Berlin. . Gregor Gysi hat seine Linken-Fraktion offenbar nicht mehr im Griff. Bei einer Abstimmung zum Thema Antisemitismus wurde es laut, einige Abgeordnete verließen sogar den Saal. Der Eklat war perfekt. Das Verhältnis zu Israel ist in der deutschen Linken seit jeher schwierig, doch der Streit in der Fraktion spiegelt auch eine grundsätzliche Kritik an Gysi wider.

Sie Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag sollten sich über ihre Haltung zu Israel verständigen. So wollte es Gregor Gysi; schon, um sich danach „wirklich auf andere Themen zu konzentrieren“. Der Chef hatte seine Fraktion allerdings falsch eingeschätzt. Als die Abgeordneten der Linken am Dienstagabend berieten, fand ihre Fraktionssitzung ein unschönes Ende: Gegenseitige Vorwürfe, persönliche Angriffe, einige verließen aus Protest den Saal. Der Eklat war da. Sechs stimmten einem Antrag nicht zu, und elf enthielten sich. Auch sie fanden es überflüssig, was der Fraktionschef festhalten wollte: Dass Kritik an der israelischen Politik kein Antisemitismus sei.

„Wieso die Leidenschaft bei dem Thema?“, fragte sich Gysi. Der Verlauf des Abends wird unterschiedlich interpretiert. Die einen fühlen sich darin bestätigt, dass Gysis Autorität schwindet, dass er seinen Instinkt verliert. „Ich weiß natürlich“, rechtfertigt er sich, „dass ein paar gestern sauer waren, aber ich weiß auch, wie schnell sich das wieder beruhigt.“ Er gehe davon aus, dass man bei dem Thema „Vorsicht walten lassen“ werde.

Rückblick: Seit Wochen wird den Linken erneut „Antisemitismus“ vorgeworfen. Dagegen hat sich ihre Fraktion am 7. Juni verwahrt und versichert, dass man sich an keinen einseitigen Initiativen oder an Boykotts gegen Israel beteiligen werde. Heißt das etwa, dass Kritik an der israelischen Politik gleich Antisemitismus sei? So wollte das Gysi auch nicht stehen lassen. Deswegen pochte er auf einen weiteren Beschluss nun am Dienstag. Darüber erhitzen sich die Gemüter, und als Parteichef Klaus Ernst auch noch die Lebensleistung eines ostdeutschen Abgeordneten in Frage stellte, kam es zum Eklat.

Die Chemie in der Fraktion stimmt nicht

Alle waren aufgewühlt. Ernst setzte noch am Abend eine Entschuldigung auf, und Gysi schaltete sein Handy ab, weil eine SMS nach der anderen kam. Vielen sprachen ihm Mut zu, wollten ihn aufbauen. Offenbar sorgten sie sich, ihr Vorsitzender könnte über Nacht das Handtuch werfen. „Nun ist es mal ausgetragen“, tröstete er sich am nächsten Morgen. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass die Chemie in der Fraktion nicht stimmt; dass der eine oder andere sich den autoritären Oskar Lafontaine wieder zurückwünscht.

