Berlin. „Law-and-Order-Plan“ zu Asyl: Die CSU steuert den Unions-Wahlkampf um. Kritiker warnen schon vor Rechtsbruch. Was taugen die Pläne?

CDU-Chef Friedrich Merz wollte in seinem Kanzler-Wahlkampf bisher nur zurückhaltend über die Reizthemen Asyl und Migration reden. Das scheint sich jetzt zu ändern. Vor allem die CSU rückt mit einer Knallhart-Ansage die neue Migrationspolitik der Union nach vorn: In einem „Sicherheitsplan für ein Law-and-Order-Deutschland“ wollen die Christsozialen in den nächsten Tagen eine harte Kurskorrektur ausmalen: Zurückweisung aller irregulären Migranten an den Grenzen, Bleiberecht nur bei auskömmlichem Einkommen, Aus für subsidiären Schutz. Mit dem Plan, den die CSU-Landesgruppe bei einer am Montag beginnenden Klausurtagung beschließen will und der unserer Redaktion vorliegt, breitet die CSU das große Besteck aus.

Der Ton ist scharf, täuscht aber darüber hinweg, dass zentrale Inhalte des Konzepts schon Bestandteil des Unions-Wahlprogramms sind - das fiel nur nicht auf, weil die Spitzen von CDU und CSU ihr Konzept kurz vor Weihnachten noch in einem gefälligeren Sound („Wohlstand für alle“) beschlossen hatten. Kritiker sind bestürzt über die Pläne und warnen die Union vor geplanten Rechtsbrüchen – Experten haben Zweifel, dass die Forderungen umsetzbar sind.

CDU-Chef Friedrich Merz (links) und CSU-Chef Markus Söder: Bei der Präsentation des Unions-Wahlprogramms konzentrierten sie sich noch auf Wirtschaftsthemen - jetzt rückt die CSU die Migrationspolitik in den Vordergrund des Wahlkampfes.
CDU-Chef Friedrich Merz (links) und CSU-Chef Markus Söder: Bei der Präsentation des Unions-Wahlprogramms konzentrierten sie sich noch auf Wirtschaftsthemen - jetzt rückt die CSU die Migrationspolitik in den Vordergrund des Wahlkampfes. © dpa | Kay Nietfeld

Zurückweisung an der Grenze: Migrationsexperte spricht von „Atombombe“

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl wirft der Union nun sogar eine „Radikalisierung“ in der Migrationspolitik vor.  „Es ist extrem besorgniserregend, dass die Unionsparteien bei ihren Forderungen an vielen Stellen Grund- und Menschenrechte missachten, um Wähler rechter Parteien zu umwerben“, sagte Pro-Asyl-Rechtsexpertin Wiebke Judith unserer Redaktion.  Man erlebe eine Erosion von Grundprinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Menschenrechten, für die die demokratischen Parteien eigentlich stehen müssten.

Die Kritik gilt auch dem zentralen Punkt der Unionspläne: Die Forderung, künftig alle irregulären Migranten gleich an der Grenze zurückzuweisen. Die CSU nennt es in ihrem neuen Papier „die erste Maßnahme, die von einem Bundesinnenminister nach der Wahl umgesetzt werden muss“. Im Unions-Wahlprogramm wird die Zurückweisung als „faktischer Aufnahmestopp“ angekündigt. „Wir sehen immer deutlicher, dass wir mit der großen Zahl der zu uns kommenden Menschen in Deutschland einfach nicht mehr zurechtkommen“, sagt Merz der Welt am Sonntag, „daran muss sich etwas Grundsätzliches ändern“. Aber lassen sich die Grenzen einfach so dichtmachen? Von praktischen Problemen abgesehen - Fachleute haben massive Bedenken, viele Juristen halten es für unzulässig.

