Kiew. Mychajlo Drapatyj wird für einen Schachzug bewundert, bei dem er etliche Soldaten rettete. Nun kommt eine neue Aufgabe auf ihn zu.

Es ist eine symbolische Personalentscheidung, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj da getroffen hat: Die Landstreitkräfte haben einen neuen Kommandeur bekommen – eine wichtigere Position gibt es in der ukrainischen Armee kaum, abgesehen vielleicht vom allgemeinen Befehlshaber Oleksandr Syrskyj. Selenskyj läutet jetzt einen Generationswechsel an der Spitze der Landstreitkräfte ein. Denn der neue Kommandeur Mychajlo Drapatyj ist gerade einmal 42 Jahre alt. Schon jetzt gilt er als eine lebende Legende des russisch-ukrainischen Krieges.

Drapatyj stammt aus dem westukrainischen Kamjanez-Podilskyj und hat sein ganzes bisheriges Leben dem Wehrdienst gewidmet. In Charkiw durchlief er das Militärinstitut für Panzertruppen. Mit der Eskalation im Donbass vor zehn Jahren kam ihm eine besondere Rolle zu: Am 9. Mai 2014 stürmten prorussische Milizen das städtische Polizeirevier von Mariupol. Sie umzingelten das Gebäude und forderten ukrainische Polizisten zur Aufgabe auf. Es war das von Drapatyj angeführte Bataillon der 72. Brigade, das auf wenigen Schützenpanzern zur Hilfe eilte.

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Der 42-jährige Mychailo Drapatyi widmete sein ganzes bisheriges Leben dem Wehrdienst. © armyinform.com.ua | armyinform.com.ua

Als die Soldaten bei dem Gebäude ankamen, hatten bewaffnete Milizen das Erdgeschoss bereits besetzt. Drapatyjs Soldaten halfen den Polizisten, aus der Umzingelung zu fliehen – und der heutige Generalmajor fuhr dabei im ersten Schützenpanzer der Kolonne. Als die Ukrainer Mitte Juni 2014 Mariupol gänzlich befreiten, war Drapatyjs Einheit an der Grenze zu Russland stationiert, um den Vorstoß der weiteren prorussischen Kräfte tief in den Donbass zu verhindern. 

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Mychajlo Drapatyj hat sich mit mutigen Schachzügen Respekt in der Armee erarbeitet

Drapatyjs Truppe war letztlich 28 Tage lang umzingelt – doch schuld waren nicht etwa eigene taktische Fehler, sondern die Tatsache, dass die russischen Streitkräfte begannen, ukrainisches Gebiet von Russland aus mit Artillerie zu beschießen. Zu dem Zeitpunkt durften die ukrainischen Soldaten noch nicht zurückschießen; man fürchtete die ganz große Eskalation.

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Mychajlo Drapatyj führte 260 Soldaten seiner Brigade sowie Soldaten von fünf anderen Einheiten über die Felder hinaus, die Straßen mied er. Es war ein mutiger Schachzug, für den die Soldaten und Generäle in der Armee ihm schon damals Respekt zollten.

Am 24. Februar 2022 reiste Drapatyj wieder im Osten der Ukraine. Dass es sich diesmal um eine Vollinvasion handelte, sei ihm sofort klar gewesen. „Schließlich war er [Putin, Anm. d. Red.] für den vollumfänglichen Krieg bereit, weil er eigentlich schon acht Jahre andauerte“, sagte er einem Interview. In der ersten Phase führte Drapatyj die operative Gruppierung „Süden“ an. Diese befreite später die Stadt Cherson und den gesamten Teil der gleichnamigen Region auf der westlichen Seite des Dnipro-Flusses.

Drapatyj: „Die ukrainischen Streitkräfte sollen eine Armee der Zukunft werden“

Selenskyj ernannte Drapatyj im Februar 2024 zum stellvertretenden Leiter des Generalstabs – der Präsident wollte ein Zeichen setzen und die militärische Führungsriege verjüngen. Doch als die Russen dann im Mai ihre Offensive an der Grenze zur Region Charkiw begannen, war es Drapatyj, der wieder aufs Schlachtfeld entsandt wurde und den Vorstoß der russischen Armee rasch stoppen konnte.

Präsident Wolodymyr Selenskyj will die Führungsetage des Militärs verjüngen.
Präsident Wolodymyr Selenskyj will die Führungsetage des Militärs verjüngen. © AFP | HANDOUT

„Er hat das Team vor Ort schnell kennengelernt, verstanden, wer ersetzt werden musste, und hat das operative Kommando mit kompetenten neuen Leuten verstärkt“, sagte eine Insider-Quelle dem ukrainischen Portal „Babel“. Für diesen Einsatz bekam Drapatyj von Selenskyj den Dienstgrad eines Generalmajors überreicht.

Nun ist er weiter nach oben gerückt: Mit gerade einmal 42 Jahren ist er der jüngste Kommandeur der Landstreitkräfte in der Geschichte der Ukraine. Für Selenskyj ist es eine Herzensangelegenheit, die Führung des Militärs zu verjüngen. So wurde Oleh Apostol, 47, der Kommandeur der 95. Brigade, zum stellvertretenden Leiter des Generalstabs, während Pawlo Palissa, Kommandeur der 93. Brigade, in das Präsidialamt als stellvertretender Chef wechselte, um als Militär mit Kampferfahrung Selenskyj zu berichten, wie es wirklich in der Armee zugeht und was die Soldaten umtreibt.

Wie erfolgreich Drapatyj und seine Kollegen in ihren neuen Aufgaben sein werden, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Der Ansatz des Kommandeurs ist jedoch schon jetzt klar: „Menschen, Technologien und transparente Führung werden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Die ukrainischen Streitkräfte sollen eine Armee der Zukunft werden.“