Essen. . Schneller als bis zum Unglück von Fukushima gedacht will sich Deutschland von der Kernenergie verabschieden. Doch gebannt ist damit die Gefahr atomarer Unfälle noch lange nicht – schließlich stehen an den Grenzen jede Menge Reaktoren.

Raus, so schnell wie möglich. Seitdem ein Tsunami im hoch technisierten Japan die Sicherheit von Atomkraftwerken relativierte, ist die Stromgewinnung durch Kernenergie in Deutschland mehr denn je ein Auslaufmodell.

Doch die Politik kann den Menschen die Sorge vor atomaren Unfällen mit Kernschmelze nicht nehmen. Das zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Im Land laufen zwar seit Jahren keine Atomkraftwerke mehr, doch ist das Land von Reaktoren umzingelt.

Niederlande will Atomkraft ausbauen

In den nahen Niederlanden soll die Atomenergie sogar noch ausgebaut werden. 2018, so die Pläne, wird neben dem Uraltmeiler Borssele ein zweites, später womöglich noch ein drittes AKW ans Netz gehen. Die niederländische Regierung verteidigt den Ausbau. Schließlich lägen die Meiler in einer erdbebenfreien Zone und könnten Flutwellen von 7,50 Metern überstehen. Die höchste Flutwelle habe es 1953 mit fünf Metern gegeben, erklärte der Haager Wirtschaftsminister Maxime Verhagen. Der Meiler von Borssele ist seit 1973 in Betrieb und wird noch bis 2034 am Netz bleiben. Zum Gelände gehört auch ein Zwischenlager. Die Anlage sei sicherer als die deutschen Alt-AKW, so der Wirtschaftsminister – schließlich sei nachgerüstet worden.

Regelrecht ein AKW-Fossil steht 80 Kilometer westlich von Aachen, im belgischen Tihange. Dort gab es im Jahr 2002 einen gefährlichen Druckabfall – eine Störung, bei dem es zur Kernschmelze kommen kann. Glücklicherweise wurden mehrere Sicherheitsventile aktiviert. Im Oktober 2010 liefen außerdem 600 Liter säurehaltiges Wasser in die Maas aus.

Greenpeace-Aktivisten ist die alte Anlage, die 1975 ans Netz ging, längst ein Dorn im Auge. Auch die Bewohner von Aachen sorgen sich – schließlich bläst meistens Westwind.

Gefahr aus Frankreich

Für NRW gefährlich werden könnte bei einem Störfall auch das französische AKW Cattenom, das nur wenige Kilometer vor der saarländischen Grenze liegt. Zwischen 1987 und 1992 gingen die vier Druckwasserreaktoren ans Netz; seitdem kam es immer wieder zu „Unregelmäßigkeiten“. Obendrein liegt die Anlage in der Nähe der rheinischen Erdbebenzone. Doch Frankreich setzt ungebrochen auf die Atomenergie. 80 Prozent des Stromes wird in Kernkraftwerken produziert. Inzwischen regt sich vorsichtiger Widerstand – im Visier haben Umweltschützer neben Cattenom das AKW Fessenheim, das im Erdbebengebiet am Oberrhein liegt – gut 20 Kilometer von Freiburg entfernt.

Abgesehen von den europäischen Nachbarn ist NRW auch von Reaktoren anderer Bundesländer umgeben. Nordrhein-Westfalen selbst ist auch nicht frei von Atomkraft, auch wenn kein AKW mehr in Betrieb ist: Im münsterländischen Gronau steht die einzige Anlage für Urananreicherung in Deutschland. Dort wird der Naturrohstoff Uran mit spaltbaren Isotopen angereichert, der dann zu Brennelementen verarbeitet wird. Bis jetzt gab es dort elf meldepflichtige Zwischenfälle. Im Januar 2010 wurde radioaktives Material freigesetzt. Und in Ahaus steht das Zwischenlager, das zuletzt im vergangenen Herbst für Schlagzeilen sorgte: Von dort sollten Castor-Transporte in die nicht sichere russische Wiederaufbereitungsanlage Majak gehen. Nach massiven Widerständen wurde der Transport gestoppt.