Seit vorigem Jahr gibt es an allen deutschen Landgrenzen stationäre Kontrollen der Bundespolizei. Die Union will durchsetzen, dass künftig alle irregulären Migranten an der Grenze zurückgewiesen werden. Kritiker warnen vor Verstößen gegen Europa- und Völkerrecht.
Seit vorigem Jahr gibt es an allen deutschen Landgrenzen stationäre Kontrollen der Bundespolizei. Die Union will durchsetzen, dass künftig alle irregulären Migranten an der Grenze zurückgewiesen werden. Kritiker warnen vor Verstößen gegen Europa- und Völkerrecht. © dpa | Harald Tittel

Gerhard Knaus, einer der führenden Migrationsexperten im deutschsprachigen Raum, sagt: „Das EU-Recht ist glasklar. Man darf an der Grenze zwar Menschen stoppen, aber wenn sie einen Asylantrag vorbringen wollen, dann darf man sie nicht einfach ohne Verfahren zurückschicken.“ Das habe die europäische Rechtsprechung gerade erst bestätigt.

Knaus spricht von einer „Atombombe“ und warnt vor einem Dominoeffekt in Europa: „Dann hätte Deutschland überhaupt keine Partner mehr, denn ohne EU-Recht gibt es auch keine Rücknahme.“ Auch Pro Asyl sieht einen Verstoß gegen Völker- und Europarecht: „Der Streitpunkt hier ist die Frage, was passiert, wenn die Person einen Asylantrag stellt“, sagt Rechtsexpertin Judith. Selbst wenn ein anderer EU-Staat zuständig ist, muss das in einem rechtsstaatlichen Verfahren – im sogenannten Dublin-Verfahren – geklärt werden. „Das Europarecht macht da sehr klare Vorgaben. Das wollen CDU und CSU jetzt einfach brechen“, sagt Judith.  

Zurückweisungen an der Grenze? EU-Kommission stellt Rechtslage klar

Unionspolitiker verweisen auf eine Ausnahmeregel in den EU-Verträgen, aber die ist für die Lage in Deutschland kaum anwendbar. Mittelfristig ist das Ziel, das EU-Recht zu ändern – was, wenn überhaupt, in einigen Jahren realistisch wäre. Die EU-Kommission hat gerade erst klargestellt, dass Zurückweisungen an den Grenzen derzeit nur unter strengen Bedingungen möglich sind. „Stellt ein Drittstaatsangehöriger an der Binnengrenze eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, so ist der betreffende Mitgliedstaat nach EU-Recht verpflichtet, die Bestimmungen der Dublin-Verordnung anzuwenden, um festzustellen, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt.

Und weiter: Die Ausnahmeregelung des Artikels 72 des EU-Vertrags - auf die sich Unionspolitiker berufen – sei „eng auszulegen“ und dürfe nicht als Ermächtigung der Mitgliedstaaten verstanden werden, von den Bestimmungen des EU-Rechts abzuweichen. Würde Merz als Bundeskanzler, der sich auf das Europa-Erbe von Adenauer und Kohl beruft, wirklich gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine politische Bombe in Brüssel zünden und das ohnehin lädierte EU-Asylrecht endgültig in Trümmer legen?

Migranten versuchen, mit einem einfachen Boot von Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
Migranten versuchen, mit einem einfachen Boot von Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. © AP/dpa | Francisco Seco

Die Kommissionsbewertung hatte Ende Oktober die damals noch amtierende EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf eine Parlaments-Anfrage des Grünen-Europaabgeordneten Erik Marquardt verfasst. Marquardt nennt die Unionsforderungen nun unrealistisch und populistisch. Viele der Forderungen ließen sich praktisch nicht umsetzen und seien nach EU-Recht und Menschenrechten unzulässig, sagt der Sprecher der Grünen-Gruppe unserer Redaktion. Mit Blick auf den CSU-Sicherheitsplan fügt Marquardt hinzu: „Es entsteht der Eindruck, dass CSU-Politiker nicht nur die christlichen Werte, sondern auch gleich ihre eigene Großmutter verkaufen würden, um bei der Wahl ein paar Punkte gut zu machen“.

