Berlin. In Wien geht der Krimi um die Regierungsbildung weiter. Statements offenbaren, wie erbittert FPÖ und ÖVP miteinander gestritten haben.
Am Ende kamen sie nicht zusammen: In Österreich sind die Gespräche für eine Regierungsbildung zwischen der konservativen ÖVP unter Führung von Christian Stocker und der extrem rechten FPÖ unter der Ägide von Herbert Kickl am Mittwoch gescheitert. Zu groß waren die Gegensätze. Sichtbar waren sie etwa in einem Grundsatzpapier, das die ÖVP am Dienstag vorgelegt hat. Voraussetzungen für eine Regierungszusammenarbeit sollten demnach sein:
- Keine Einflussnahme durch Russland auf Österreich
- Österreich als vertrauenswürdiger Partner innerhalb der EU
- Österreich als „wehrhafter Rechtsstaat“, der sich gegen Extremismus zur Wehr setzt und die liberale Demokratie schützt
- Teilnahme am Drohnen- und Raketenschutzschild „Sky Shield“
Wer die FPÖ schon länger beobachtet, dürfte schlussfolgern: Diese Punkte sind für die Partei nicht so leicht zu unterschreiben. Eine Antwort auf das Papier war die FPÖ bis zum Mittwoch schuldig geblieben, um dann zurückzukeilen: „Beim Grundsatzpapier handelt es sich um eine Mischung aus Selbstverständlichkeiten sowie Dingen, die bereits in einer eigens eingerichteten Konsens/Dissens-Gruppe seit Beginn der Verhandlungen konstruktiv und ausführlich besprochen wurden.“ Einige Punkte hätten auf Ebene der Chefverhandler geklärt werden müssen, doch die ÖVP habe sich dieser Diskussion verweigert – „weil sie zuerst die Ressortfrage abschließend geklärt haben wollte“.
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Österreich: Streit über Ministerien versetzte den Verhandlungen den Todesstoß
Bei der Ressortfrage handelt es sich um den Streitpunkt, wie die Ministerien konkret aufgeteilt werden könnten. Der Vorschlag der ÖVP sah ein von den Konservativen geführtes Finanz- und Innenministerium vor. Neu sollte sein, dass das Innenministerium an sich noch einmal aufgeteilt und ein Teil der FPÖ zugeschlagen worden wäre, mit der Zuständigkeit für Asyl und Migration.
Die Rechtsradikalen unter Herbert Kickl lehnten das Angebot ab. Begründung: „Ein Verbleib des Finanzministeriums bei der ÖVP würde bedeuten, dass die für die finanzielle Schieflage verantwortliche Partei dort weiterarbeiten kann.“ Die FPÖ müsse gemeinsam mit dem Bundeskanzler die „notwendige Budgetsanierung“ vorantreiben. Bei einem eigenen Ministerium für Asyl und Migration fürchtete die FPÖ verfassungsrechtliche und praktische Schwierigkeiten.
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Österreich: Diese Optionen gibt es jetzt
Wie kann es jetzt in Österreich weitergehen?
Der Ball liegt nun erneut im Feld des österreichischen Präsidenten Alexander van der Bellen. Seine Optionen:
- Neuwahlen ausrufen
- Eine Experten-Regierung beauftragen
- Neue Koalitionsgespräche zwischen verhandlungsbereiten Parteien voranbringen
Auch eine Minderheitsregierung wäre denkbar. All diese Optionen nannte Van der Bellen am Mittwochabend bei einem Statement in der Wiener Hofburg. „Meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass das Land eine handlungsfähige Regierung bekommt“, sagte er. Zu Neuwahlen könnte es frühestens in ein paar Monaten kommen. Van der Bellen kündigte an, in den kommenden Tagen Gespräche mit den Parteien zu führen, um auszuloten, welche Option die beste fürs Land ist. Der Präsident beklagte, dass es in Verruf geraten sei, Kompromisse einzugehen.
Der Chef der sozialdemokratischen SPÖ, Andreas Babler, richtete sich auf der Nachrichtenplattform „Bluesky“ an den Bundespräsidenten und teilte mit, „dass wir bereit sind, eine Regierung von anerkannten Persönlichkeiten zu stützen“, also eine Expertenregierung, wie es sie etwa schon dreimal in Italien gegeben hat. Zuletzt habe es ein „unwürdiges Feilschen um Macht und Posten“ gegeben, sagte Babler. Auch ÖVP, Grüne und Neos erklärten ihre Bereitschaft, Koalitionsgespräche erneut aufzunehmen.
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Aus der ÖVP kommt rückblickend scharfe Kritik am Beinahe-Koalitionspartner: „Herbert Kickl selbst hat sich in die Regierungsverhandlungen kaum eingebracht. In fünf Wochen saß Kickl insgesamt sieben Stunden am Verhandlungstisch“, sagte ÖVP-Generalsekretär Alexander Pröll.
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Österreich: Kickl ist nicht am Ziel – doch bei Neuwahlen hätte er nichts zu befürchten
Am Ziel ist Kickl nicht, doch selbst bei Neuwahlen hätte seine Partei nichts zu befürchten: Im September erreichte sie 29 Prozent. Aktuelle Umfragen sehen sie bei 34 Prozent. ÖVP und SPÖ kämen auf jeweils rund 20 Prozent, die Neos auf rund 10 Prozent, die Grünen auf etwa 8 Prozent der Stimmen. Bis zur Bildung einer neuen Regierung bleiben die bisherigen Minister aus ÖVP und Grünen im Amt.
Der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer bezeichnete die damaligen Verhandlungen mit SPÖ und den liberalen Neos am Mittwoch als erfolgversprechend. Entscheidend werde sein, ob die Sozialdemokraten das Verhandlerteam neu aufstellen – aus ÖVP-Sicht hakte es vor allem an der Person Bablers.
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Bei einem Statement bekräftigte ÖVP-Chef Christian Stocker die Grundsätze, die die Partei der FPÖ vorgelegt hatte. Eine Abschottung nach dem Motto „Festung Österreich“ habe man nicht gewollt. Man habe zudem zahlreiche Warnungen aus dem Ausland erhalten, wonach die Zusammenarbeit der Geheimdienste in Gefahr sei, sollte die FPÖ das Innenministerium übernehmen. Die Sicherheit des Landes zu gefährden, sei für die ÖVP nicht infrage gekommen, sagte Stocker. Man habe dem Verhandlungspartner viele Kompromisse angeboten, doch die FPÖ sei nicht darauf eingegangen. Kickl habe die Gelegenheit, Österreich zu führen, nicht genutzt.

FPÖ-Generalsekretär Christan Hafenecker betonte in einer Pressekonferenz, innere Sicherheit, Asyl und Migration seien ureigene Themen seiner Partei. Diese in ÖVP-Hand zu belassen, sei nicht infrage gekommen. Man werde erneut auf den Bundespräsidenten zugehen.
Am Abend äußerte sich Parteichef Kickl selbst. Wie zuvor schon Hafenecker forderte er zeitnahe Neuwahlen – mutmaßte aber, die anderen Parteien könnten dies aufgrund der Umfragen verhindern wollen. Fehler in den Verhandlungen sah er auf Seiten seiner Partei nicht. Inwiefern er die Kompromissvorschläge der ÖVP abgelehnt hat, kommentierte er auf Nachfrage: „Ich habe mich bewegt, soweit das irgendwie möglich ist.“