Berlin. . 17 deutsche Atomkraftwerke werden auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Flugzeugabstürze, Erdbeben und Hochwasser getestet. Die AKW-Betreiber RWE und Eon haben konstruktive Mitarbeit bei den Stresstests zugesagt.
Die 17 deutschen Atomkraftwerke müssen ihre Widerstandsfähigkeit gegen Flugzeugabstürze, Erdbeben und Hochwasser unter Beweis stellen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen stellte am Donnerstag in Berlin einen Prüfkatalog für die anstehenden Stresstests vor, den Experten der Reaktorsicherheitskommission (RSK) abarbeiten sollen. Von deren Befunden hängt maßgeblich der Weiterbetrieb der Meiler ab. Mit der Prüfung sollten die Konsequenzen aus der Atomkatastrophe in Japan gezogen werden, sagte der CDU-Politiker. Der Versorger Eon und RWE sagten eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Kommission zu.
Mit dem Katalog nimmt die Sicherheitsüberprüfung der AKW konkrete Formen an, die die Bundesregierung nach der Atomkatastrophe in Japan Mitte März angeordnet hatte. Für die Zeit der auf drei Monate angesetzten Tests wurden die ältesten sieben Meiler vom Netz genommen. Die RSK werde bis zum 15. Mai einen ersten Bericht vorlegen, kündigte Röttgen an. Bis Mitte Juni gebe es dann politischen Entscheidungsbedarf.
Freisetzung von Radioaktivität verhindern
Geplant sei eine Art Stresstest, sagte RSK-Chef Rudolf Wieland. So werde geprüft, ob die AKW gegen Abstürze von Militärflugzeugen wie auch von voll besetzten und betankten Passagiermaschinen sicher seien. Geprüft werde auch, ob die Meiler gegen terroristische Angriffe - etwa gegen sicherheitsrelevante Einrichtungen - geschützt seien. Ziel müsse immer sein, die Freisetzung von Radioaktivität zu verhindern.
Die RSK-Experten wollen prüfen, ob die Atomkraftwerke größere Erdbeben überstehen können. Auch klimatische Ereignisse wie Hochwasser und Trockenheit sollen simuliert werden. Es gehe darum, was beispielsweise in einem Reaktor passiere, wenn es zu einem längeren Stromausfall komme, sagte Wieland. Auch die Folgen von Gasverpuffungen ähnlich den in den Reaktoren von Fukushima sollen erörtert werden. Geprüft würden auch Hacker-Angriffe auf die Steuercomputer der Anlagen.
Sarkozy will globale Standards
Ein RWE-Sprecher bezeichnete die Tests als „ehrgeizigen Plan“. Ein Sprecher des Konkurrenten E.ON sagte: „Wir begrüßen, dass die Kommission so zügig Kriterien vorgestellt hat.“ Der Versorger E.ON und RWE sagten eine konstruktive Zusammenarbeit mit der RSK zu. Seitens der AKW-Betreiber Vattenfall und EnBW lagen zunächst keine Stellungnahmen vor. Die drohenden, unter Umständen milliardenteuren Nachrüstungen von AKW könnten den Betrieb bestimmte Meiler unrentabel machen.
Der RSK-Bericht solle die maßgebliche Grundlage für die gesellschaftliche und politische Bewertung der Sicherheit der Atomenergie sein, kündigte Röttgen an. Der Prüfkatalog sei der weltweit anspruchsvollste. „Das werden wir in die Überprüfungsdiskussion der Europäischen Union einbringen.“ Der französische Präsident Nicolas Sarkozy forderte bei einem Besuch in Japan die Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer auf, sich bis Ende des Jahres auf ein internationales Regelwerk zum Schutz vor AKW-Unglücken zu einigen. Zur Vorbereitung schlug er ein Treffen der G20-Staaten in Paris im Mai vor.
Umweltschützer: inakteptable Risiken
Röttgen wollte sich nicht darauf festlegen, ob mit den voraussichtlich erhöhten Anforderungen an AKW das Aus der sieben ältesten Kraftwerke besiegelt sei. Dies werde sich aus der Prüfung der Experten ergeben. Er erwarte ein differenziertes Ergebnis. Der Minister verwies auf die notwendige Modernisierung der Energieversorgung von den Erzeugungsquellen bis zur Energieinfrastruktur in Deutschland. Dafür seien riesige Investitionen notwendig, „in den nächsten Jahrzehnten bestimmt ein dreistelliger Milliardenbetrag“. In den Konsens über die künftige Energieversorgung müsse die Wirtschaft einbezogen werden.
Umweltschützer kritisierten den Stress-Test wegen grundsätzlicher Bedenken. Atomkraft sei mit inakzeptablen Risiken verbunden, erklärte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Der Sprecher der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“, erklärte, in keinem der deutschen AKW könne eine Kernschmelze ausgeschlossen werden. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, sprach von einem völlig ungenügenden Stresstest und einer „Nebelgranate“ von Kanzlerin Angela Merkel.
Auch die Wissenschaft schaltete sich in die Debatte ein. Über 300 Wissenschaftler aller Fachrichtungen unterzeichneten einen Aufruf an Merkel, schneller als geplant aus der Atomenergie auszusteigen. (rtr)