Union will Asylverfahren in Drittstaaten und neues Einbürgerungsgesetz wieder ändern

Nicht alle Unionsforderungen sind so umstritten: Die im Programm verlangte Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten, die der CSU-Plan bekräftigt, wird längst von den Bundesländern befürwortet, von der Bundesregierung geprüft und auch auf EU-Ebene diskutiert. Die Union will auch das neue Ampel-Gesetz für schnellere Einbürgerungen wieder rückgängig machen, weil sie darin einen „Pull-Faktor“ sieht, und Doppelstaatlichkeit zum Ausnahmefall machen – ärgerlich für die Ampel-Parteien, aber politisch begründbar und rechtlich zulässig.

Doch den CSU-Plan für eine unbefristete Abschiebehaft nennt Pro Asyl schlicht „verfassungswidrig“. Die Forderung von CDU und CSU, den subsidiären Schutz abzuschaffen, sei „Augenwischerei“. Dabei geht es um Geflüchtete, die nicht asylberechtigt und auch keinen Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, aber trotzdem Schutz zuerkannt bekommen - weil sie zum Beispiel von Folter in ihrem Heimatland bedroht sind, erläutert Judith.  „Die Betroffenen fallen damit unter das Abschiebungsverbot, das sich aus der europäischen Menschenrechtskonvention ergibt“, erklärt sie. Deshalb mache es keinen Sinn, diesen Menschen jeden Schutzstatus zu versagen.

Unzulässig sei es auch, für Schutzberechtigte das Bleiberecht an ein auskömmliches Einkommen zu koppeln, wie es die CSU im Sicherheitsplan fordert: „Aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt sich der Anspruch auf eine sozialrechtliche Gleichbehandlung für Geflüchtete“, erläutert die Pro-Asyl-Juristin. „Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist klar: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar.“ Deshalb sei es nicht möglich, Flüchtenden jede Unterbringung oder Sozialleistung zu verwehren. 

Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist 2024 um ein Drittel gesunken

Die SPD sieht in den Unions-Forderungen einen „populistischen Überbietungswettbewerb mit der AfD“. Dabei seien der frühere CSU-Chef Horst Seehofer und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „die Verursacher der heutigen Probleme“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, unserer Redaktion. Er verweist darauf, dass die Zahl der Asylbewerber in Deutschland 2024 deutlich zurückgegangen ist. Nach vorläufigen Zahlen haben die Behörden 213 500 Asylgesuche registriert, 34 Prozent weniger als 2023.

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Unklar ist, wie die Union das Thema weiter behandelt. Merz will sich eigentlich auf Wirtschaftsthemen konzentrieren, weil er damit am ehesten Wechselwähler anzusprechen hofft. Das Migrationsthema, fürchten einige CDU-Strategen, könnte dagegen eher der AfD in die Hände spielen – Forderungen wie die nach Zurückweisungen an der Grenze gehören seit Jahren zu ihrem Standardprogramm. Mit ihren potenziellen Koalitionspartnern aber kann die Union die radikalen Pläne kaum umsetzen, am schwierigsten würde es mit den Grünen. Bei ihnen kursiert die Vermutung, CSU-Chef Markus Söder verschärfe gezielt den Ton in der Migrationsdebatte, um im Wahlkampf die Hürden für eine schwarz-grüne Koalition zu erhöhen – eher zum Leidwesen von Merz.

Bislang sieht es nicht so aus, dass die Grünen in Söders Falle tappen. Sie argumentieren jetzt mit Machbarkeit, weniger mit Moral. Grünen-Migrationsexperte Marquardt sagt kühl: „Man sollte auch in Wahlkampfzeiten nur Maßnahmen fordern, die man in der Regierung dann auch umsetzen kann.“