Essen/Berlin. . Die Doktorjäger von Vroni-Plag haben den nächsten Politpromi zu Fall gebracht: Die FDP-Spitzenpolitikerin und Vizepräsidentin des EU-Parlaments Silvana Koch-Mehrin erklärte ihren sofortigen Rücktritt von allen Ämtern.
Medienphänomen, Selbstdarstellerin, politisches Leichtgewicht – es waren nicht die nettesten Attribute, die Silvana Koch-Mehrin in den vergangenen Tagen zugeschrieben wurden. Die Kommentatoren mussten sie sich nicht einmal selbst ausdenken, sie wurden reichlich gefüttert durch liberale Politiker, denen die Medienpräsenz der fotogenen Europapolitikerin schon lange auf die Nerven ging. Gerade deshalb müssten sie umso zufriedener mit der Art ihres Abgangs sein: leise, zurückhaltend, bar jeder Schärfe gegen Doktorjäger oder gemeine Medien.
Anders als Guttenberg
Ihren Rücktritt von allen Ämtern ließ Koch-Mehrin per schriftlicher Erklärung über ihr Brüsseler Büro verbreiten. Sie vermied dabei jenen Pathos und jenes Selbstmitleid, das sich Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei seinem Rücktritt am Fuße des Treppenhauses im Verteidigungsministerium gönnte. Die Verteidigungsstrategie des Ex-Ministers darf seit gestern offiziell gegen ihn verwendet werden, nachdem die Universität Bayreuth ihr vernichtendes Gutachten über Guttenbergs systematisches und vorsätzliches Plagiat veröffentlichte.
Koch-Mehrin hat daraus ganz offensichtlich gelernt und sich gar nicht erst zu den Vorwürfen, auch ihre Doktorarbeit sei ein Plagiat, geäußert. Dies, obwohl diese bei weitem nicht so massiv waren wie gegen den gefallenen bayrischen Politstar. Wie gestern Abend in Berlin zu vernehmen war, wird es der 40-Jährigen in der eigenen Partei hoch angerechnet, dass sie ganz anders reagierte als Guttenberg. Der hatte sogar gefallene deutsche Soldaten für seine Relativierung ins Feld geführt, es gebe Schlimmeres als wissenschaftliche Fehler. Die Uni Bayreuth zitierte ihn nun auch damit, seine Familie habe ihn zu sehr unter Druck gesetzt.
Koch-Mehrin schweigt zur Sache. Ihre Doktorarbeit werde an der Uni Heidelberg überprüft, ließ Koch-Mehrin gestern wissen. Und: „Ich möchte, dass diese Prüfung nun vertraulich, fair, nach rechtsstaatlichen Maßstäben und ohne Ansehen der Person durchgeführt und nicht dadurch belastet wird, dass ich herausgehobene Ämter innehabe.“
Silvana Koch-Mehrin
Erleichterung in FDP-Kreisen
Die dreifache Mutter begründete diesen Schritt auch damit, dass sie ihre Familie schützen und ihrer Partei den Neuanfang erleichtern wolle. Das hat sie bereits geschafft. Vor dem Parteitag der Liberalen in Rostock war am Mittwoch in Berlin in FDP-Kreisen Erleichterung zu spüren. Durch die Verdichtung der Plagiats-Vorwürfe hatte man befürchtet, dass Koch-Mehrin sich nicht würde halten können. Mit ihrem gestrigen Rücktritt hat sie dem designierten neuen Parteichef Philipp Rösler eine Sorge genommen. Man habe sie nicht zu diesem Schritt gedrängt, hieß es.
Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass Koch-Mehrin in der Berliner Parteizentrale bei weitem nicht die Rolle spielte, die ihr Amt als Vizepräsidentin des EU-Parlaments hätte vermuten lassen. Die meisten Parteikollegen in der Hauptstadt wurden von der abendlichen Nachricht überrascht. Sie hatte Rösler kurz zuvor informiert, hieß es.
Koch-Mehrin war kein gewähltes Mitglied des Präsidiums, sondern saß dort qua ihres Amtes im EU-Parlament. Deshalb dürfte ihr Rücktritt in Brüssel ein größerer Vorgang sein als in Berlin. Über ihren Sprecher ließ sie mitteilen, Europa-Abgeordnete bleiben zu wollen. Zum Parteitag in Rostock werde sie wohl eher nicht anreisen, sagte er.
Die kommenden Wochen will die Historikerin nutzen, um die von der Uni Heidelberg verlangte Erklärung zu den Plagiatsvorwürfen zu schreiben. Die Uni hat ihr dafür vier Wochen eingeräumt. Die FDP wird ihr die Zeit geben.
- Die Rücktrittserklärung von Silvana Koch-Mehrin im Wortlaut