Düsseldorf. Die Brandserie von Krefeld wirkt nach. So erhöhen die Städte in NRW den Druck auf die Landesregierung.
Stadtverwaltungen in NRW fühlen sich zunehmend durch gefährliche Geflüchtete wie den mutmaßlichen Brandstifter von Krefeld überfordert. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) unterstützt einen Vorstoß seines Krefelder Amtskollegen Frank Meyer (SPD), das Land möge sich künftig um solche Gefährder kümmern.
Essens OB Thomas Kufen (CDU): „Wir Städte sollten uns auf Integration konzentrieren“
„Die Unterbringung von kriminellen und gefährlichen Geflüchteten kann nicht Aufgabe der Kommunen sein. Wir sollten uns auf das Thema Integration konzentrieren“, sagte Kufen dieser Redaktion. Wenn Bund und Land mehr Verantwortung für solche Menschen übernehmen sollten, komme „hoffentlich auch mehr Bewegung in die Fragen Sicherungsverwahrung und Abschiebung solcher Personen“, so Kufen, der auch stellvertretender Vorsitzender des NRW-Städtetags ist.
Krefelds Rathauschef Frank Meyer hatte zuvor gefordert, dass Flüchtlinge, die als Gefährder gelten, nicht mehr von den Städten und Gemeinden betreut werden sollten. „Es geht um Menschen, die hoch aggressiv, schwerst gewalttätig und nicht berechenbar sind, die keine Achtung vor unserer Gesellschaft haben“, sagte der Oberbürgermeister der „Rheinischen Post“. Diese Leute seien für die Städte „quasi nicht händelbar“.
Solche Fälle sollten künftig durch das Land bearbeitet werden, in einer Ausländerbehörde mit speziell geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und besonders gesicherten Räumen. Sie sollten darüber hinaus auch in aufwendig gesicherten Unterkünften des Landes wohnen, kontrollier und mit psychologischer Unterstützung.
Beim Thema Unterbringung von Geflüchteten dringen die Städte schon lange auf mehr Engagement der Landesregierung. Städtetag NRW-Geschäftsführer Helmut Dedy sagte vor Kurzem gegenüber dieser Redaktion, das Land solle den Städten nur noch Geflüchtete mit sicherer „Bleibeperspektive“ zuweisen.
Kurz vor der Brandserie in Krefeld hatte die Polizei Kontakt zu dem Verdächtigen
Unterdessen wurden neue Details über den 38-jährigen Iraner, der am 10. Oktober in Krefeld drei Brände gelegt haben soll und der von der Polizei niedergeschossen wurde, bekannt. Laut einer Antwort von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hat die Polizei den mutmaßlichen Täter noch wenige Stunden vor der Brandserie kontaktiert. Ihm soll dabei ein „Präventivgespräch“ angekündigt worden sein. Kurz darauf soll er Brände in seiner Wohnung, in einem Auto und in der örtlichen Arbeitsagentur gelegt haben. Eine weitere Brandstiftung in einem Kino konnte die Polizei offenbar verhindern.
Die Sicherheitsbehörden hatten den Mann schon seit September im Rahmen des Programms „Periskop“ auf dem Schirm. Dieses Präventionsprogramm soll „Personen mit Risikopotenzial“ identifizieren und dazu beitragen, dass Straftaten verhindert werden. 362 psychisch auffällige Menschen in NRW gelten demnach als besonders gefährlich – unabhängig von ihrer Nationalität.
Er soll mehrere Brände gelegt haben und wurde von der Polizei niedergeschossen: Der Tatverdächtige von Krefeld war den Behörden schon lange bekannt. Jetzt kommt heraus, dass der Iraner kurz vor den Taten noch von der Polizei kontaktiert worden sein soll. Ein Antwortschreiben von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) an die SPD-Landtagsfraktion, das dieser Redaktion vorliegt, deckt dieses Detail auf und lässt tiefe Einblicke in die Vorgeschichte zu. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten, abgeleitet aus dem Schreiben der Landesregierung:
Was geschah am 10. Oktober 2024 in Krefeld?
