazu bereit. Wie beurteilen Sie diese Glaubwürdigkeitslücke?
Ban Ki Moon: Ich bedränge die Führer der Industrie- und Entwicklungsländer, ohne zu zögern alles zu tun, was sie müssen. Der Klimawandel geht von den Industrieländern aus. Sie haben eine historische Verantwortung und die finanziellen und technologischen Möglichkeiten, so etwas in die Wege zu leiten. Sie sollten den Entwicklungsländern substanziell, finanziell und technologisch unter die Arme greifen und ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. Die Entwicklungsländer müssen ebenso ihren Teil übernehmen. Sie sollten entsprechende Anstrengungen machen, eine „grüne“ Wirtschaft aufzubauen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermindern und ernsthaft zu versuchen, Alternativenergien durch Verwendung nachwachsender Rohstoffe zu erschließen, und ihren Energieverbrauch zu reduzieren. Das sollten sich überschneidende Anstrengungen sein.
In Genf haben die Gespräche der Sechsergruppe (der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und Deutschlands) mit dem Iran begonnen – seit langer Zeit unter aktiver amerikanischer Beteiligung. Ist das eine letzte Chance, den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen oder sind verschärfte Sanktionen, wenn nicht gar ein militärischer Schlag unausweichlich?
Ban Ki Moon: Ich habe Präsident Ahmadinedschad in New York getroffen und ihn dringend gebeten, die Transparenz und die - wie er behauptet - friedlichen Ziele des iranischen Nuklear-Entwicklungsprogramms zu belegen. Die Grundlage für einen solchen Beweis liegt auf der iranischen Seite. Nach der ersten Runde in Genf bin ich zuversichtlich. Die Iraner haben erklärt, dass sie ihre Atomfabriken den IAEO-Inspektoren öffnen wollen. Bis jetzt haben die Europäer die Verhandlungen geleitet, die nun durch die volle Unterstützung der USA mit viel mehr Druck vonstatten gehen werden.
Nordkorea hat ebenso wie der Iran mit neuen Raketentests auf die verschärften Sanktionen des Sicherheitsrates reagiert. In den letzten Wochen jedoch zeigt die Regierung in Nordkorea ein freundliches Gesicht. Sehen Sie neue Chancen für eine Kooperation?
Ban Ki Moon: Ich war äußerst besorgt, was in der letzten Zeit vorgegangen ist. Zwischen den Atom- und den Raketen-Tests muss man in der gegenwärtigen Situation den Sinn für Hoffnung behalten. Der chinesische Premierminister hat gerade Pjöngjang besucht. Und die USA und Nord-Korea scheinen an bilateralen Gesprächen interessiert zu sein.
Das Regime Nord-Koreas will direkte Gespräche mit den USA.
Ban Ki Moon: Richtig. Es gibt auch Hoffnungszeichen für die Zusammenführung getrennter süd- und nord-koreanischer Familien. Nord-Korea hat zwei amerikanischen Journalistinnen ebenso wie einen koreanischen Geschäftsmann und Schiffsbesatzungen, die alle verhaftet waren, frei gelassen. Diese Art zu handeln stärkt die Zuversicht Wiederversöhnung zwischen Nord-Korea und den anderen Länder in der Region. Wir hoffen, dass Pjöngjang zu den Sechs-Parteien-Gesprächen zurückkehrt. Als Generalsekretär fordere ich alle betroffenen Parteien auf, die Streitpunkte im Dialog in friedlicher Weise so schnell wie möglich zu lösen. Und Nord-Korea sollte sein Verhältnis zu den USA und Japan wieder verbessern.
Sie haben die internationalen Bemühungen gewürdigt, Afghanistan wieder aufzubauen und eine Rückkehr zu Anarchie und Terrorismus zu verhindern. In der Öffentlichkeit vieler Staaten, die Soldaten nach Afghanistan geschickt haben, schwindet die Akzeptanz für diesen Militäreinsatz. Warum muss die internationale Gemeinschaft am Hindukusch bleiben?
