Essen. . Lasche Finanzkontrolle: In manchen Finanzämtern werden Steuererklärungen ohne Prüfung einfach „durchgewinkt“. Die Steuergewerkschaft sieht als Ursache die Personalnot in den Ämtern.

Wenn sich die Einkommensteuererklärungen im Eingangskörbchen zu sehr türmen, wird durchgewinkt – Finanzämter in NRW drücken dann auch mal beide Augen zu. Das geht aus internen Unterlagen hervor, die der NRZ vorliegen.

In einem Fall gab die Spitze eines Amtes aus der Rhein-Ruhr-Region im April dieses Jahres die Anweisung, „bis zu einer Gesamtbemessungsgrundlage von 25.000 Euro keine weiteren Sachverhaltsermittlungen durchzuführen“ – auch dann nicht, wenn der Computer bei der automatischen Bearbeitung der Steuererklärung Alarm schlägt und Hinweise für Ermittlungsbedarf meldet.

Rüge vom Rechnungshof

Klartext: Immer, wenn Arbeitnehmer oder Selbstständige bis zu 25.000 Euro an Kosten bei der Steuer geltend machen wollten, wurde die Erklärung durchgewinkt. Das dürfte auf deutlich mehr als die Hälfte der Erklärungen zutreffen, die im Amt bearbeitet wurde. Sachbearbeiter wurden in dem Schreiben der Amtsleitung aufgefordert, den Textbaustein zu verwenden „Ihren Angaben wurde... erklärungsgemäß gefolgt. Bitte beachten Sie, dass aus diesem Umstand für die Folgejahre kein Anspruch auf gleiche Sach- und Rechtsbehandlung entsteht.“

Der Bundesrechnungshof rügt seit Jahren, dass die Behörden beim Steuereintreiben zu lasch vorgehen. Auch an Rhein und Ruhr gibt es weitere Beispiele für „Durchwinkwochen“. Laut Insidern werden sie meist mündlich angeordnet. Einige Fälle sind aber schriftlich dokumentiert. So wurden im April 2008 in einem Amt Sachbearbeiter aufgefordert, Werbungskosten bis 2500 Euro ungeprüft zu übernehmen. Zur Begründung hieß es laut einer Besprechungsnotiz, dass der Veranlagungsbereich zu 20 Prozent unterbesetzt sei. In einem anderen Amt wurden im Jahr 2009 alle Steuererklärungen bis zu einer Bemessungsgrundlage von 15.000 Euro durchgewinkt.

Stellen abgebaut

„Es ist nicht genug Personal da, um die Arbeit vernünftig zu machen“, sagte Marc Kleischmann, Vize-Landeschef der Steuergewerkschaft, auf NRZ-Nachfrage. In der Steuerverwaltung sei im Jahr 2001 landesweit jede zehnte Stelle abgebaut worden: „Wir müssen mit 2500 Leuten weniger auskommen, obwohl die Arbeit nicht weniger geworden ist.“

Nach Ansicht Kleischmann sind in Nordrhein-Westfalen bis zu 1000 weitere Betriebsprüfer nötig sowie bis zu 1500 weitere Bearbeiter im Innendienst. „Wir arbeiten am Anschlag“, sagte Kleischmann gegenüber der NRZ. Derzeit arbeiten in NRW rund 3500 Betriebsprüfer. Im Innendienst der Finanzverwaltung sind rund 25 000 Mitarbeiter beschäftigt.

200 weitere Prüfer

Der Gewerkschafter begrüßte ausdrücklich, dass die rot-grüne Landesregierung die Betriebsprüfung verstärken will. Zum 1. September sollen 200 weitere Prüfer ihre Arbeit aufnehmen. Diese allerdings werden zwangsläufig zunächst aus dem Innendienst rekrutiert und reißen dort Löcher. Diese Löcher sollen durch zusätzliches Personal gestopft werden: „Bis das aber bereit steht, vergehen drei Jahre, so lange dauert die Ausbildung“, so Kleischmann.