Berlin. Der Winterwahlkampf war kurz und heftig. Die Ereignisse haben sich überschlagen – und das Land geprägt. Wie geht es ab Montag weiter?
Nun ist er vorbei, der Winterwahlkampf. Seit dem Bruch der Ampel-Koalition am 6. November sind 109 Tage vergangen, wenn am Sonntag rund 59 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können. In diesen 109 Tagen hat sich die Welt verändert, in diesen 109 Tagen hat sich das Land verändert. Die tektonischen Verschiebungen dauern an, die Folgen dürften in ihrem vollen Ausmaß erst noch sichtbar werden.
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Rückblick: Um 20.33 Uhr trifft am Abend des 6. November eine SMS aus dem Kanzleramt ein: „Kanzler entlässt Bundesfinanzminister Lindner.“ Was? Die Koalition von Olaf Scholz ist am Ende. Der Wahlkampf beginnt bereits, als Scholz wenig später vor die Kameras tritt und eine Wutrede auf FDP-Chef Christian Lindner hält. Es ist die zweite Erschütterung der politischen Landschaft innerhalb von Stunden. Am Morgen war Deutschland damit aufgewacht, dass der Rechtspopulist Donald Trump bei den US-Wahlen triumphiert hat. Ein Tag für die Geschichtsbücher.
Europas Frieden in Gefahr: Merz wird nach Dschungelcamp gefragt
Inzwischen haben Trump und seine Gefolgsleute alle Hoffnungen zertrümmert, es werde in seiner zweiten Amtszeit schon nicht so schlimm kommen. Sie legen die Kettensäge nicht nur an die Grundfesten der Demokratie in den USA, sondern auch an die internationale Nachkriegsordnung. Ein neues Zeitalter ist angebrochen: Trump droht, nicht nur der Ukraine, sondern ganz Europa die Unterstützung der USA gegen Putins Imperialismus zu entziehen. Der russische Herrscher kann das als Ermutigung deuten, weitere Kriege in Europa zu führen.
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Natürlich ging es im deutschen Wahlkampf um Trump, Putin und die Ukraine. Aber wie gefährlich und wie teuer die Neupositionierung der USA für Deutschland und Europa werden kann, blieb ein Elefant im Raum. Nicht ausgeschlossen, dass jedes Wahlprogramm schon bald überholt sein wird. Im „Quadrell“ bei RTL wurde Friedrich Merz, der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler, stattdessen danach gefragt, was ihm lieber sei: Opposition oder Dschungelcamp?

Die zersplitterte Parteienlandschaft tritt im TV auf
Überhaupt die vielen Kanzlerkandidaten: Mal duellierten sich im TV Amtsinhaber Scholz und Unionsherausforderer Merz, mal waren auch Grünen-Kandidat Robert Habeck und AfD-Chefin Alice Weidel dabei. Die Zersplitterung der deutschen Parteienlandschaft hat in diesem Wahlkampf ihren Auftritt zur besten Sendezeit. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht bemühte sich vor Gerichten vergeblich, als Fünfte im Bunde in die Runden der Kanzlerkandidaten zu kommen. Vergeblich, ihr blieben andere Formate.
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Gekommen, um die deutsche Politik vom linken wie vom rechten Rand gleichzeitig aufzurollen, könnte Talkshow-Star Wagenknecht die große Verliererin der Wahl werden. Galt sie nach den drei Ost-Landtagswahlen noch als Gründerin des erfolgreichsten Parteien-Start-ups der Bundesrepublik, droht ihr nach den letzten Umfragen ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde.
Starke AfD erschwert Mehrheiten
Ein Bundestag ohne BSW würde Mehrheitsverhältnisse und Koalitionsbildung nach der Wahl aber nur geringfügig einfacher machen. Die in Teilen rechtsextreme AfD könnte im Gegensatz zu 2021 ihr Ergebnis verdoppeln und damit nach den immer wieder chaotischen Ampel-Jahren erneut drei höchst unterschiedliche Partner für eine Koalition nötig machen. Wie schwierig das werden kann, lässt ein neues Phänomen dieses Wahlkampfes erahnen: die Ausschließeritis unter den Parteien der Mitte.
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CSU-Chef Markus Söder will nichts mit den Grünen zu tun haben – ebenso die FDP, die sich mit einer Maximalabgrenzung von Habeck vor der außerparlamentarischen Bedeutungslosigkeit retten will. Etwas hilflos steht Friedrich Merz daneben und mahnt, dass es auch den Montag nach der Wahl geben werde, an dem man miteinander reden müsse. Allerdings hat auch der Unionskandidat im Wahlkampf seinen Teil dazu beigetragen, Misstrauen in der Mitte zu säen.
Drei tödliche Anschläge in einem Wahlkampf
Magdeburg, Aschaffenburg, München: Drei tödliche Anschläge haben diesen kurzen Wahlkampf erschüttert. Dazu die blutige Messerattacke am Freitag am Berliner Holocaust-Mahnmal. Das gab es noch nie. Nach der Bluttat eines afghanischen Asylbewerbers in Aschaffenburg ging Merz „all in“ und stellte seine Forderung nach strikteren Migrationsgesetzen zweimal im Bundestag zur Abstimmung. Beim ersten Mal bekam er eine Mehrheit mit der AfD, beim zweiten Mal scheiterte der Unionsfraktionschef, obwohl er die Partei am äußersten rechten Rand des Plenarsaals an seiner Seite hatte. Mehrere Unionsabgeordneten hatten Merz die Gefolgschaft verweigert.
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
Feixend daneben stand die AfD: So präsent und so selbstverständlich im Fernsehen dabei war die Partei noch in keinem anderen Wahlkampf. Und noch nie wurde schon so besorgt über die nächste Wahl geredet: Wenn die Parteien der Mitte in der Migrationspolitik, bei den Preissteigerungen und der Wirtschaftslage nun nicht die Kurve kriegten, dann werde die AfD 2029 sogar noch ein ganz anderes Ergebnis erzielen.
Gewinnt Merz, muss er ab Montag mit Scholz zusammenarbeiten
Das Entsetzen bei SPD und Grünen über das Merz-Manöver war groß. Der sozialdemokratische Fraktionschef Rolf Mützenich warf dem CDU-Vorsitzenden vor, das „Tor zur Hölle“ geöffnet zu haben. Der Schrecken über Merz sitzt tief. Will er eine Koalition schmieden, wird er Vertrauen in seine politische Standfestigkeit aufbauen müssen. Sicher ist: Schon am Tag nach der Wahl wird Scholz mit einem möglichen Wahlsieger Merz eng zusammenarbeiten müssen. Die Weltlage wartet nicht auf das Ende von Koalitionsverhandlungen in Deutschland.