Renk. Rund 900.000 Menschen sind aus dem Sudan in den Südsudan geflohen. Auch dort gibt kaum Essen, keine Perspektiven – und keine Sicherheit.

Wenn Shakrin Peter spricht, dann ist ihre Stimme leise, fast schüchtern. Die meiste Zeit blickt sie auf ihre im Schoß verschlungenen Hände. Sie würde gerne Ärztin werden, sagt sie. In der Zukunft, nachdem sie ihren Schulabschluss gemacht habe. Ein geblümtes Laken bedeckt das Bett, auf dem sie sitzt, darüber hängt ein Moskitonetz. Das Bett nimmt den größten Teil der kleinen Strohhütte ein. Daneben steht ein klappriger Tisch mit einem Wasserkrug, in der Ecke gegenüber stapeln sich zwei bunte Taschen. Die Hütte enthält alles, was Shakrin besitzt. Ein ganzes Leben, verteilt auf wenigen Quadratmetern. Das Wichtigste liegt allerdings neben ihr auf dem Bett, eingewickelt in eine blaue Decke mit buntem Teddybär-Aufdruck. Es ist ihre einen Monat alte Tochter Nura. Dabei ist Shakrin mit ihren 17 Jahren fast selbst noch ein Kind.

Gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern ist Shakrin Ende 2023 aus dem Nachbarland Sudan in den Südsudan geflohen. Seit etwas weniger als einem Jahr ist sie jetzt hier, in Renk, einer Stadt im Norden des Landes. Weniger als 50 Kilometer Landstraße trennen Renk von der sudanesischen Grenze und dem Grenzübergang Joda, über den die meisten Flüchtenden kommen. Rund 914.000 Menschen sind laut Daten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seit dem Ausbruch des Krieges im Sudan im April 2023 in das Nachbarland geflüchtet. Damit ist der Südsudan das Land, das neben Tschad und Ägypten die meisten Menschen aus dem Sudan aufgenommen hat.

Die Hütte, in der Shakrin Peter mit ihrer Mutter und ihrer Tochter lebt.
Die Hütte, in der Shakrin Peter mit ihrer Mutter und ihrer Tochter lebt. © Plan International | Plan International

Südsudan: Die Geflüchteten hoffen, sicherer zu sein, doch das ist nicht immer der Fall

Viele von denen, die nach Renk kamen, sind geblieben – oft auch, weil sie keine andere Option hatten. Wie viele Menschen mittlerweile in dem eigentlich kleinen Ort leben, weiß niemand so genau. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die Geflüchteten sind entweder in einem der großen Transitcamps untergekommen oder in den vielen einfachen Hütten und Zelten, die überall im Umkreis von Renk zu finden sind.

Auch Shakrin und ihre Familie wohnen am Ortsrand, nicht weit von den großen Camps entfernt. Ein Trampelpfad führt von der Straße durch das hohe Gras bis zu der kleinen Hütten-Ansammlung. Das Grundstück gehört Shakrins Tante. Wie alle Geflüchteten ist die Familie in der Hoffnung in den Südsudan gekommen, hier sicherer zu sein – für Shakrin allerdings war das Gegenteil der Fall.

Shakrin traute sich nicht, über das zu sprechen, was ihr passiert war

Sie trägt ein dunkelblaues Kleid, das an der Seite eingerissen ist. Der Aufdruck „Don’t worry, be happy“ steht im starken Kontrast zu dem, was sie erzählt. Kurz nach ihrer Ankunft in Renk habe sie sich abends draußen erleichtern wollen, sagt sie. Sobald die Sonne untergeht, ist es hier am Ortsrand komplett dunkel – Strom gibt es keinen. Als sie sich ins Gebüsch gesetzt habe, habe sie ein Mann überfallen, erinnert sich die 17-Jährige. Plötzlich redet sie schneller, macht weniger Pausen. Man merkt, dass sie erzählen möchte, was ihr passiert ist. Der Mann, ein Fremder, habe sie vergewaltigt, erzählt sie: „Ich habe geschrien, aber es war niemand da, der mir helfen konnte.“ Erst nach einiger Zeit habe eine Frau sie gehört und sei zu ihr gerannt. Daraufhin habe der Fremde von ihr abgelassen und sei abgehauen. „Ich habe sein Gesicht nie gesehen“, sagt Shakrin.

