London. Wikileaks-Gründer Julian Assange muss sich wegen verschiedener Sex-Vorwürfe derzeit in London verantworten. Es geht um eine Entscheidung, ob er nach Schweden ausgeliefert wird.

Eine richterliche Entscheidung im Fall Julian Assange gibt es auch nach zweitägiger Anhörung im englischen Woolwich noch nicht, dafür Druck auf alle Beteiligten: Der Ruf der schwedischen Justiz ist ramponiert, Assanges Rechtsteam durch überzogene Schreckensszenarien blamiert. Vor allem der Star-Hacker gerät in Erklärungsnot, warum er die mutmaßlichen Sex-Delikte nicht freiwillig in Schweden klärt.

Später Haftbefehl

Der Vormittag im Belmarsh Magistrates Court schien fast so, als würde hier der schwedischen Staatsanwältin Marianne Ny für Verfahrensfehler der Prozess gemacht, und nicht etwa über Assanges Ausweisung nach Schweden entschieden. Dessen Anwälte hatten den pensionierten, schwedischen Oberstaatsanwalt Sven-Erik Alhem aufgefahren, der seine Kollegin Ny zuerst heftig kritisierte: Ihr Vorgehen sei „nicht das ordentliche Prozedere“ in einem solchen Fall. Ny habe vier Wochen nach den Vergewaltigungsvorwürfen verstreichen lassen und Assange erst dann mit einem Europäischen Haftbefehl dingfest gemacht – in Alhems Augen eine „schwere Unregelmäßigkeit“. Der Justiz-Experte kritisierte auch, dass Ny Assanges Namen an die Presse gegeben habe, obwohl er nur verdächtig, nicht verurteilt sei.

Doch ausgerechnet der eigene Hauptexperte ließ dann die Taktik von Assanges Anwälten kollabieren. Das Team hatte versucht, die Ausweisung des Wikileaks-Chefs zu verhindern mit der Begründung, dass ihn in Schweden kein faires Verfahren erwarten würde. In filmreifen Szenen bedeutete Clare Montgomery, Vertreterin der schwedischen Justiz, Assanges Anwalt, „sich hinzusetzen“ und dem Experten Alhem, „keine Vorlesungen zu halten“. Im Kreuzverhör mit der Ex-Anwältin von Augusto Pinochet räumte Alhem ein, von den erfolglosen Versuchen der Staatsanwaltschaft, Assange noch in Schweden zu befragen, nichts gewusst zu haben. Erst als klar war, dass der 39-Jährige das Land verlassen hatte, war ein Haftbefehl ausgestellt worden. Dies, so musste Alhem eingestehen, sei „angemessen“. Eine Überstellung des Wikileaks-Chefs von Schweden in die USA, hart umkämpfter Streitpunkt in dieser Auseinandersetzung, hielte er aber nicht für realistisch. Damit war das Hauptargument gegen die Ausweisung nach Schweden – Assanges Sicherheit – hinfällig.

Die Anwälte hatten in Horrorszenarien gewarnt, dass ihren Mandanten nach einem Sex-Prozess in Skandinavien wegen Geheimnisverrats die Todesstrafe in den USA oder Haft in Guantanamo erwarte. Eine Überstellung von Assange an andere Länder sei durch EU-Recht nicht möglich, so der schwedische Experte. Und: „An seiner Stelle wäre ich sofort von London nach Stockholm gereist, um meine Version der Dinge zu erzählen.“ Dass Staatsanwältin Marianne Ny Einladungen zur Vernehmung gern per SMS am späten Abend verschickt, wirft neben anderen Punkten ein fragwürdiges Licht auf den Umgang mit Verdächtigen.

Bedenkzeit erbeten

Doch ohne direkte Gefahr für Assanges Leib und Leben könnte Richter Howard Riddle dem Ausweisungsersuchen der schwedischen Justiz möglicherweise nachgeben. Riddle will die Anhörung am Freitag fortsetzen – eine kurze Verschnaufpause, in der auch Assange sich überlegen muss, wie lange er den Vorwürfen der schwedischen Justiz noch entgehen kann und will.