Berlin. . Der Verteidigungsminister rudert zurück. Er bittet darum, ihm den Doktortitel abzuerkennen und entschuldigt sich bei all jenen, die er im akademischem Sinne hintergangen hat. Aus dem Schneider ist der CSU-Politiker damit aber noch lange nicht.
Am vergangenen Freitag wollte er ihn nur vorübergehend ruhen lassen. Solange, bis die Universität Bayreuth ausgiebig geprüft hat, was denn nun tatsächlich von seinem Doktorhut und der ihm zu Grunde liegenden 475 Seiten langen Arbeit zu halten ist.
Übers Wochenende muss Karl-Theodor zu Guttenberg nach Lektüre so mancher piesackenden Titelgeschichte und so manchen Kommentare die Einsicht gekommen sein, dass er seine alte Hochschule damit in schwerste Nöte bringen würde. Und sich zielsicher um sein Amt.
Die inzwischen erdrückend gewordene Beweislast, die Guttenberg wahlweise als einen (an akademischen Gepflogenheiten gemessen) wissenschaftlichen Hallodri oder als einen schamlosen Plagiator und Dieb fremden geistigen Eigentums erscheinen lässt, hätte der Uni gar keine andere Wahl gelassen, als dem Baron den „Dr.“ wieder abzunehmen.
Beim Massenpublikum kann zu Guttenberg punkten
Womit Guttenberg düpiert, zum Rücktritt verdammt und die Universität blamiert gewesen wäre. Denn man fragt sich ja schon, welche Qualitätsmaßstäbe gemeinhin im Bayreuther Promotionswesen angelegt werden, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine mit „summa cum laude“ nobilitierte Arbeit sich im Nachhinein als falscher Fuffziger entpuppt.
Guttenberg hat diese Schmach seiner ehemaligen Hochschule erspart. Indem er sich dauerhaft und vollständig von seinem Schriftwerk distanziert, zieht er alle Pfeile auf sich. Die Universität kann nun beruhigt seine Doktorarbeit nachträglich annullieren. Er hat schließlich selbst, ähem, nun ja, darum gebeten...
Beim Massenpublikum wird der Freiherr damit ganz entschieden punkten. Der Mann macht Fehler. Der Mann steht, wenn es gar nicht mehr anders geht, für seine Fehler öffentlich ein. Mensch, einer wie wir! Schluss mit dem Rücktrittsgefasel! Schwamm drüber! Wird eine Mehrheit sagen und den Franken in den nächsten Umfragen wieder auf neue Höchstwerte hieven. Und bitte jetzt wieder zurück zu den wirklich wichtigen Dingen.
Langsame Kehrtwende
Eine Sichtweise, die einerseits verständlich ist angesichts wahrer Konflikte. Man nehme nur die Mega-Tragödie Afghanistan. Andererseits spielt sie Guttenberg zielgenau in die Hände. Und das darf nicht sein.
Bürger sind mit Guttenbergs Arbeit zufrieden
Ungeachtet der Plagiatsvorwürfe gegen Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) schätzen die Bürger die Arbeit des Bundesverteidigungsministers.
In einer am Montagabend (21. Februar) veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap im Auftrag des ARD-Magazins „Report“ äußerten sich 73 Prozent der Befragten zufrieden mit Guttenbergs politischer Arbeit. 21 Prozent zeigten sich unzufrieden.
Die Zustimmung geht demnach über die Parteigrenzen hinweg: 89 Prozent der Unions-Anhänger, aber auch 71 Prozent der SPD- und 61 Prozent der Grünen-Anhänger sind demnach mit dem Minister zufrieden. Für die Blitzerhebung befragte Infratest Dimap 500 Bürger. (afp)
Man muss noch einmal daran erinnern, bevor irgendwer auf die Idee kommt, dem Minister die Tapferkeitsmedaille für schonungslose Selbstkritik zu verleihen: Als die Vorwürfe vor acht Tagen erstmals gut dokumentiert laut wurden, konterte Guttenberg zunächst herablassend mit „abstrus“ - dabei hätten, nimmt man seine nagelneue Begründung für bare Münze, sofort alle Alarmglocken schellen müssen.
Kurz darauf schloss er kleinlaut punktuelle Fehler nicht aus, bot Korrekturen an, wies den Plagiatsvorwurf gleichwohl vehement zurück – anstatt eine offene Prüfung von sich aus bei der Universität einzuklagen und den „Dr.“ einstweilen aus Eis zu legen.
