New York/Paris. . IWF-Direktor Dominique Strass-Kahn muss wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft bleiben. Das entschied am Montag ein Haftrichter in New York. Der Fall löst in Frankreich und in der internationalen Finanzwelt ein politisches Erdbeben aus.

Der Blick grimmig, den Mund zum Strich verzogen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, lässt Dominique Strauss-Kahn bei diesem „Gang der Schande“, so das New Yorker Blatt ­„Daily News“, das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen. Nach fast 30 Stunden in der Zelle einer Polizei­wache in New Yorks Stadtteil Harlem sieht der Chef des Internationalen Währungsfonds arg mitgenommen aus.

Welche Schockwellen und Beben seine Verhaftung am Samstag in seinem Heimatland Frankreich, in der internationalen Finanzwelt und Europas politischen Zentralen auslöste, wird Strauss-Kahn kaum ermessen können. Einen VIP-Status haben die New Yorker Polizisten ihm nicht zugestanden. Über diplomatische Immunität verfügt der mächtige Banker ohnehin nicht. In New York war er überdies privat.

Suche nach DNA-Spuren

Krawatte und Schnürsenkel hat man ihm abgenommen, als er seinem mutmaßlichen ­Opfer bei einer Gegenüberstellung vorgeführt wird. Die junge Frau, die Strauss-Kahn in seiner Hotelsuite angeblich vergewaltigen wollte und zum Oralsex nötigte, soll ihn auf Anhieb wiedererkannt haben. Polizei und Staatsanwaltschaft suchen nach Indizien, um die Beschuldigungen ­ge­richtsfest zu machen.

In einem Krankenhaus ist Strauss-Kahn auf mögliche Kampfspuren und DNA-­Spuren untersucht worden. Hautpar­tikel unter den Fingernägeln, Kratzer auf dem Körper ­kön­nen, so sie sich finden, erzählen, was sich in Suite 2806 wirklich zutrug. Strauss-Kahns Anwalt Benjamin Brafman hebt hervor, dass Strauss-Kahn dieser Untersuchung „freiwillig“ zugestimmt habe. Entschieden weist der Anwalt im Namen seines Mandanten alle Vorwürfe zurück.

Zimmermädchen soll anonym bleiben

Mit Brafman hat Strauss-Kahn einen Verteidiger engagiert, der als Spezialist für ­vermeintlich aussichtslose ­Fälle gilt. Der Starverteidiger mit dem ausgeprägten Selbstbewusstsein hat schon eine ganze Reihe prominenter Klienten herausgepaukt, die sich bereits mit anderthalb ­Füßen im Gefängnis sahen, oder Deals ausgehandelt, die seine Mandanten glimpflicher davonkommen ließen.

Bislang stützen sich die ­Er­mittlungen allein auf die ­Be­schuldigungen des Zimmermädchens. Die Polizei sicherte der 32-jährigen alleinerziehenden Mutter aus der Bronx Anonymität zu. Ihre Nachbarn und der Hausmeister in dem Apartmenthaus, wo sie seit ein paar Monaten wohnt, loben Ophelia, wie sie angeblich heißt, und ihre halbwüchsige Tochter als freundliche Mieter. Auch Kolleginnen ­be­schreiben sie als freundlich. Den Job als Zimmermädchen hat die afrikanische Immigrantin seit drei Jahren.

Überstürzte Abreise

Sie habe an der Tür zu Strauss-Kahns Suite geklopft und gerufen, erzählt sie. Doch als niemand antwortete, habe sie die Tür geöffnet und – wie es Vorschrift ist – offen stehen lassen. Als sie Strauss-Kahn nackt auf dem Flur zwischen Bade- und Schlafzimmer gesehen habe, habe sie sich ­ent­schuldigt und das Zimmer verlassen wollen. Doch Strauss-Kahn sei ihr nachgerannt, habe nach ihr gegriffen. Dann habe er sie ins Badezimmer gedrängt, gezwungen, ihn oral zu befriedigen. Nach wei­terem Gerangel sei es ihr gelungen, das Zimmer zu verlassen. Sicher ist für die Polizei, dass Strauss-Kahn überstürzt das Hotel verließ. Der Taxifahrer, der ihn zum Flughafen fuhr, beschrieb laut Polizei dessen ­Zu­stand als „aufgelöst und ­ge­stresst. Er war in wahnsin­niger Eile, wollte so schnell als möglich weg“.

Fast wäre es ihm auch gelungen, sich in Richtung Paris abzusetzen. Doch Strauss-Kahn brachte die Polizei selbst auf seine Spur, als er im Hotel anrief, um nach seinem vermissten Handy zu fragen. Er sei am Flughafen, sagte Strauss-Kahn auf die Frage, wo er denn sei. Danach war es für die Polizei, die mithörte, eine Sache von Minuten, ihn im startbereiten Flieger festzunehmen.

In Frankreich hat der Fall um den aussichtsreichen sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Strauss-Kahn ein politisches Erdbeben ausgelöst. Viele finden die Vorwürfe so unglaublich, dass sie den als Schürzenjäger bekannten IWF-Chef als Opfer eines Komplotts hinstellen. Präsident Nicolas Sarkozy höhnte: „Neben ihm würde ich als Methodisten-Pastor oder strenger Lutheraner durchgehen.“

Doch ein Alibi?

Die Zeitung „Le Monde“ berichtete, Strauss-Kahn habe ein Alibi. Er sei mit seiner Tochter Camille Mittagessen gewesen, was die Belege der Kreditkarten beweisen würden. Er habe seine Hotelrechnung um 12.28 Uhr bezahlt und sich dann auf den Weg zum Essen gemacht. Danach sei er zum Flughafen gefahren. Diese Zeitangaben stehen in Widerspruch zu ersten Angaben der New Yorker Polizei, wonach Strauss-Kahn gegen 13 Uhr in seinem Hotelzimmer versucht haben soll, das Zimmermädchen zu vergewaltigen.

Parallel dazu wurden in Paris jedoch neue Vorwürfe gegen den jäh abgestürzten Polit-Star laut. „DSK“ hat demnach bereits 2002 versucht, eine junge Journalistin zu vergewaltigen. Tristane Banon heißt die Frau, die den Spitzenpolitiker damals um ein Interview bat. Ihre Tatversion: Zuerst drängt er sie zu Zärtlichkeiten. Doch die Journalistin weist ihn ab. Dann kommt es zu Handgreiflichkeiten. „Wir lagen auf dem Boden“, so Tristane. „Ich wehrte mich mit Fußtritten, doch er öffnete meinen BH und versuchte mir die Jeans auszuziehen.“ Trotzdem sei ihr die Flucht gelungen. Nun hat sie doch noch Anzeige erstattet.

Schürzenjäger-Image

Dass Strauss-Kahn einen ­anscheinend unersättlichen Drang zum weiblichen ­Ge­schlecht verspürt, weiß Tout-Paris. Seit jeher genießt der charmante Politiker das Image eines Schürzenjägers. Doch spätestens seit dem New Yorker Skandal legt sich ein langer Schatten auf das posi­tive Image des prominenten Sozialisten und Hoffnungs­trägers seiner Partei. Nun zeichnen sie ein ganz anderes Bild von ihm: nicht mehr das des Charmeurs und Bonvivants, sondern das eines Schwerenöters und ­Bu­sengrapschers. Mehr noch: das Bild eines mutmaßlichen Kriminellen, der Frauen ­er­niedrigt und dabei offenbar vor Gewalt und Vergewal­ti­gung nicht zurückschreckt.

Am Freitag muss Strauss-Kahn erneut vor Gericht erscheinen. (mit afp)