Berlin. Hunderttausende Kilometer hat Scholz im Regierungsflieger absolviert. Nun tritt der Kanzler seine womöglich letzte große Auslandsreise an.

Olaf Scholz steigt noch einmal die Treppe zum Vordereingang des Luftwaffenairbus A350 hoch. Seine Frau Britta Ernst begleitet den Bundeskanzler. Scholz fliegt gut zwölf Stunden zum G20-Gipfel nach Rio de Janeiro. Der Besuch in Brasilien am Montag und Dienstag könnte nicht nur die letzte große Auslandsreise vor der Neuwahl im Februar sein, sondern auch der letzte Interkontinentalflug von Olaf Scholz als Bundeskanzler.

Vor einem Jahr hatte die Bundesregierung schon einmal Bilanz gezogen: Seit seinem Amtsantritt hatte Scholz bis zu dem Zeitpunkt im Regierungsflieger eine Entfernung weiter als bis zum Mond zurückgelegt oder rechnerisch etwa zwölfmal die Erde umrundet. Weitere Reisen folgten seitdem, und der Besuch in Brasilien lässt das Flugmeilenkonto des Kanzlers noch einmal anwachsen. Was bleibt von dem Außenpolitiker Scholz nach dieser Amtszeit?

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Scholz und Putin: Sie saßen sich im Kreml gegenüber

Seine erste Auslandsreise hatte Scholz im Dezember 2021 zwei Tage nach Amtsantritt nach Paris zu Präsident Emmanuel Macron geführt, wie es gute Sitte im deutsch-französischen Verhältnis ist. Bei Lammkotelett, Gemüse und „Kartoffeln Élysée“ saßen Scholz und Macron damals zusammen. Das persönliche Verhältnis der beiden soll nie so schlecht gewesen sein wie bisweilen beschrieben. Aber in einen politischen Gleichschritt fand das deutsch-französische Tandem mit Scholz und Macron nie, während Europa in einer tiefen Krise steckt.

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Kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine flog Scholz im Februar 2022 noch zu Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Kiew und zum russischen Staatschef Wladimir Putin nach Moskau. Im Kreml saß Scholz Putin gegenüber, allerdings wegen der panischen Angst des Präsidenten vor dem Coronavirus am anderen Ende eines skurril langen Tisches. Scholz hörte dann Putins Lügen über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, obwohl der Krieg längst beschlossene Sache war.

Bundeskanzler Scholz reist nach Moskau
Bundeskanzler Olaf Scholz zu Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau im Februar 2022. © DPA Images | MIKHAIL KLIMENTYEV

Ukraine-Krieg: Scholz reiste um die Welt und suchte Verbündete

Ob Afrika, Asien oder Südamerika: Danach besuchte Scholz gezielt die wichtigsten Staaten der jeweiligen Kontinente, wie Südafrika, Saudi-Arabien, China, Indien, Argentinien und Brasilien, um diese vom westlichen Blick auf den Krieg in Europa zu überzeugen. Der Kanzler wollte Putin isolieren – oder zumindest mithilfe der nicht westlichen Länder Druck auf den russischen Machthaber aufbauen, den Krieg in der Ukraine zu beenden.

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Inzwischen ist der Kriegsbeginn fast 1000 Tage her. Auf vielen dieser Stationen bekam Scholz allenfalls hinter geschlossenen Türen Kritik an Putin zu hören. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, der Scholz zwar stets freundschaftlich „Comrade“ (Genosse) nennt, inszenierte die Meinungsverschiedenheiten bei einer Pressekonferenz unter freiem Himmel in Pretoria so deutlich, dass Scholz sich genötigt sah, noch einmal ausdrücklich auf Englisch seinen Standpunkt klarzustellen.