Klaus Ernst

Klaus Ernst, Parteivorsitzender der Linken, wurde am 1. November 1954 in München geboren.
Klaus Ernst, Parteivorsitzender der Linken, wurde am 1. November 1954 in München geboren. © ddp
1969 verließ er das Elternhaus und brach die Schule ab. Das Foto zeigt ihn mit Luc Jochimsen, dem Fraktionsvorsitzendem Gregor Gysi und der zweiten Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch.
1969 verließ er das Elternhaus und brach die Schule ab. Das Foto zeigt ihn mit Luc Jochimsen, dem Fraktionsvorsitzendem Gregor Gysi und der zweiten Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch. © ddp
1970 begann Ernst eine Ausbildung als Elektromechaniker, die er 1974 mit der Facharbeiterprüfung beendete.
1970 begann Ernst eine Ausbildung als Elektromechaniker, die er 1974 mit der Facharbeiterprüfung beendete. © WAZ
Seit 1972 ist der Bundesvorsitzende der Linkspartei Mitglied der IG Metall, von 1974 bis 1979 war er Vorsitzender des Münchener Ortsjugendausschusses.
Seit 1972 ist der Bundesvorsitzende der Linkspartei Mitglied der IG Metall, von 1974 bis 1979 war er Vorsitzender des Münchener Ortsjugendausschusses. © WAZ Fotopool
1979 startete Klaus Ernst ein Studium der Volkswirtschaftslehre und Sozialökonomie in Hamburg und schloss es als Diplom-Volkswirt ab.
1979 startete Klaus Ernst ein Studium der Volkswirtschaftslehre und Sozialökonomie in Hamburg und schloss es als Diplom-Volkswirt ab. © WAZ
Von 1984 bis 1995 arbeitete Klaus Ernst als Gewerkschaftssekretär der IG-Metall in Stuttgart.
Von 1984 bis 1995 arbeitete Klaus Ernst als Gewerkschaftssekretär der IG-Metall in Stuttgart. © ddp
Klaus Ernst, hier im Gespräch mit Katja Kipping, der stellvertretenden Parteivorsitzenden, wurde Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, unter anderem bei Porsche, SKF und Sachs.
Klaus Ernst, hier im Gespräch mit Katja Kipping, der stellvertretenden Parteivorsitzenden, wurde Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, unter anderem bei Porsche, SKF und Sachs. © imago stock&people
Als Gewerkschafter äußerste Ernst heftige Kritik an Regierungsplänen, wie der Riester-Rente und der Agenda 2010. Mit im Bild der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel.
Als Gewerkschafter äußerste Ernst heftige Kritik an Regierungsplänen, wie der Riester-Rente und der Agenda 2010. Mit im Bild der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel. © ddp
Als langjähriges SPD-Mitglied (seit 1974) verschickte Ernst im März 2004 eine E-Mail mit dem Aufruf zur Gründung der Initiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, aus der die WASG entstand.
Als langjähriges SPD-Mitglied (seit 1974) verschickte Ernst im März 2004 eine E-Mail mit dem Aufruf zur Gründung der Initiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, aus der die WASG entstand. © ddp
Ab Januar 2005 war Klaus Ernst Mitglied der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG).
Ab Januar 2005 war Klaus Ernst Mitglied der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG). © imago stock&people
2005 wurde Ernst erstmalig in den Deutschen Bundestag gewählt. Hier mit der späteren Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, Luc Jochimsen, und der zweiten Parteivortsitzenden der Linken, Gesine Lötzsch.
2005 wurde Ernst erstmalig in den Deutschen Bundestag gewählt. Hier mit der späteren Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, Luc Jochimsen, und der zweiten Parteivortsitzenden der Linken, Gesine Lötzsch. © imago stock&people
Bei der Bundestagswahl 2009 trat Ernst auf Platz eins der bayerischen Landesliste an. Das Foto zeigt ihn mit Oskar Lafontaine, ehemaliger Fraktions- und Parteivorsitzender der Linkspartei.
Bei der Bundestagswahl 2009 trat Ernst auf Platz eins der bayerischen Landesliste an. Das Foto zeigt ihn mit Oskar Lafontaine, ehemaliger Fraktions- und Parteivorsitzender der Linkspartei. © imago stock&people
Er holte in seinem Wahlkreis mit 10,4 bzw. 9,2 Prozent das beste bayrische Ergebnis für die Linkspartei.
Er holte in seinem Wahlkreis mit 10,4 bzw. 9,2 Prozent das beste bayrische Ergebnis für die Linkspartei. © imago stock&people
Klaus Ernst und der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel.
Klaus Ernst und der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel.
Auf dem Ried-Hof in Ellmau (Österreich) verbringt Klaus Ernst seit Jahren seine Ferien.
Auf dem Ried-Hof in Ellmau (Österreich) verbringt Klaus Ernst seit Jahren seine Ferien. © ddp
Die neuen Parteivorsitzenden der Linken, Gesine Loetzsch und Klaus Ernst, jubeln am Samstag (15.05.10) auf dem 2. Parteitag der Linken in Rostock nach ihrer Wahl. Loetzsch erhielt 92,8 Prozent, Ernst 74,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. (zu ddp-Text) Foto: Jens Koehler/ddp
Die neuen Parteivorsitzenden der Linken, Gesine Loetzsch und Klaus Ernst, jubeln am Samstag (15.05.10) auf dem 2. Parteitag der Linken in Rostock nach ihrer Wahl. Loetzsch erhielt 92,8 Prozent, Ernst 74,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. (zu ddp-Text) Foto: Jens Koehler/ddp © ddp
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Gysi weiß, dass die Linke ein verkrampftes Verhältnis zu Israel hat. Das war in der DDR so und auch bei den Linken im Westen. Ein Beispiel: Als Ägypten und Israel den Gaza-Streifen abriegelten, bekam Gysi nur Anträge gegen Israel, nicht gegen Ägypten. Warum? „Ich bekam keine Antwort.“

Viel schlechtes Gewissen in der Linken

„In der DDR“, erinnert sich Gysi, habe es eine Haltung der Solidarität mit den arabischen Völkern gegeben, „und Israel galt als verlängerter Arm des US-Imperialismus.“ Die Juden, das war das eine - und Israel wurde mit Zionismus gleichgestellt. Im Westen wiederum gehörte es zur neuen Staatsräson, ein betont gutes Verhältnis zum Judenstaat zu unterhalten.

Da war viel schlechtes Gewissen dabei; Verantwortliche aus der NS-Zeit machten im neuen Staat Karriere. Viele aus der linken Opposition sympathisierten umso mehr mit den Palästinensern. Hüben wir drüben machte Gregor Gysi eine gewisse Einseitigkeit aus. Als die PDS mit der WASG zur Linken fusionierte, gehörte der Argwohn gegenüber Israel zur DNA der neuen Partei. Gysi zwang die Linke, ihr Verhältnis zu Israel zu entkrampfen. Jetzt will er zur Normalität zurück. „Ich weiß, es ist ihr Lieblingsthema“, hielt Gysi Journalisten vor, „meins ist es nicht.“