Ban Ki Moon: Friede, Stabilität und Demokratisierung in Afghanistan haben wichtige Folgen: Nicht nur, um diese Region voran zu treiben. Deshalb sollte die internationale Gemeinschaft ihre Unterstützung weiterführen. Afghanistan durchlebt eine sehr schwierige Zeit. Aber zum ersten Mal haben sie dort Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchgeführt. Das ist eine Verbesserung. Obwohl uns der angebliche Wahlbetrug und Unregelmäßigkeiten bei der Wahl stören, sollte das letzte Urteil einer unabhängigen Expertenkommission überlassen werden. Jetzt hat die internationale Gemeinschaft die politische Verantwortung, Afghanistan im eigenen Kampf gegen Terrorismus und seinen Bemühungen um soziale und wirtschaftliche Entwicklung und um bessere Verwaltungsstrukturen zu unterstützen. Viele Länder haben einen militärischen Beitrag und wirtschaftliche Hilfe geleistet. Ich lasse nicht locker, die politische Führung dieser Länder zu überzeugen, den gegenwärtigen Umfang ihrer Hilfeleistung beizubehalten.
Die USA haben sich unter Präsident Obama vom Unilateralismus seines Vorgängers abgewandt. Kein Land könne die Probleme allein lösen, hat Obama vor der UNO bekräftigt. Sehen Sie in diesem Bekenntnis eine Stärkung der Weltorganisation?
Ban Ki Moon: Es macht viel Mut, zu sehen, wie sich Präsident Obama und seine Administration als starke Partner der UNO voll einbringen. Wir stehen ja einer Vielzahl neuer Herausforderungen gegenüber: der internationale Finanzkrise, dem Klimawandel, der Sicherheit der Energieversorgung. Diese globalen Herausforderungen verlangen kollektives Handeln und Unterstützung der Weltgemeinschaft.
Außerhalb der UNO gewinnen die G 20 an Gewicht, die in Pittsburgh gerade die Grundlage für eine neue Weltwirtschaft gelegt haben. Stellen solche Steuerungsgremien die Legitimität der UNO in Frage?
Ban Ki Moon: Nein, im Gegenteil. UNO und G 20 sollten sich ergänzende Wege gehen, sich gegenseitig verstärkende Lösungen gegen die internationalen Krisen suchen, besonders gegen die internationale Wirtschaftskrise. Während dreier G 20 Gipfeltreffen gab es unter den Regierungschefs Diskussionen, dass die G 20 weiterhin die erste Adresse für Angelegenheiten der internationalen Wirtschaft sein sollten. Sie können eine entscheidende Rolle spielen, weil sie 85 Prozent der Weltwirtschaftsleistung auf sich vereinigen. Das ist sehr wichtig. Aber was auch immer die G 20 entscheiden oder absegnen: Sie sollten es in enger Koordination mit der UNO tun und bedenken, dass es 172 Länder gibt, die mehr als ein Viertel der Weltwirtschaftsmacht und ein Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren. Die Legitimierung von Beschlüssen sollte durch die UNO erfolgen. Wir halten es für erforderlich, dass UNO und G 20 gemeinsam vorgehen und nicht miteinander konkurrieren.
Das Hager Kriegsverbrechertribunal soll seine Tätigkeit Ende 2013 beenden. Aber der Karadzic-Prozess hat noch nicht einmal begonnen. Und Ratko Mladic ist nicht einmal gefasst. Wie sehen Sie die Rolle des Tribunals?
Ban Ki Moon: Der Präsident des Gerichts hat gesagt, dass man Möglichkeiten sucht, Verfahren Ende 2013 entweder zu beenden oder aus ihnen auszusteigen. Es sind aber immer noch zwei Delinquenten auf der Flucht. Jetzt wird ernsthaft diskutiert, welche Ausstiegsstrategien es gibt. Schlussendlich sollte es irgendeinen Mechanismus geben, die Verfahren weiter zu führen - besonders für den Fall, dass Mladic und Hadic verhaftet werden. Diese Fälle sollten über einen Ausnahmemechanismus geregelt werden. Wir brauchen bedingungslose Unterstützung für diesen Gerichtshof, damit alle diese gegenwärtigen Fälle und Verhandlungen weitergehen und so schnell wie möglich zu einem Ende gebracht werden können.
