Berlin/Wien. Alles deutet darauf hin, dass FPÖ-Chef Kickl an diesem Montag den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt – die ÖVP will Juniorpartner sein.

Paukenschlag in Wien: Erstmals seit 1945 könnte Österreich einen Kanzler aus einer extrem rechten Partei bekommen. Alles deutet darauf hin, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Regierungsauftrag erhält. Für diesen Montag um 11 Uhr hat Van der Bellen den FPÖ-Politiker zu einem Gespräch gebeten.

Das österreichische Staatsoberhaupt begründete diesen Schritt damit, dass sich die Situation nach den am Wochenende geplatzten Koalitionsgesprächen der Mitte-Parteien geändert habe. In der Vergangenheit hätten sich alle im Parlament vertretenen Parteien geweigert, ein Bündnis mit der FPÖ einzugehen, sagte Van der Bellen am Sonntagnachmittag. Nun aber seien die Stimmen in der ÖVP, die eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Kickl ausschließen, „deutlich leiser“ geworden.

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Gespräche über Regierungsbildung in Österreich
Von Gudrun Büscher, Stefan Schocher und Madeleine Janssen

Die FPÖ hatte die Parlamentswahl im vergangenen September mit 28,8 Prozent der Stimmen gewonnen. Dahinter rangierten die konservative ÖVP und die sozialdemokratische SPÖ. Der Noch-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef Karl Nehammer hatte ausdrücklich hervorgehoben, dass er eine Koalition mit der FPÖ zwar nicht grundsätzlich ausschließe, wohl aber eine Kooperation mit deren Vorsitzendem Kickl. Der 56-Jährige hatte hingegen darauf gepocht, dass ihm als Wahlgewinner der Anspruch auf die Kanzlerschaft zustehe.

FPÖ-Wahlkampfauftakt in Graz
Wahlsieger und bald auch Österreichischer Bundeskanzler? FPÖ-Parteichef Herbert Kickl ist kurz vor dem Ziel. © DPA Images | Erwin Scheriau

Österreich: ÖVP will nun doch die FPÖ unterstützen

Nach der Rede Van der Bellens reagierte die ÖVP postwendend mit positiven Signalen Richtung FPÖ. Er begrüße die Entscheidung des Bundespräsidenten, Kickl am Montag zu treffen, erklärte der zum Übergangs-Parteichef der ÖVP ernannte Christian Stocker. Er erwartet, dass Kickl mit der Bildung einer Bundesregierung betraut werde. „Wenn wir zu Gesprächen über eine Regierungsbildung eingeladen werden, dann werden wir dieser Einladung folgen“, so Stocker. Die ÖVP wäre dann aber Juniorpartner in einer Koalition und würde nur den Vize-Kanzler stellen.

Wirtschaftsvertreter warben bereits offen für eine Allianz zwischen ÖVP und FPÖ. Vor der Parlamentswahl im September 2024 hatte Georg Knill, Präsident der ÖVP-nahen Industriellenvereinigung, verkündet, dass seine Organisation „beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP“ sehe. Das heißt: keine neuen Belastungen für Unternehmen, runter mit den Steuern.

FPÖ-Chef Kickl: Gegen Russland-Sanktionen, für harte Migrationspolitik

Mit einem Kanzler Kickl bekäme Österreichs Regierung eine deutliche Schlagseite nach Rechtsaußen. So vertritt Kickl russlandfreundliche Positionen. Er wendet sich etwa seit Langem gegen EU-Sanktionen gegen Moskau im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. „Das ist nicht unmoralisch. Wir müssen bei Russland mit gleichem Maß messen wie bei den USA, die auch vielerorts in Ländern einmarschieren und völkerrechtswidrige Kriege führen“, sagte er.

In Sachen Asyl und Migration verfolgt Kickl eine harte Linie. „Flüchtlinge, die glauben, sich nicht an unsere Regeln halten zu müssen“, sollten das Land verlassen, unterstrich er. Dafür benutzt er – wie auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke – den Begriff „Remigration“. „Ich weiß gar nicht, was an diesem Wort so böse sein soll“, sagte er im Wahlkampf. Unter Kanzler Sebastian Kurz war Kickl von 2017 bis 2019 Innenminister.

FPÖ: Keine Berührungsängste gegenüber der Identitären Bewegung

„Remigration“ wird unterer anderem auch von der Identitären Bewegung propagiert, die in Österreich als rechtsextrem eingestuft ist. Gegenüber den Identitären hat Kickl keine Berührungsängste. Die Gruppierung sei so etwas wie eine rechte Nichtregierungsorganisation, sagte er einem TV-Sender. Ihre Kampagne gegen den UN-Migrationspakt sei ein „Beispiel für ein interessantes und unterstützenswertes politisches Projekt“.

Das Projekt einer Mitte-Regierung war am Wochenende an unterschiedlichen Vorstellungen darüber gescheitert, wie Österreichs lahmende Wirtschaft angekurbelt und gleichzeitig das Loch im Staatshaushalt gestopft werden soll. Am Freitag stiegen die liberalen Neos aus den Gesprächen aus, am Samstag warf Nehammer hin. Die SPÖ hatte unter anderem verlangt, dass der defizitäre Etat auf den Schultern reicherer Bevölkerungsschichten saniert werden müsse – etwa durch eine Vermögenssteuer. Die ÖVP war strikt gegen zusätzliche Steuern. Der Wirtschaftsflügel der Partei drängte vielmehr auf eine Entlastung der Unternehmen.

In Österreich ist eine Regierungsbeteiligung der FPÖ keineswegs ungewöhnlich. Als Koalitionspartner war die FPÖ bisher fünfmal in einer Bundesregierung vertreten, zuletzt von 2017 bis 2019. Sie stellte aber nie den Kanzler.  Darüber hinaus ist sie derzeit in fünf Bundesländern an Koalitionen beteiligt.

Kickl war es gelungen, die nach der Ibiza-Affäre 2019 abgestürzte FPÖ mit einem stark polarisierenden Kurs wieder aufzurichten. Er machte im Wahlkampf die strikte Begrenzung der Migration zum Hauptthema und stieß damit bei vielen auf Resonanz. Doch nicht nur das Thema Migration trug zum Erstarken der FPÖ bei. Auch Kickls Sturmlauf gegen die Teuerung, die Unterstützung für die Ukraine sowie seine Attacken gegen „das System“ verschaffte seiner Partei Zustimmung.

Wichtig für den Wiederaufstieg der FPÖ unter Kickl war auch die Corona-Krise. In der Pandemie machte sich die Partei zum Sprachrohr der Gegner von Lockdowns und verpflichtenden Impfungen. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Kickl vorgeworfen, nach einer „Gesundheitsdiktatur“ zu streben.

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