Erfurt. . Heiße Reden und offene Fragen beim Parteitag der Linken in Erfurt: Gregor Gysi fordert in einer flammenden Rede Geschlossenheit von seiner Partei, keine Personaldebatten mehr. Zeit für die Abstimmung zum Parteiprogramm bleibt da nicht.

Es hat so gut für die Linke begonnen. Seit Stunden schon ackern sich die Delegierten durch ihr Grundsatzprogramm. Die ebenso üblichen wie schädigenden Personaldebatten bleiben bis zum Nachmittag tatsächlich fast außen vor.

Dann geht es um Friedenspolitik.

„Wir wollen keine Schlupflöcher in der Sache Krieg und Frieden“, poltert ein Delegierter. Nun tritt Oskar Lafontaine ans Mirophon. „Mit mir gibt es keine Schlupflöcher“, kündigt die Parteiikone an. Das sitzt. Mit ihm als was denn bitte? Als Parteichef? Als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl? Oder nur als graue Eminenz, die vom betulichen Saarland aus im Hintergrund die Strippen zieht? Da sind sie wieder, die Personalspekulationen, die die so sehr gescholtenen Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst wenigstens während des Parteitags in Erfurt vermeiden wollten. Das habe Lafontaine nicht ohne Grund gesagt, meinen Delegierte hinter vorgehaltener Hand. Man darf also gespannt sein, wenn der 68-Jährige am morgigen Sonntag seine Rede hält.

Sich mit Verstand und Herz akzeptieren

Bereits am Nachmittag liest Fraktionschef Gregor Gysi der zwischen den Flügeln zerstrittenen Partei die Leviten. Inbrünstig ruft er die Linken und die Reformer zur Versöhnung auf. Beide Seiten müssten sich mit dem Verstand und dem Herzen akzeptieren. Allein die Reformer wären der SPD zu ähnlich. Gäbe es bei der Linken nur die Radikalen, wäre die Partei gesellschaftlich isoliert.

Es ist rhetorisches Feuerwerk und eine schonungslose Analyse, die Gysi mehr als eine Stunde abhält. Die Partei habe sich in den letzten Monaten zu sehr mit sich selbst befasst. „Wir sind verpflichtet, unsere Selbstbeschäftigung ab Montag abzulegen“, ruft der Fraktionschef, den die Delegierten mit stehenden Ovationen fast wie einen Messias feiern. Parteichefin Gesine Lötzsch haben sie am nach ihrer Auftaktrede allenfalls mit besserem Höflichkeitsapplaus bedacht.

Eindringlich warnt Gysi davor, die Piratenpartei zu unterschätzen. Sie brächten ein neues Lebensgefühl zum Ausdruck. Daraus schlussfolgert der Fraktionschef: „Wir brauchen Zugang zu der neuen Generation, wir müssen uns öffnen und mit ihnen sprechen.“

Die Überwindung des Kapitalismus

Ob dies mit dem neuen Grundsatzprogramm gelingt, ist freilich fraglich. Es geht um die Überwindung des Kapitalismus hin zum demokratischen Sozialismus. Die Partei will Großbanken verstaatlichen, die Finanzmärkte an die Kette legen, Hartz IV und die Rente mit 67 streichen. Weitere Kernforderungen sind die Abschaffung der Nato, ein Verbot von Auslandseinsätzen für die Bundeswehr. Angestrebt wird zudem die 30-Stunden-Woche und der Mindestlohn von zehn Euro.

Manchen vermeintlichen Zankapfel fegen die Delegierten überraschend flugs vom Tisch. So den Streit um die Förderung des Öffentlichen Beschäftigungssektors (ÖBS) am Freitagnacht. Die Partei will nun, wie in Leitantrag bereits vorgesehen, diskutieren, wie man den ÖBS fördern kann. Das kann alles oder nichts bedeuten, mit dem sowohl die Gegner als auch Befürworter leben können.

In anderen Punkten ziehen sich die Diskussionen über die zugelassenen 700 Änderungswünsche zum Leitantrag zäh in die Länge. Bereits am Mittag entscheiden die Delegierten, den geplanten Tanzabend abzublasen. Später beschließen sie, das Grundsatzprogramm erst am Sonntag und nicht am heutigen Nachmittag zu verabschieden.

Streitpunkt: Drogenpolitik

Für mächtig Wirbel sorgt am Vormittag ein Antrag, der für eine „rationale und humane Drogenpolitik“ eintritt. Gemäß dessen beschließen die Parteigenossen, langfristig alle Drogen zu legalisieren. Der Parteivorstand wollte eigentlich nur weiche Drogen legalisieren. Rasch machen Meldungen die Runde, wonach die Linke den harten Suchtmitteln wie Heroin Tür und Tor öffnen würde. „Ich finde den Entschluss unverantwortlich“, sagt etwa die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Carola Reimann, gegenüber Demwesten.

„Ich finde das völlig legitim“, verteidigt die stellvertretende Parteichefin der Linken, Halina Wawzyniak, den Beschluss. „Mit einer repressiven Dogenpolitik lösen wir kein Problem.“ Durch Verbote bekomme man schließlich nicht weniger Drogenabhängige.

Später versucht Gysi, dem Entschluss die Brisanz zu nehmen. Die Legalisierung gehe nur so weit, dass Ärzte wirklich Süchtigen die Drogen verordnen könnten. „Die Dealer, Zuhälter und Drogenbarone haben uns zu fürchten, daran kann es keinen Zweifel geben.“ Der Drogenhandel stehe weiter unter Strafe, sagt Parteichef Klaus Ernst.

Bis zum Abend ist das Grundsatzprogramm im Kern beschlossen. Es trage „eine deutliche Handschrift in Bezug auf eine konsequente Politik in Richtung soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung der Gesellschaft und Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, findet NRW-Fraktionschef Wolfgang Zimmermann und spricht von „Pflöcken“, die gesetzt worden seien. „Ich hätte mir aber schon gewünscht, dass einige der Anträge aus NRW noch in das Programm aufgenommen worden wären“, schränkt Zimmermann ein. Die NRW-Landesverband wollte etwa, dass die Debatte über die Förderung des ÖBS aus dem Grundsatzprogramm gestrichen wird. Vergebens.

Nun hofft die Linke, dass bei ihr endlich etwas Ruhe einkehrt und Inhalte im Vordergrund stehen. Ob dies gelingt, ist mehr als fraglich. Im November steht die Wahl der Fraktionsspitze an. Während der linke Flügel Parteivize Sahra Wagenknecht gerne als Vorsitzende an der Seite von Gysi hätte, gibt es Widerstand im Realo-Flügel. Im kommenden Jahr gibt es die Neuwahl des Parteivorstandes. Längst ist die (Nachfolge-)Debatte um die umstrittenen Chef Gesine Lötzsch und Klaus Ernst entbrannt. Womöglich kommt hier neues Öl ins Feuer, wenn Oskar Lafontaine morgen seine Parteitagsrede hält.