Düsseldorf. Abschiebungen nach Afghanistan sind ein diplomatischer Drahtseilakt. Die NRW-Regierung setzt auf das Verhandlungsgeschick des Bundes.

Nach dem Attentat von München, bei dem ein 24-jähriger Afghane mit seinem Auto in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi fuhr, zwei Menschen tötete und mindestens 35 weitere teils schwer verletzte, wird der Ruf nach Abschiebungen nach Afghanistan lauter. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte der „Bild am Sonntag“, gesagt, es brauche jede Woche einen Flug nach Afghanistan. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte in der RTL-Viererrunde der Kanzlerkandidaten angedeutet, dass es nach einem ersten Abschiebeflug nach Kabul im vergangenen Jahr weitere geben dürfte.

„Wer unsere Gesellschaft angreift, muss mit Konsequenzen rechnen“

Das Ministerium von NRW-Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) stellte am Montag klar, NRW „priorisiere“ die Rückführung von Gefährdern und schweren Straftätern „. Wer unsere offene Gesellschaft und unser Zusammenleben gefährdet oder angreift, muss mit allen strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Konsequenzen rechnen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums dieser Redaktion auf Nachfrage.

In der Frage der Rückführung von Afghanen geht die NRW-Landesregierung nicht auf Konfrontationskurs mit Berlin. Im Gegenteil: Bei möglichen weiteren Abschiebungen nach Afghanistan sei es Aufgabe der Bundesregierung, „die Sicherheitslage und die schwierigen außenpolitischen Implikationen, die direkte diplomatische Beziehungen ohne Zweifel hätten, zu bewerten und die Rahmenbedingungen für mögliche weitere Rückführungen von Gefährdern und schweren Straftätern zu schaffen“, sagte die Sprecherin weiter. NRW habe sich an der ersten Abschiebung des Bundes nach Kabul beteiligt und setze hier weiter auf eine enge Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Informationen über etwaige Flüge stünden aber noch aus.

Grünen-Politiker sind tendenziell skeptisch beim Thema Verhandlungen mit Taliban

Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil die Behörden dafür mit den Taliban verhandeln müssten, also mit einer Regierung, die die Menschenrechte und insbesondere die Rechte von Frauen unterdrückt. Gerade in der grünen Partei gibt es erhebliche Vorbehalte gegen diese Annäherung.

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hatte in der RTL-Viererrunde über die Taliban-Regierung gesagt: „Das ist ein Terrorregime.“ Es gebe kein Land, das mit den Taliban diplomatische Beziehungen unterhalte. „Wenn man das tun wollen würde, das ist ja ein Adelsschlag für dieses Regime“, so Habeck.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor aus Dinslaken, sagte der „Rheinischen Post“, Söders Vorschlag verkenne die außenpolitische Dimension. Aus guten Grund seien keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban aufgebaut worden.

„Solche gefährlichen Gewalttäter abschieben zu wollen, ist die Bekämpfung des Symptoms, nicht der Ursache“, so Kaddor. Die meisten dieser islamistisch motivierten Täter radikalisierten sich erst in Deutschland. (mit dpa)

Lindner insistiert: Abschiebungen ermöglichen

Auch die FDP fordert von der Bundesregierung direkte Kontakte mit den islamistischen Taliban, um die Voraussetzungen für Abschiebungen im großen Stil nach Afghanistan zu schaffen. Seine Partei wäre auch bereit zu akzeptieren, dass es wieder eine konsularische Tätigkeit des afghanischen Staates in Deutschland gibt, sagte der Parteivorsitzende Christian Lindner in Berlin nach einer Präsidiumssitzung.

Er forderte Außenministerin Annalena Baerbock auf, unmittelbar in Gespräche einzutreten „auf einer technisch-logistischen Ebene“. Es müsse möglich werden, afghanische Staatsangehörige, die ausreisepflichtig sind, „automatisiert und schneller in ihr Ursprungsland auszufliegen“. Lindner sagte: „Das ist von einer großen Bedeutung.“ (dpa)

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