Sie haben die Reform der UNO zur Priorität Ihrer Amtszeit erklärt. Vor allem die Struktur des Sicherheitsrates aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entspricht nicht mehr der Realität im 21. Jahrhundert. Sehen Sie ernsthafte Chancen, dass der Sicherheitsrat um neue ständige Mitglieder, darunter Deutschland, erweitert wird?
Ban Ki Moon: Wie Sie gesagt haben, hat es gewaltige Veränderungen in der internationalen Gemeinschaft gegeben. Und deshalb sollte auch der Sicherheitsrat transparenter, demokratischer und repräsentativer werden. Es gibt ja ein bereits stillschweigendes Übereinkommen, dass der Sicherheitsrat vergrößert werden soll. Diese Übereinstimmung macht Mut. Denn nach 15 Jahren Debatte hat die „open-ended working group“ der Vollversammlung diesen Vorgang der Vollversammlung zur Beratung vorgelegt. Sie haben vier Monate lang diskutiert. Es gibt nur einen Konfliktpunkt zwischen den so genannten „Achieved Four“, darunter Deutschland, und der so genannten „United Four Consensus Group“, die einen mehr repräsentativen Weg bevorzugt. Ich hoffe, wir sind in der Lage, einen harmonischen Ausweg finden. Sie suchen nach einer gemeinsamen Grundlage.
Gibt es eine solche gemeinsame Grundlage?
Ban Ki Moon: Deutschland, Indien, Brasilien und Japan sind gewichtige Mitglieder, die einen gewaltigen Schub für Frieden, Stabilität und Weiterentwicklung der Weltgemeinschaft bewirken können. Auf der anderen Seite gibt es viele andere Länder, die in einem fairen und repräsentativen Verfahren Mitglieder werden möchten. Als Generalsekretär betrachte ich alles als einen Prozess zur beschleunigten Reform des Sicherheitsrates, und ich will versuchen, alles ein bisschen leichter zu machen.
Viele weltpolitische Konflikte bleiben ungelöst. Kann der UNO-Generalsekretär mehr sein als eine moralische Instanz?
Ban Ki Moon: Wir sehen uns so vielen schwierigen und komplexen multiplen Krisen gegenüber: Klimawandel, Energiesicherheit, Wirtschaftskrise und viele andere regionale politische Konflikte. Deshalb sollte der Generalsekretär jemand sein, der wirklich all diese moralische und politische Autorität vereinigt und ein Mandat der Mitgliedsstaaten der Vollversammlung und des Sicherheitsrates hat. Das habe ich die ganze Zeit getan.
Ohne starke Unterstützung und Beiträge der Mitgliedsstaaten wäre es sehr schwierig für die internationale Gemeinschaft zu erwarten, dass der Generalsekretär seine Aufgaben wahrnehmen kann. Das ist meine Pflicht. Ich finde heraus, was Sache ist. Kein einzelnes Land in der Welt, egal welche Macht es besitzt, kann diese Krisen alleine bewältigen. Wir brauchen volle Unterstützung, wir müssen das Wissen und die Ressourcen, die wir alle miteinander haben, zusammenlegen.
Sehen Sie positive Anzeichen?
Ban Ki Moon: Die USA sind zum Multilateralismus zurückgekehrt. Präsident Obama hat diesen erneuerten Multilateralismus erkannt. Das haben wir uns erhofft. Und es ist eine sehr ermutigende Situation.
Sind Sie mehr ein Sekretär als ein General?
Ban Ki Moon: Mein Titel ist Generalsekretär, ob ich nun vom Typ her Sekretär oder General bin. Ich denke, Generalsekretär sollte jemand sein, der zu beidem fähig ist. Das mache ich. Ich treffe ständig die Führer dieser Welt. Und immer wieder dränge ich, dass diese UNO effizienter wird. Ich brauche Unterstützung von Ihnen allen.