Berlin. . Hundert Tage ist Philipp Rösler (FDP) nun Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler. In dieser Zeit durfte er zwar seine Punkte machen, doch die Aufbruchstimmung in der Partei ist seit seiner Wahl verflogen. Die Umfragewerte der Liberalen stagnieren bei drei bis fünf Prozent.

Wenn einer Optimismus vorleben kann, dann der unaufgeregte Philipp Rösler. „Man darf sich nicht nervös machen lassen“, meint der FDP-Chef. Gerade 100 Tage im Amt – am 13. Mai war er als Nachfolger Guido Westerwelles gewählt worden – argumentiert er bereits aus der Defensive heraus. Was soll erst werden, wenn die traditionelle Schonzeit vorbei ist?

Es waren lehrreiche 100 Tage. Die Partei hat erfahren, dass die Vertrauenskrise nicht allein an Westerwelle lag und sich mit dem Wechsel nicht erledigt. Sie stagniert in Umfragen bei drei bis fünf Prozent.

„Es ist frustrierend“

„Es ist frustrierend“, sagt ein Haudegen wie der Kieler Liberale Wolfgang Kubicki. Rösler wird mit ihm wie mit Sylvia Canel konfrontiert, einer Abgeordneten, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht: „Ich bin mit manchem sehr unglücklich in dieser Koalition.“ Stimmen, die eines belegen: Die Aufbruchstimmung ist dahin.

Im November hält die FDP einen Parteitag ab. Man wird Bilanz ziehen. Hat er das Versprechen seiner Wahl („Ab heute wird die FDP liefern“ ) eingelöst? Hat Rösler wirklich geliefert?Die vorläufige Antwort: Mit Rösler kehrte Ruhe ein. Auch hat er Akzente gesetzt. Eine Einigung über die Anti-Terror-Gesetze, einen Steuerbeschluss und die Initiative für eine Schuldenbremse und einen Wirtschaftsrat in der EU. Rösler durfte seine Punkte machen.

Als Minister brachte Rösler das Gesetz gegen die Marktmacht von Konzernen durch. Es ist eine laue Erinnerung daran, dass seinem Ressort einige Zuständigkeiten geblieben sind, etwa im Kartellrecht. Mehr noch als von Kompetenzen lebt ein Minister von seiner Überzeugungskraft. Die FDP will Steuern senken – der Finanzminister ist gefragt. In der Europa-Debatte geht nichts ohne Merkel. Fordert die FDP, ausländische Fachkräfte anzuwerben, stellt sich der Innenminister quer. So spürt Rösler die Begrenzung des Amts und die Konkurrenz.

Als Minister gepunktet

Trotzdem wollte er den Job und nicht länger Gesundheitsminister bleiben. So sehr wollte er ihn, dass Rainer Brüderle weichen musste. Den muss Rösler als Fraktionschef ertragen. In der engeren Führung hat er Leute um sich, mit denen er „kann“. Den Chef der NRW-FDP, Daniel Bahr, nun Gesundheitsminister, und Generalsekretär Christian Lindner. Sie sind zugleich seine potenziellen Nachfolger. Rösler will sich freilich halten. Gerade besetzt er die Schaltstellen im Thomas-Dehler-Haus mit seinen Leuten, oft frühere Mitstreiter aus Niedersachsen.

Sein Vorgänger Guido Westerwelle nimmt sich zurück. Neulich konnte man gar beobachten, wie Parteifreunde Rösler in Schutz nahmen, als Kubicki „Mut zur thematischen Führung“ anmahnte. Rösler weckt Beschützerinstinkte. Es besteht also Hoffnung, auch in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo gewählt wird.

Bewährungsprobe Schleswig-Holstein

Es gibt zwei große Fragen: Wie viel Zeit und wie viel Glück hat Rösler? Die Bewährungsprobe ist wohl die Wahl in Schleswig-Holstein im Mai 2012. Die Sache mit dem Glück ist wiederum verknüpft mit einer Sachfrage: Rösler hat sich wie Westerwelle Steuersenkungen verschrieben.

Die Konjunktur darf nicht kippen, die EU-Krise sich nicht verschärfen – die Steuerreform geriete in Gefahr. Zudem können die Länder der FDP einen Strich durch die Rechnung machen. Warum er sich auf das Glatteis begab, auf dem schon Westerwelle ausrutschte, bleibt sein Geheimnis. Offenbar hat Rösler das Gefühl, mit anderen Themen nicht durchzudringen, solange er nicht geliefert hat.