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Manch ein Doktor, der zuvor stolz auf der Nennung seines Titels bestanden hat, verzichtet mittlerweile lieber darauf. Je mehr Plagiate aufgedeckt werden, desto tiefer sinkt das Ansehen des Titels.
Jetzt hat es Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann erwischt, und der FDP-Europapolitiker Jorge Chatzimarkakis könnte der Nächste auf der Liste der überführten Abschreiber sein. Die Uni Bonn will in den nächsten Tagen über die Aberkennung seines Titels befinden. Keine gute Zeit für Plagiatoren – ebenso nicht für die Reputation des Wissenschaftsbetriebs.
„Titelhuberei“
Deshalb hatte Bundesbildungsministerin Annette Schavan kürzlich die Unis aufgefordert, sich an die eigene Nase zu fassen und „nicht auf eine möglichst hohe Zahl von Titelvergaben zu zielen“. Der Doktorgrad müsse „Ausdruck einer wissenschaftlichen Qualifikation“ sein und nicht ein „Statussymbol oder Titelhuberei“, so Schavan in der FAZ.
Das nehmen ihr die Professoren übel und hauen ihr die „Titelhuberei“ nun rhetorisch um die Ohren. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands, der die Interessen von rund 24 000 Wissenschaftlern vertritt, bezeichnet die Schelte aus Berlin als „scheinheilig.“ Um seinen Ärger zu verstehen, muss man wissen, dass viele Bundesländer Zuweisungen an die Hochschulen an bestimmte Leistungskriterien binden. In NRW erhalten die Hochschulen 80 Prozent der Mittel als festes „Grundbudget“, der Rest wird als „Leistungsbudget“ verteilt. Berücksichtigt werden dabei die Zahl der Absolventen, die Höhe der durch die Hochschule eingeworbenen Forschungsgelder (Drittmittel) – und die Zahl der Promotionen. Wer hier gute Zahlen vorweisen kann, bekommt mehr Geld vom Land.
„Scheinheilig“
Kempen weist der Politik also indirekt eine Mitschuld an der „Titelhuberei“ zu, wenn er dieser Zeitung sagt: „Es ist seitens der Politik scheinheilig, bei den Universitäten öffentlich den selbstkritischen Umgang anzumahnen, zugleich aber die Zahl der betreuten Promotionen zu einer maßgeblichen Kennziffer bei der leistungsorientierten Mittelvergabe zu erheben.“ Kempen weiter: „Damit leisten die Ministerien einer freizügigen Titelvergabe, die sie jetzt beklagen, sogar Vorschub.“ Die Kriterien der „Leistungsorientierten Mittelvergabe“ (kurz: LOM) müssten geändert werden und sich mehr auf die Qualität statt auf die Quantität der Doktorarbeiten beziehen.
Die Zahl der Promotionen wird bei den leistungsgebundenen Mitteln indes mit zehn Prozent nur gering gewichtet, wichtigere Indikatoren dafür sind die Absolventenzahl und die Höhe der Drittmittel. Der finanzielle Anreiz sei also zu gering, um durch eine „Promotion light“ möglichst viele durch das Verfahren zu schleusen, meint Gerhard Möller, Kanzler der Ruhr-Uni Bochum. „Ich würde diesem Verdacht deutlich widersprechen“, so Möller. „Es gibt keine Prämie für Promotionen.“
Systemzwang zu leichteren Abschlüssen
Doch scheint sich mit den Plagiatsaffären der aufgestaute Unmut vieler Wissenschaftler über die seit Jahren zunehmende Mittelvergabe nach Leistung Bahn zu brechen. Auch die Hochschulrektorenkonferenz und die einflussreiche Deutsche Forschungsgemeinschaft kritisieren die steigende Bedeutung quantitativer Faktoren für Geldzuweisungen.
Diese Entwicklung erzeugt nach Ansicht von Prof. Winfried Menninghaus, Literaturwissenschaftler an der FU Berlin, auf Dauer einen „Systemzwang zu schnelleren und leichteren Abschlüssen“. Bezogen auf die Studiengänge sagt er: „Anspruchsvolle Lehrpläne werden bestraft durch Abzug von Geld.“ Die LOM-Kriterien belohnten vor allem den möglichst raschen Durchfluss möglichst vieler Studenten. Er nennt das „Tonnenideologie“: Masse statt Klasse.