Essen/Berlin. . Das Attentat von Frankfurt hat gezeigt, dass deutsche Sicherheitsbehörden nicht auf jeden Terroristen vorbereitet sein können. Erst recht nicht, wenn es sich wie bei dem 21 Jahre alten Arid U. um einen Einzeltäter handelt.
Als die Experten aus verschiedenen Behörden von Bund und Ländern Ende 2010 einen Einblick in ihre Bemühungen gaben, Deutschland vor einem islamistischen Terror-Anschlag zu bewahren, kam so ziemlich alles auf den Tisch, was die Typen-Lehre bietet: Aus afghanisch-pakistanischen Ausbildungscamps zurückgekehrte Dschihadisten, mal mit arabischen Wurzeln, mal mit deutschem Konvertiten-Hintergrund.
Dazu Operateure einschlägiger Netzwerke, die von El Kaida inspiriert sein könnten. Oder „Schläfer“, die hierzulande unauffällig leben, um eines Tages loszuschlagen. Eine Kategorie fehlte jedoch in der Darstellung der „Gefährdergruppen“; mangels Fassbarkeit: Einzeltäter, die aus dem Nichts kommen.
Könnte Arid U., der am 8. Februar 1990 in Mitrovica im Norden Kosovos geboren worden sein soll, der Prototyp dieser neuen Gattung sein? „Hoffentlich nicht“, sagte gestern ein hoher Sicherheitsbeamter dieser Zeitung, „denn wie wollen wir solchen Leuten auf Dauer Herr werden?“ Weil die Generalbundesanwaltschaft erst heute Auskunft geben will, sind die Erkenntnisse noch vorläufiger Natur. Aber darum nicht weniger beängstigend.
Kontakt zu Hassprediger
Danach soll sich der 21-jährige Todesschütze von Frankfurt quasi autodidaktisch in kürzester Zeit, die Rede ist von vier, fünf Wochen, per Internet-Kontakt auch zu dem marokkanischen Hassprediger Sheik Abdellatif so stark radikalisiert haben, dass er am Mittwoch mit einer belgischen Pistole vom Typ „Fabrique National“ und sehr viel Munition zur Tat schritt.
Frankfurt am Main ist eines der Zentren der Dschihadisten in Deutschland. In dessen Mittelpunkt liegt die Bilal-Moschee. Sie bietet den Nährboden für die Radikalisierung junger Muslime. Dort hat auch Abdellatif gepredigt. Nach Informationen dieser Zeitung stammen alle Kämpfer, die aus Deutschland nach Pakistan oder Afghanistan ausreisen wollten aus dem Umfeld der dortigen Szene. Arid U. soll auch Kontakt zu Rami M. gehabt haben. Der Deutsch-Syrer lebte im selben Haus und wollte in Afghanistan am Dschihad teilnehmen. Er wurde im Juni 2010 verhaftet.
Dschihad geplant
Die Motive erscheinen noch unscharf: Hass auf Amerika. Den „Heiligen Krieg“ jedenfalls nannte er auf seiner mittlerweile abgeschalteten Facebook-Seite „einen Teil unserer schönen Religion“. Dass ein vereitelter Ausreiseversuch nach Afghanistan den letzten Impuls zur Mordtat gegeben haben soll, wie auf dschihadistischen Internetseiten zu lesen ist, konnten die Sicherheitsbehörden bisher nicht bestätigen. Dass er auf eigene Faust handelte, ohne feste Anbindung an eine Gruppe, die ihn steuerte, davon gehen die Ermittler jedoch bis auf weiteres aus. Eine Terror-Ich-AG. Eine teuflisch erfolgreiche.
Die Tat von Frankfurt markiert den ersten vollendeten islamistischen Anschlag auf deutschem Boden. War bislang von einer abstrakten Gefahr die Rede und von Attentaten im großen Stil à la Mumbai, so rücken nun die Einzeltäter-Katastrophen in ein neues Licht: Im Dezember 2010 sprengte sich ein Mann in Stockholm in die Luft, es gab aber keine weiteren Todesopfer. Im November 2009 erschoss ein muslimischer US-Offizier in Texas 13 Menschen.
Die Frankfurter Attacke, bei der es nach Angaben von Kriminalbeamten „weit mehr Tote hätten geben können“, zeige, dass Einzeltäter, die sich kaum zu schützende öffentliche Ziele suchen, eine „furchtbare Gefahr werden können“.
Gegen Arid U. wurde am Donnerstagabend Haftbefehl erlassen. Dem 21-jährigen Kosovaren wird zweifacher Mord und dreifacher Mordversuch vorgeworfen, wie der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mitteilte. Der Haftbefehl sei vom Untersuchungsrichter am Bundesgerichtshof auf Antrag der Bundesanwaltschaft erlassen worden, teilte die Behörde mit.