Druck von der Kanzlerin
Das geschah erst auf subtilen Druck der Kanzlerin, die Guttenberg am Donnerstagabend einvernahm und ihm die Tragweite der Angelegenheit verdeutlicht haben muss. Guttenberg kündigte anderntags gequält und fast trotzig den befristeten Verzicht auf das Führen des Doktortitels an, entzog sich jedoch aller Nachfragen.
Gestern Abend dann der vorläufige Schlusspunkt: Guttenberg will gar nicht mehr Doktor jur. sein, weist sich selber „gravierende handwerkliche Mängel“ nach und wirft sich vor allen in den Staub, deren wissenschaftlich einwandfreien Leumund er sich hemdsärmelig zu Nutze machte. Allein: Zurücktreten als Minister, das will er partout nicht.
Die Reaktionskette weist eine innere Logik auf, die zu Guttenberg passt. Sie ist unmittelbar im Zusammenhang zu sehen mit einer immer eklatanter gewordenen Reihe von Fehlern und Peinlichkeiten, die in der akademischen Welt ihresgleichen suchen dürfte.
Guttenberg hat sein Krisenmanagement die ganze Zeit über an die Indizienlage angepasst. Salamitaktik nennt man das. Erst als er in der Sackgasse mit dem Rücken zur Wand stand, entschloss er sich zum offensiven „Mea Culpa“.
Ein guter Verteidigungsminister braucht keinen Doktortitel
Aber vor diesem Hintergrund haftet seinem Kotau, ausgerechnet praktiziert auf einer Wahlkampfveranstaltung der ihm treu ergebenen CDU, nicht etwa vor dem Deutschen Bundestag oder wenigstens in einer großen Beichte in „Bild“, etwas Konstruiertes an. Es riecht nach „tricky“.
Auch kann man nicht einfach ausblenden, dass der zweitmächtigste Mann der CSU hinter Horst Seehofer seine Partei nicht gebremst hat bei dem elendigen Versuch, die Enttarnung des Schummel-Barons als einen gehässigen Komplott linker Sozialdemokraten zu verunglimpfen. Es ist übrigens dieselbe CSU, die seit gestern Abend an der nächsten Imagekorrektur strickt. Tenor: Ein guter Verteidigungsminister braucht keinen Doktortitel. Es hat zwar niemand das Gegenteil behauptet. Aber man kann es ja mal sagen....
Allerdings drängen sich jetzt neue, unangenehme Fragen auf. Guttenberg war kein Greenhorn mehr, als er die Doktorarbeit in Angriff nahm. Er war Anfang 30, kam 2002 in den Bundestag, wurde anerkannter außenpolitischer Experte seiner Fraktion und ein mittelhohes Tier in der CSU. Hat er bei diesen vielen verschiedenen Tätigkeiten ähnlich viel Sorgfalt, Genauigkeit und Faktentreue walten lassen wie beim Zusammenschustern seiner Promotion?
Ein Verteidigungsminister darf unter Druck nicht die Übersicht verlieren
Und noch etwas: Wenn Guttenberg schon bei einer schnöden Doktorarbeit derart ins Trudeln gerät, den Kompass verliert und am Ende des Tages schlicht eigene Gedanken nicht mehr von fremden zu unterscheiden weiß, wie soll es dann erst in Zukunft werden? Wie will der Mann als zuständiger Minister die Bundeswehr durch die ambitionierteste Reform seit Bestehen der Streitkräfte bringen? Wie die deutschen Soldaten so schnell und so heil es geht heraus aus Afghanistan? Ein Verteidigungsminister darf vieles besitzen, nur kein offenkundiges Potenzial unter Druck alsbald die Übersicht zu verlieren. Es könnte für andere tödlich enden.
Guttenbergs erzwungenes Eingeständnis der eigenen Schwäche nährt bei tieferer Betrachtung darum prinzipielle Zweifel an seiner Eignung und Ernsthaftigkeit. Er ist angreifbarer geworden als er es selbst erhofft hat. Ob er die verloren gegangene Glaubwürdigkeit überhaupt wieder herstellen kann, ist heute nicht absehbar. Fazit: Ein Befreiungsschlag mit bösen Widerhaken.