Als sie zurück in ihre Hütte kam, habe sie sich nicht getraut, über das zu sprechen, was ihr angetan worden war, erinnert sie sich. Auch ihrer Mutter sagte sie die Wahrheit nicht – bis ihre Periode kurz darauf ausblieb. Erst als ihre Mutter sie darauf ansprach, berichtete Shakrin, was ihr angetan worden war. Shakrin spricht von einem „Incident“, also einem Zwischenfall. Aber man spürt, dass es viel mehr für sie war. Zunächst habe ihre Mutter ihr nicht geglaubt, erinnert sie sich. Aber sie habe eingewilligt, mit ihr zu einer Stelle der Hilfsorganisation „Save the Children“ zu gehen, um eine medizinische Untersuchung zu bekommen. Im lokalen Krankenhaus sei die Schwangerschaft dann bestätigt worden.

Shakrin Peter (17) und ihre Mutter Angelina Peter (31) in Renk im Südsudan.
Shakrin Peter (17) und ihre Mutter Angelina Peter (31) in Renk im Südsudan. © Plan International | Plan International

Schwanger mit 17: „Ich hatte Angst, dass Gott mich sonst bestraft“

Sowohl im Sudan als auch im Südsudan sind Abtreibungen – auch nach einer Vergewaltigung – illegal. Durchgeführt werden dürfen sie nur, wenn das Leben der Frau in akuter Gefahr ist. Dennoch entscheiden sich immer wieder Frauen dazu, unsichere Abtreibungen durchführen zu lassen – und nehmen dafür große Risiken in Kauf. Für Shakrin allerdings war das keine Option. „Als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, habe ich mir gesagt, dass das ein Zeichen von Gott ist“, sagt sie. „Ich hatte Angst, dass Gott mich sonst bestraft.“ Während sie spricht, fängt Nura leise an zu wimmern. Shakrin legt ihr beruhigend die Hand auf den kleinen Bauch. Sie habe in der Schwangerschaft dennoch große Angst gehabt, erinnert sie sich. „Wir wussten nicht, wie wir uns um dieses Kind kümmern sollten.“ Aber ihre Mutter habe ihr versprochen, dass sie sie unterstützen werde.

Shakrins Mutter Angelina war selbst erst 14 Jahre alt, als Shakrin geboren wurde. Heute hat die 31-Jährige sechs Kinder. Geboren wurde Shakrin im Südsudan. Sie und ihre Familie sind sogenannte Returnees, also Rückkehrende. Sie kommen ursprünglich aus dem Südsudan, sind aber während des Bürgerkriegs, der zwischen 2013 und 2018 im Land herrschte, in den Sudan geflohen. Nun wurden sie wie Hunderttausende andere Returnees zum zweiten Mal vertrieben. Ein großer Teil entscheidet sich wie Shakrins Familie dazu, in ihr Heimatland zurückzukehren. Auch wenn die Situation vor Ort kaum besser ist.

Geflüchtete überqueren die Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan. Die meisten Geflüchteten kommen über den Grenzübergang in Joda, nur wenige Kilometer von Renk entfernt.
Geflüchtete überqueren die Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan. Die meisten Geflüchteten kommen über den Grenzübergang in Joda, nur wenige Kilometer von Renk entfernt. © Plan International | Plan International

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Wahlen im Südsudan wurden mehrfach verschoben

Der Südsudan ist das jüngste Land der Erde und gilt dennoch als gescheiterter Staat. 2013, nur zwei Jahre, nachdem das Land seine Unabhängigkeit vom Sudan erlangt hatte, brach ein brutaler Bürgerkrieg aus. Mehr als vier Millionen Menschen mussten fliehen, 400.000 Menschen verloren Schätzungen zufolge ihr Leben. 2018 unterzeichneten die Parteien eine Friedenserklärung, zwei Jahre später wurde eine Übergangsregierung installiert, die bis heute regiert. Doch das Land kommt nicht zur Ruhe. Es gibt kaum intakte Infrastruktur, kaum staatliche Gesundheitsversorgung, fast keine staatlichen Institutionen. Für dieses Jahr waren eigentlich demokratische Wahlen vorgesehen, der Termin wurde allerdings mehrfach verschoben. Die Krise im Nachbarland Sudan hat die humanitäre und wirtschaftliche Situation im Südsudan drastisch verschlechtert.

