Berlin/Bochum. . Die Koalition erzielt eine Einigung für eine Korrektur des Wahlrechts, aber ein Gesetz kann frühestens erst im September in Kraft treten. Der Duisburger Martin Fehndrich gab den Anstoß für die Änderung.

Zur Not mischt sich Martin Fehndrich (42) noch mal ein. Der Duisburger deckte eine Anomalie im Wahlrecht auf, klagte erfolgreich in Karlsruhe und bereitete der Politik damit einen Stresstest, den Union und FDP am Freitagabend für sich beendeten: Sie einigten sich auf Korrekturen. Höchste Zeit. Das Verfassungsgericht hatte der Politik drei Jahre gelassen. Die Frist läuft am Freitag ab. Sie lässt sich nicht mehr einhalten. Frühestens im September kann ein neues Gesetz in Kraft treten.

Die Richter grollen. Bundestags-Präsident Norbert Lammert ist es „ärgerlich“, ja „peinlich“. Und Fehndrich, der weder Jurist noch parteipolitisch aktiv, sondern ein promovierter Physiker ist, wird wieder genau hinschauen: Wird das „negative Stimmengewicht“ vermieden? Das ist die Tücke.

Es geht um den widersinnigen Effekt, das eine Partei mehr Sitze erhalten kann, wenn sie weniger Stimmen bekommt. Das kommt vor, weil die Stimmen über die Landeslisten hinweg miteinander verrechnet werden und wenn Parteien sogenannte Überhangmandate erhalten. Die fallen an, wenn eine Partei in einem Land mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach ihren Zweitstimmen zuständen.

Man kann die Überhangmandate auf den Prüfstand stellen oder – die Verrechnung. Ist es eine Frage des Eigennutzes? An den Überhangmandaten hält die Union fest; sie profitiert auch am meisten davon. Sie schlägt vor, die Landeslisten zu trennen. Keine Verrechnung, auch kein negatives Stimmgewicht mehr.

Von Politik missachtet

Nun passiert es immer wieder, dass eine Partei etwas mehr Stimmen erhält, als es für ein Mandat ausreicht. Wenn diese Restgrößen – Land für Land – nicht miteinander verrechnet werden, haben kleine Parteien eventuell das Nachsehen, so etwa die FDP in Bremen. Die Liberalen schalteten so lange auf stur, bis die Union vorschlug, die Reststimmen wenigstens mit Mandaten auszugleichen. Und das ist das Ergebnis: Die Union behält ihre Vorteile, die FDP auch. SPD, Grüne und Linke behalten sich aber Klagen vor. Geht es etwa schon wieder los?

Auf die Krux mit dem Kreuzchen kam Martin Fehndrich bei der Bundestagswahl 1994. Er saß gerade an seiner Diplom-Arbeit, rechnete flugs Ergebnis und Sitzverteilung nach, erkannte die Unsinnigkeit des Systems und schrieb die Abgeordneten an. Das Interesse war mäßig. Ihre Ignoranz ärgerte ihn so, dass er 1999 eine eigene Internetseite aufbaute: www.wahlrecht.de

Er wird sich wieder einmischen

Er fand Mitstreiter, drei Männer aus Hamburg, Bremen und Berlin, denen es ebenfalls nicht zu mühselig war, sich mit den Tücken der Wahlarithmetik zu befassen. 1998 wandte sich Fehndrich mit seinen Bedenken ans Verfassungsgericht; er saß damals an seiner Promotion. 2005 reichte er dann Klage ein. Drei Jahre später befanden die Richter: Er hat Recht. Das Wahlrecht ist verfassungswidrig.

Die Zeit verging, Fehndrich heiratete, wurde zweifacher Vater, ging in Bochum seinem Beruf nach, der Konstruktion möglichst geräuscharmer Räder für Bahnen, und behielt all die Jahre immer die Parteien und das Wahlrecht im Auge. Es ist sein „Hobby“. Und bei Bedarf wird er sich wieder einmischen.