G20-Gipfel: Selenskyj ist nicht eingeladen, Putin schickt seinen Außenminister

Eine seiner anstrengendsten Reisen unternahm Scholz im November 2022, um Chinas Staatschef und Putins engen Verbündeten Xi Jinping von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Die asiatische Großmacht schottete sich damals wegen der Corona-Pandemie strikt ab. Um nicht in die staatliche überwachte Quarantäne zu müssen, flog die Kanzlerdelegation nach Peking, war nur elf Stunden vor Ort, dann machte sich Scholz ohne Übernachtung auf den Rückweg. Trotz totaler Übermüdung waren der Kanzler und seine Entourage im Regierungsflieger euphorisch: Xi hatte nach dem Treffen mit Scholz Putin öffentlich vor einer nuklearen Eskalation des Krieges gewarnt.

Olaf Scholz und Xi Jinping
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der chinesiche Staatspräsident Xi Jinping. © DPA Images | Michael Kappeler

Zwei Jahre später ist Putin in der Ukraine militärisch im Vorteil, seine Macht scheint innenpolitisch unangefochten. Xi gibt ihm noch immer Rückendeckung, Indien kauft weiterhin billiges Öl aus Russland und Brasiliens Präsident Lula da Silva hat als Gastgeber des G20-Gipfels den Krieg nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Selenskyj ist zudem nicht hinzugeladen, während für Russland Außenminister Sergej Lawrow erwartet wird. Er bedauere sehr, dass der ukrainische Präsident nicht eingeladen sei, sagte Scholz vor dem Abflug in Berlin.

Biden und Scholz beim G20-Gipfel: „lame duck“ und gerupfter Kanzler

US-Präsident Biden in Berlin
Sie pflegten eine enge politische Beziehung: US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz. © DPA Images | Sebastian Gollnow

Die engsten Unterstützer der Ukraine, der in Kürze aus dem Amt scheidende US-Präsident Joe Biden und Scholz, kommen als „lame duck“ (lahme Ente) und gerupfter Kanzler nach Brasilien. Zwar will man in Scholz‘ Umfeld nichts davon wissen, dass dem Kanzler im Kreis der großen Industrieländer nur noch eine Statistenrolle zukomme. Als bedeutender Geldgeber für Entwicklungshilfe und Klimafinanzierung sei man „nach wie vor in der Champions League“.

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Aber vor dem Gipfel sind die Erwartungen gering. „Wir leben in sehr schwierigen Zeiten“, sagt ein Regierungsvertreter. Von „Sorgen“ und „sehr, sehr großen Differenzen“ ist die Rede, neben westlichen Staaten wie Deutschland, den USA oder Frankreich gehören der Runde neben Brasilien auch China, Indien oder Südafrika an. Die Gespräche seien „irre schwierig“. Die Machtübernahme von Donald Trump in den USA werfe zudem „schon seinen Schatten auf dieses Treffen“.

Scholz droht der Abschied, die Welt ist unsicher wie selten

Im Vorfeld des Gipfels zählten die Verhandlungen zum Krieg in der Ukraine zu den schwierigsten Punkten. Scholz will die Lage in der Ukraine in Rio bei jeder Gelegenheit ansprechen. Auch in seinem Telefonat mit Putin habe er bekräftigt, dass die Unterstützung Deutschlands, Europas und anderer in der Welt nicht nachlassen werde, sagte Scholz. „Das Gespräch war sehr ausführlich, hat aber auch zu der Erkenntnis beigetragen, dass sich bei dem russischen Präsidenten an seinen Ansichten zu dem Krieg nicht viel geändert hat, was keine gute Nachricht ist“, so der Kanzler. Die Ukraine könne sich weiter auf Deutschland verlassen.

Ob sich in einer G20-Abschlusserklärung aber noch einmal eine deutliche Verurteilung des russischen Angriffskrieges findet, ist unsicher. „Das wird eine Herausforderung“, heißt es aus dem Kanzleramt. Die Bilanz ist bitter. Verliert Scholz im Februar die Wahl, verlässt er das Kanzleramt in einer globalen Lage, die so unsicher ist wie selten zuvor.