Im Sudan habe sie als Putzkraft gearbeitet, erzählt Shakrins Mutter Angelina. Doch nach Ausbruch des Krieges sei das nicht mehr möglich gewesen. „Ich hatte gehofft, dass es im Südsudan besser ist. Aber hier gibt es auch keine Arbeit“, sagt sie. Damit die Familie überlebt, geht Angelina in der Umgebung Feuerholz sammeln, das sie anschließend verkauft. Doch dabei verdient sie kaum genug für eine kleine Schüssel Getreide. An manchen Tagen esse die Familie gar nichts, sagt sie.

Eine geflüchtete Frau läuft durch eines der großen Transitcamps im Renk, im Südsudan.
Eine geflüchtete Frau läuft durch eines der großen Transitcamps im Renk, im Südsudan. © Plan International | Plan International

Drei Viertel der Bevölkerung im Südsudan auf humanitäre Hilfe angewiesen

In der Zwischenzeit fängt es an zu regnen. Dicke Tropfen fallen auf das durchlässige Strohdach der Hütte, die kaum geschützt ist. Eine Plastikplane auf dem Dach gibt es nicht. Bei starken Regenfällen könnte das Wasser ungehindert in die Hütte fließen. Nura wimmert mittlerweile nicht mehr nur leise, sondern hat lauthals angefangen zu schreien. „Sie hat Hunger“, sagt Shakrin. „Aber ich habe keine Milch, weil ich heute noch nichts gegessen habe.“ Hilflos nimmt sie ihre Tochter in den Arm und schaukelt sie sanft.

Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Nahrungsmittelversorgung war schon vor Ausbruch des Krieges im Sudan schlecht. Durch die Krise hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Im vergangenen Jahr hat die landeseigene Währung, das Südsudanesische Pfund, drastisch an Wert verloren – für einen Großteil der Menschen sind schon Grundnahrungsmittel unerschwinglich. Laut den Vereinten Nationen (UN) sind neun Millionen Menschen, also fast drei Viertel der Bevölkerung im Südsudan, auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sieben Millionen haben keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung. Schon jetzt sind nach Angaben von Unicef 1,65 Millionen Kinder von akuter Mangelernährung bedroht.

Im großen Transitcamps in Renk kommen die meisten Geflüchteten aus dem Sudan an.
Im großen Transitcamps in Renk kommen die meisten Geflüchteten aus dem Sudan an. © Plan International | Plan International

Bundesregierung hat Budget für humanitäre Hilfe drastisch gekürzt

Das Problem: Die Kapazitäten der Hilfsorganisationen sind begrenzt. Sie sind auf internationale Gelder angewiesen – unter anderem aus Deutschland. Doch die Fördermittel gehen zurück. Der aktuelle Entwurf zum Bundeshaushalt 2025, dessen Beschluss nach dem Ampel-Aus auf der Kippe steht, sieht fast eine Halbierung des Budgets für humanitäre Hilfe vor. Das könnte sich auch auf die Hilfe im Südsudan auswirken. „Ich fürchte, dass wir durch den Rückgang der Fördermittel bald nicht mehr in der Lage sein werden, unsere Arbeit hier so fortzusetzen wie bisher“, sagt Mohamed Kamal, Länderdirektor von Plan International Südsudan. Die Hilfsorganisation kümmert sich hier in Renk unter anderem um die Unterstützung von jungen Frauen wie Shakrin.

Fragt man Shakrin, was sie am dringendsten braucht, sagt sie sofort: Essen. „Und Kleidung für meine Tochter. Ich habe nichts für sie“, fügt sie dann hinzu. Dennoch spürt man bei Shakrin und ihrer Mutter, was man auch im Gespräch mit anderen Geflüchteten merkt: Eine Art stoische Akzeptanz der Situation. „Wir bleiben geduldig“, sagt Shakrins Mutter Angelina. „Was bleibt uns auch anderes übrig?“ Und trotz all der Hoffnungslosigkeit ist da immer noch ein kleines Fünkchen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Ich würde gerne wieder zur Schule gehen“, sagt Shakrin. Um irgendwann Ärztin werden zu können. Über weitere Wünsche muss sie dennoch lange nachdenken. Es wirkt fast so, als hätte sie sich bisher kaum einen Gedanken daran erlaubt. Dann sagt sie: „Ich wünsche mir, dass meine Tochter gesund bleibt.“