Berlin. . Eine unabhängige Schiedsstelle soll künftig über Entschädigungen für Missbrauchsopfer entscheiden, deren Fälle verjährt sind. Die Beauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, legte am Dienstag ihren Abschlussbericht vor.

Eine unabhängige Schiedsstelle soll in Zukunft über Entschädigungen und Hilfen für Opfer von Kindesmissbrauch entscheiden, deren Fälle bereits verjährt sind. „Experten wie Psychotherapeuten, Fachärzte und ein Sozialrichter, aber auch Betroffene sollen über die Plausibilität der Fälle befinden“, sagte die Beauftragte zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann (SPD), am Dienstag in Berlin. Die ehemalige Bundesfamilienministerin stellte den Abschlussbericht ihrer Arbeitsstelle vor, die sich seit März vergangenen Jahres mit der Aufarbeitung der Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in Institutionen und Familien befasste.

Entschädigungen für in Institutionen missbrauchte Kinder sollen nach dem Willen Bergmanns künftig von der jeweils verantwortlichen Einrichtung getragen werden und sich an gesetzlichen Schmerzensgeldregelungen orientieren. Die Summe könne zwischen 3000 und 50.000 Euro liegen. Die Kosten für in der Familie Betroffene soll Bergmann zufolge der Bund übernehmen. Ob es für sie eine einmalige Entschädigungszahlung geben wird, ist offen. Beide Opfergruppen sollen Mittel für Therapien und Beratung aus einem Bundesfonds erhalten - auch für nicht von den Krankenkassen übernommene Therapien, wie Bergmann sagte.

Jahrzehntelanges Leiden

Bergmann forderte mehr Hilfe und Anerkennung für die Opfer: „Viele Betroffene leiden auch Jahre und Jahrzehnte nach dem Erlebten noch an den Folgen des Missbrauchs“, sagte sie bei der Vorstellung ihres Abschlussberichtes. Sie sprach sich für eine Anhebung der Verjährungsfristen für Schadensersatzansprüche auf 30 Jahre, gerechnet ab dem 21. Lebensjahr. Ein entsprechender Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellem Missbrauchs sieht dagegen vor, dass die Verjährungsfrist von bisher drei auf 30 Jahre verlängert wird, aber ab dem Tatzeitpunkt. Die Vorschläge des Justizministeriums erforderten kleine Nachbesserungen, sagte Bergmann.

Der am Dienstag in Berlin vorgestellte Abschlussbericht basiert auf einer Auswertung von 13.000 Anrufen und Briefen von Betroffenen, die seit einem Jahr die Anlaufstelle erreichten. Zudem wurden Studien miteinbezogen, Psychotherapeuten befragt und zahlreiche Gespräche mit Experten aus Beratungsstellen und Betroffeneninitiativen geführt.

Die Sonderbeauftragte soll ihre Arbeit zum 31. Oktober beenden, bis dahin können sich Betroffene sexuellen Missbrauchs telefonisch an die Beratungsstelle wenden. Bergmann forderte eine Fortsetzung der Arbeit. „Das Thema muss bleiben, es muss weitergehen - auch unabhängig von meiner Person“, sagte sie.

Studie sieht eklatantes Versagen bei kirchlicher Heimerziehung

Verantwortliche für kirchliche Kinderheime in der Nachkriegszeit haben einer Studie zufolge Misshandlungen und Missbrauch teils wissentlich geschehen lassen. In der am Dienstag vorgestellten Untersuchung werfen Bochumer Wissenschaftler sowohl kirchlichen Leitungen als auch der öffentlichen Aufsicht von damals vor, die oft problematischen Zustände gekannt zu haben.

Die Forscher gehen davon aus, dass von Ende der 40er-Jahre bis Anfang der 70er Jahre drei Viertel aller Heimkinder in konfessionellen Einrichtungen untergebracht waren. Sie rechnen mit bis zu einer halben Million Betroffenen. Religionswissenschaftler Traugott Jähnichen von der Universität Bochum sagte, dass es sich um ein "breites gesellschaftliches Problem" handelte. "Heimkindsein war ein Stigma", sagte Jähnichen. Damit zu leben, sei für Betroffene mitunter bis heute sehr schwierig.

Johannes Stücker-Brüning von der Deutschen Bischofskonferenz sprach von einem "umfassenden Modernisierungsdefizit" in dieser Zeit. Er sagte, die katholische Kirche bedauere, dass es zu diesen Zuständen gekommen sei, und forderte eine rasche Umsetzung der Ergebnisse des Runden Tisches Heimerziehung. "Die ehemaligen Heimkinder haben schon lange genug auf Entschädigung gewartet." Für sie soll ein Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro eingerichtet werden.

Für die Studie wurden neun Einrichtungen in NRW, Niedersachsen und Bayern exemplarisch untersucht. Außerdem wurden Betroffene und Verantwortliche befragt. (afp/dapd)