Berlin. Migrationsforscher Gerald Knaus über Zurückweisungen an der Grenze, Lehren aus der Vergangenheit und was in der Asylpolitik hilft.


Gerald Knaus forscht seit vielen Jahren zur Migration. Er hat 2016 für die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel den EU-Türkei-Deal mit ausgearbeitet. Das Abkommen führte dazu, dass die Zahl der neuen Geflüchteten in den Schengen-Staaten deutlich zurück ging. Heute, sagt Knaus, sehe er ganz unterschiedliche Reaktionen auf Fluchtbewegungen in Europa. Und einen starken nationalen Kurs vieler Länder. Das aber, so der Experte, funktioniere nicht.

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Viele Parteien, allen voran CDU und AfD, setzen auf eine harte Migrationspolitik mit Grenzschließungen, Zurückweisungen und Leistungskürzungen. Wie bewerten Sie diesen Kurs?

Gerald Knaus: Das Fatale ist: Die deutsche Politik lernt wenig aus nunmehr zehn Jahren Flüchtlingspolitik. Wir wissen mittlerweile sehr gut, was funktioniert. Und was nicht. Wir haben seit 2015 unterschiedliche Reaktionen vieler Regierungen erlebt, vom Balkan bis in die Schweiz. Die Lage in Deutschland ist gut vergleichbar mit der Situation in Österreich. Beide Länder tragen die Hauptzahl an Schutzsuchenden und Anerkennungen in der EU pro Kopf. Österreich hat seit langem Grenzkontrollen, hat Sachleistungen und streicht Unterstützung für angelehnte Asylwerber und gibt einen rhetorisch harten Kurs vor. Das Ergebnis war aber nicht, dass weniger Menschen Schutz in Österreich bekommen. Oder dass dies den Erfolg der radikal rechten FPÖ gestoppt hätte, die die letzten Wahlen gewann.

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Im Krisenmodus

Welche Risiken sehen Sie, wenn die deutsche Regierung nun stärker auf eine nationale statt einer europäischen Lösung zur Bewältigung der Flüchtlingszahlen setzt?

Knaus: Nationale Lösungen funktionieren in Europa nicht. Registriert Deutschland Asylsuchende an der eigenen Grenze nicht mehr, werden auch andere Staaten das nicht mehr tun. Die Folge: Die Menschen versuchen illegal über Grenzen zu kommen, werden untertauchen. Europa muss auf Kooperation statt auf Alleingänge setzen. Auch hier gilt: aus der Vergangenheit lernen. Zum Beispiel: Großbritannien. Mit dem Ausstieg aus der EU wollte der Staat Migration ins eigene Land unterbinden. Doch weiterhin kommen Geflüchtete über den Ärmelkanal. Weil andere Staaten nicht mehr auf Zusammenarbeit mit der Regierung in London setzen. Es bleibt wichtig, dass wir Menschen registrieren.

Viele Menschen sterben bei der Flucht über das Mittelmeer. Geht es nach den Plänen der EU, sollen Bootsmigranten künftig direkt an den Außengrenzen registriert werden.
Viele Menschen sterben bei der Flucht über das Mittelmeer. Geht es nach den Plänen der EU, sollen Bootsmigranten künftig direkt an den Außengrenzen registriert werden. © AP/dpa | Francisco Seco

Ein Vorstoß ist auch, die Bargeldleistungen für Asylsuchende einzudampfen, und stattdessen auf Sachleistungen zu setzen. Was bewirkt das?

Knaus: Die Maßnahmen können möglicherweise wirksam sein gegenüber Personen, die ausreisen müssen. Das Kürzen von Geld verhindert aber keine Einreisen. Wer Sachleistungen vergibt, doktert an Symptomen der Asyl und Migrationspolitik herum.

Zugleich soll laut CDU und CSU der Familiennachzug für subsidiär Schutzsuchende vor allem aus Syrien gestoppt werden.

Knaus: Schon jetzt ist der Familiennachzug für diese Menschen auf 1000 Fälle pro Monat gedeckelt. Die Idee der Abschreckung, wie sie hinter diesen Maßnahmen steckt, hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Das Ziel sollte sein, dass insgesamt weniger Menschen irregulär in die EU kommen, durch Abkommen mit Herkunftsländern und Sicheren Drittstaaten. Und legale Wege, wie den kontrollierten Familiennachzug, der ja nicht irregulär ist.