Seoul. Nordkoreanische Soldaten in Russland sollen Kanonenfutter sein. Doch Experten sind sich nicht so sicher. Sie vermuten berüchtigte Elite-Soldaten.
Um Punkt 12 schritt Mark Rutte zielstrebig auf das Rednerpult im Nato-Hauptquartier zu, um die Öffentlichkeit auf den neusten Stand zu bringen. „Heute kann ich bestätigen, dass nordkoreanische Truppen nach Russland geschickt wurden; und dass nordkoreanische Militäreinheiten bereits in der Region Kursk stationiert wurden“, sagte der Nato-Generalsekretär kurz und bündig. Die Achse Pjöngjang-Moskau würde nicht nur eine „bedeutsame Eskalation“, sondern auch eine „gefährliche Expansion des russischen Angriffskriegs“ darstellen. Zuvor war Rutte von einer südkoreanischen Delegation gebrieft worden. Hochrangige Vertreter des Geheimdienstes sowie des Verteidigungsministeriums in Seoul teilten ihren Informationsstand mit.
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Fakt ist: Südkoreas Geheimdienst geht davon aus, dass Nordkorea bis Dezember 10.000 Mann nach Russland entsenden wird. Rund 3.000 sollen sich bereits im Land aufhalten, wo sie für einen Kriegseinsatz vorbereitet werden. Südkoreas Verteidigungsminister Kim Yong Hyun bezeichnete die entsandten Nordkoreaner abwertend als „Kanonenfutter-Söldner“.
Doch Experten sind sich da nicht so sicher. Laut ersten Einschätzungen soll es nicht um das gewöhnliche Fußvolk der 1,3 Millionen starken Volksarmee handeln – jenen Soldaten also, die oftmals unterernährt und schlecht ausgebildet sind. Die zur Reparatur brüchiger Straßen und Erntearbeiten entsandt werden, jedoch keinen Panzer bedienen können.
Das berüchtigte 11. Armeekorps der nordkoreanischen Volksarmee
Ganz im Gegenteil: Wie südkoreanische Zeitungen berichten, wird vermutet, dass Machthaber Kim insgesamt vier Brigaden aus dem berüchtigten 11. Armeekorps der nordkoreanischen Volksarmee entsendet – einer Spezialeinheit, die mindestens 40.000 Soldaten umfasst und in ihren Fertigkeiten durchaus den Rangers der US-Armee ähneln. Ein Indiz dafür: Kim hatte Einheiten des 11. Armeekorps seit September mindestens zweimal persönlich inspiziert.
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„Bei diesen Einheiten handelt es sich wahrscheinlich um nordkoreanische Elitesoldaten, die über gewisse Spezialfähigkeiten verfügen“, kommentierte jüngst Chun In Bum, ein mittlerweile pensionierter Generalleutnant der südkoreanischen Armee.
Aus welchem Holz Pjöngjangs Elite-Soldaten geschnitzt sind, erfuhr die südkoreanische Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten mehrfach. Am 17. Januar 1968 etwa schlugen sich 31 Agenten der berüchtigten „Einheit 124“ durch die verminte Demarkationszone, um in einer Infiltrierungsmission den damaligen Präsidenten Park Chung Hee zu enthaupten. Erst am letzten Checkpoint, wenige hundert Meter vor dem ikonischen Präsidentensitz Cheongwadae, konnten die Eindringlinge durch ein blutiges Feuergefecht gestoppt werden.
So brutal und gut ausgebildet sollen die Elitesoldaten sein
Ein Soldat jedoch konnte lebendig gefasst werden. Jahrzehnte später, mittlerweile zum Christentum konvertiert, erzählt Kim Shin Jo in seiner Wahlheimat Südkorea, wie rigide seine Ausbildung als Spezialeinheit war: So seien die Soldaten damals zur Abhärtung bei zweistelligen Minusgraden in Winternächten durch die Berge marschiert, wobei etlichen Kameraden die Zehen abfroren. Und eine der Verstecktechniken, welche die Einheit für ihre Mission in Südkorea erlernte, bestand darin, in Friedhöfen Erdlöcher zu graben, um dort neben den Toten zu nächtigen. „Das hat uns furchtlos gemacht – niemand würde auf die Idee kommen, uns auf einem Friedhof zu suchen“, sagte der Ex-Agent Kim.
Während der 90er Jahre war es ebenfalls eine kleine Truppe nordkoreanischer Elite-Soldaten, die die Gesellschaft in Südkorea für Wochen in Atem hielt. Als im September 1996 ein knapp 40 Meter langes, nordkoreanisches Küsten-U-Boot entlang der felsigen Ostküste strandete, musste sich die 26-köpfige Besatzung plötzlich auf Land durchschlagen.
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Obwohl die südkoreanische Armee im Schnitt rund 40.000 Soldaten auf deren Suche ansetzte, dauerte es ganze 49 Tage, bis der letzte Nordkoreaner gefangen wurde. Zuvor töteten die Eindringlinge 16 Südkoreaner, Dutzend wurden verletzt.
Was die Öffentlichkeit am stärksten schockierte, war das radikale Vorgehen der Truppe: Bereits am ersten Morgen nach dem Kentern des U-Boots fand man elf nordkoreanische Matrosen, darunter auch den Kapitän des Bootes, mit Kiefer- und Kopfschüssen hingerichtet. Die Leichen zeigten keine Spuren von Gegenwehr. Ein südkoreanischer Militär sagte damals der Nachrichtenagentur Yonhap: „Es sieht so aus, als ob die Agenten auf einen Funkbefehl der nordkoreanischen Behörden hin erschossen wurden, um zu verhindern, dass Informationen durchsickern, sollte ein hochrangiger Offizier lebend verhaftet werden“.