Essen. . Die Essenerin Anna Berkovic will Medizin studieren - und wird dazu ins kroatische Split ziehen. In Deutschland bekam sie keinen Studienplatz - trotz eines Abitur-Schnitts von 1,9. Der Traum vom Arztberuf, er ist in Deutschland nur schwer erfüllbar.

Zu wissen, wie der ­Körper funktioniert, wie alles zusammenhängt. Genetik, Biochemie, auch Physik – „die Medizin“, sagt Anna Berkovic, „ist unglaublich faszinierend.“ Das fand die Essener Abiturientin schon als kleines Kind, „ich wollte bereits als Dreijährige Ärztin werden“, sagt sie.

Ein ordentlicher Notendurchschnitt und ein fester Wille sollten doch reichen, um sich diesen Lebenstraum erfüllen zu können. „Davon war ich zumindest all die vergangenen Jahre überzeugt“, sagt sie.

Ernüchternder Sommer

Doch dieser Sommer hat sie ernüchtert. In Deutschland, hat sie gelernt, wird das nichts mit dem Medizinstudium. Trotz ihrer Eins vor dem ­Komma im Abizeugnis, trotz der guten Noten in Biologie und Physik. Und trotz ihrer Praktika bei einer Hals-Nasen-Ohrenärztin, bei einem All­gemeinmediziner und im Krankenhaus. „Wahrscheinlich gehe ich jetzt nach ­Kroatien“, sagt sie.

Genauer: Nach Split. Dort wird neuerdings das Medizinstudium auf Englisch ange­boten. Dort könnte Annas Traum vom Arztberuf in Erfüllung gehen – weil sich ihre ­Eltern verpflichten, für den ­Lebensunterhalt aufzukommen. Weil sie obendrein ­tausende Euro jährlich für die Studiengebühren dazulegen.

Dass sie mal nach Göttingen wollte oder nach Münster – „das war wohl total naiv“, sagt Anna. Sie hätte dafür die Traumnote 1,0 gebraucht.

Annas Abitur-Schnitt ist 1,9. Ziemlich gut eigentlich, aber nicht gut genug für deutsche Universitäten. Selbst Magdeburg und Jena, für Anna zweite Wahl, lehnten sie ab.

"Eine schlechte 1,0"

Die glatte Eins haben immerhin fünf Mitschüler ihrer Jahrgangsstufe geschafft. Vier von ihnen wollen Medizin ­studieren. „Eine bekam von einer Unisekretärin beim Beratungsgespräch am Telefon zu hören, sie habe aber eine schlechte 1,0“, erzählt Anna.

Sie glaubt, inzwischen würden häufiger als früher die guten Noten verteilt. Außerdem sei der Ehrgeiz der Schüler beim Rennen um den Numerus Clausus grenzenlos. „Die richtig Guten sind nie müde im Unterricht, sie haben immer perfekte Hausaufgaben und in Klausuren stets alles richtig.“

Ob sie die richtige Persönlichkeit für den Arztberuf mitbringen? „Das testen die Unis nicht. Es geht nur nach der ­Abinote.“ Anna ist frustriert über die anonyme Behandlung ihrer Bewerbung bei Hochschulstart.de, dem ­Bewerbungsportal der Universitäten, über das die Studienplatzvergabe für Medizin läuft. Und geschockt von der ­Geschichte eines Abiturienten aus Baden-Württemberg. Mit einem NC von 0,7 war Wadim Vodovazov 2010 der beste ­seines Jahrgangs im ganzen Land. In Heidelberg wollte er Medizin studieren, doch weil die beliebte Uni sogar von Spitzen-Abiturienten über­laufen ist, wurde unter den Kandidaten mit dem Schnitt 1,0 und besser gelost. Der ­Landesbeste ging leer aus.

Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ kritisierte er im Sommer 2010 das Verfahren: „Es kann doch nicht sein, dass so wertvolle Studien­plätze verlost werden“, schimpfte er damals.

Geduld ist gefragt

Wadim Vodovazov musste dank Traumnote nur ein ­Semester auf einen Platz an der Uni seiner Wahl warten. Er überbrückte die Zeit mit einem sozialen Jahr.

Anna Berkovic müsste wohl Jahre Geduld haben, wenn sie auf einem Studium in Deutschland bestehen würde. Den meisten Abiturienten ­ohne NC bleibt aufgrund der hohen Kosten kaum eine andere Wahl. So wie Tom, der im Internet sein Schicksal ­beklagt: Er sei von der Hauptschule auf das Gymnasium ­gewechselt, um Arzt werden zu können. Nun ist er stolz auf sein Abi mit einer Zwei vor dem Komma. Er will es jetzt mit Biologie versuchen und dann irgendwie und irgendwo in die Medizin reinrutschen.

Anna Berkovic träumte lange von einem Studentenleben in einer deutschen Universitätsstadt. Inzwischen hat sie sich an den Gedanken gewöhnt, nach Kroatien zu ­gehen. „Eigentlich ist es doch toll, im Ausland zu studieren. Ich habe das bei anderen ­Leuten immer bewundert“.