Der Leitende Oberstaatsanwalt in Krefeld beschreibt den Stand der Ermittlungen gegenüber der NRW-Landesregierung so: „Am 10. Oktober 2024 legte der Beschuldigte gegen 19:50 Uhr im Wohn- und Badezimmer seiner im Dachgeschoss eines in Krefeld gelegenen Mehrfamilienhauses befindlichen Wohnung ein Feuer und flüchtete anschließend aus dem Haus, in dem sich zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Personen aufhielten.
Unmittelbar danach schlug der Beschuldigte mit einem Hammer zwei Scheiben eines am Straßenrand geparkten Fahrzeugs ein, schüttete aus einem mitgeführten Kanister eine brennbare Flüssigkeit ins Fahrzeuginnere, entzündete ein Tuch mit einem Feuerzeug und warf es in den PKW, woraufhin dieser unverzüglich in Brand geriet. Durch einen Anwohner konnte der Brand vor Eintreffen der Feuerwehr gelöscht werden. Im weiteren Verlauf schlug der Beschuldigte mit einem mitgeführten Hammer ein Loch in die Scheibe eines Fensters im Erdgeschoß der Agentur für Arbeit in Krefeld ein und entfachte ein Feuer an dem vor dem Fensterbrett befindlichen Schrank. Der Brand konnte durch die Feuerwehr gelöscht werden.
Anschließend begegnete der Beschuldigte auf seinem Weg einem jugendlichen Passanten, den er mit einem – bislang nicht näher identifizierten – metallenen Gegenstand am Kopf zu verletzen versuchte. Der Zeuge konnte einer Verletzung entgehen, indem er zu einem in der Nähe des Kinos Cinemaxx parkenden Polizeifahrzeug flüchtete und die Polizeibeamten auf den Beschuldigten und seine Bewaffnung aufmerksam machte. Die Polizeibeamten nahmen daraufhin unverzüglich zu Fuß die Verfolgung des Beschuldigten auf.
Währenddessen betrat der Beschuldigte das am Hauptbahnhof gelegene Kino Cinemaxx und verschüttete etwa ein bis zwei Meter hinter der Eingangstür im Foyer Benzin aus dem von ihm mitgeführten Kanister. Bevor er das Benzin mit einem in seiner Jackentasche mitgeführten funktionstüchtigen Feuerzeuge in Brand setzen konnte, erreichten die ihn verfolgenden Polizeibeamten das Kino. Da die Polizeibeamten davon ausgingen, dass der Beschuldigte bewaffnet gewesen sei und das verschüttete Benzin habe entzünden wollen, forderten sie ihn auf, stehen zu bleiben und die Waffe wegzuwerfen.
Dem kam der Beschuldigte nicht nach. Er rannte in Richtung der zu diesem Zeitpunkt mit 89 Personen besetzten Kinosäle. Unter Vorhalten der Dienstwaffen wiederholten die Polizeibeamten ihre vorherigen Aufforderungen an den Beschuldigten, der daraufhin in seine Jackentasche griff. Um der von dem Beschuldigten zum Nachteil der Kinobesucher ausgehenden Gefahr zu begegnen, gab einer der Polizeibeamten einen Schuss auf den Beschuldigten ab. Der Beschuldigte wurde am Oberschenkel getroffen. Da er den Aufforderungen der Polizeibeamten weiterhin nicht folgte, schoss der Polizeibeamte ein weiteres Mal auf ihn, wodurch der Beschuldigte in Höhe des Schlüsselbeins getroffen wurde und anschließend vorläufig festgenommen werden konnte. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen hat für den sofort danach notärztlich verletzen Beschuldigten dadurch zu keinem Zeitpunkt eine Lebensgefahr bestanden.“
Was ist über den Aufenthaltsstatus des Iraners bekannt?
Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) beantwortet diese Frage so: „Der Mann ist 2002 laut Ausländerzentralregister erstmals unerlaubt nach Deutschland eingereist. Er hat sich laut der zuständigen Ausländerbehörde nach Auswertung der Ausländerakte dann seit 2002 vorübergehend in Deutschland, Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Russland, der Ukraine, der Schweiz, Dänemark, Norwegen, Luxemburg, Spanien und Schweden aufgehalten. Zum Teil basieren diese Aufenthalte auf eigenen Angaben des Mannes. Ausweislich eines französischen Auszugs aus dem Strafregister hielt er sich bis 2005 vornehmlich in Frankreich auf. Nachgewiesen sind Asylantragstellungen in Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden, der Schweiz und Österreich, wobei Überstellungen in den Jahren 2008 und 2009 aus Schweden und der Schweiz erfolgten. 2008 erfolgte die Zuweisung nach Krefeld. Von 2010 bis 2014 verbüßte er nach einer Verurteilung durch das Landgericht Krefeld eine Freiheitsstrafe.
Nach 2014 beantragte er bei der Ausländerbehörde Krefeld eine Duldung, verzog dann aber in zunächst unbekannte Richtung. Von 2014 an tauchte der Mann für zehn Jahre nicht mehr in Krefeld auf, kam dann im April 2024 zurück. Ein Rückübernahmeersuchen an die Republik Frankreich, wo er sich über einen erheblichen Zeitraum in den vorhergegangenen zehn Jahren aufgehalten hatte, wurde von der französischen Seite abschlägig beschieden. Der Mann erhielt auf die Asylanträge hin jeweils nur eine Duldung. Die Duldung ist eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung von ausreisepflichtigen Personen nach Paragraph 60a des Aufenthaltsgesetzes. Diese gilt für Personen, die sich nicht rechtmäßig in Deutschland aufhalten, deren Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Der Mann wurde vom städtischen Fachbereich Migration und Integration darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Duldung in Deutschland insbesondere wegen seiner unklaren Identität monatlich neu beantragt werden muss.“
Warum wurde der Mann nicht abgeschoben?
Laut der Landesregierung scheiterte die Abschiebung -- wie in vielen Fällen -- an der nicht vorhandenen Bereitschaft des Heimatlandes, die Person einreisen zu lassen. Die Regierung führt dazu aus: „Im Falle des Iran ist die Rücknahme eigener Staatsangehöriger mit hohen Hürden verbunden. So besteht der Iran auf einer sog. „Freiwilligkeitserklärung“, mit der eine rückzuführende Person bestätigt, dass sie freiwillig in den Iran zurückkehrt. Für den konkreten Fall berichtet die Stadt Krefeld, dass der Mann die Freiwilligkeitserklärung nicht unterzeichnete, womit eine Voraussetzung des Iran für die Rücknahme des Mannes nicht erfüllt war. Ob nach Verbüßung der Haftstrafe im Jahr 2014 oder eines Teils der Strafe aufenthaltsbeendende Maßnahmen möglich gewesen wären, entzieht sich meiner Kenntnis. Insgesamt macht der Fall deutlich, dass das System fehleranfällig ist. Die in Rede stehende Person hält sich seit nunmehr 22 Jahren in Deutschland oder anderen europäischen Ländern auf. Im Rahmen der nunmehr umzusetzenden europäischen Asylrechtsreform ist daher insbesondere die sorgfältige Registrierung in den Blick zu nehmen.“
Was weiß die Landesregierung über eine mögliche psychische Erkrankung des Verdächtigen?
Innenminister Reul sagt dazu nach Rücksprache mit dem NRW-Gesundheitsministerium, dass dem Gesundheitsministerium keine Informationen über eine psychische Erkrankung vorlägen. Reul führt dazu weiter aus: „Dem Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Krefeld sei die betroffene Person nicht bekannt. Dementsprechend sei der Person seitens des öffentlichen Gesundheitsdienstes auch kein Hilfsangebot unterbreitet worden. Ob sich der Tatverdächtige in anderweitiger psychologischer Behandlung befunden hat oder befindet, sei ebenfalls nicht bekannt. Ausweislich der meinem Haus vorliegenden Berichtslage der Kreispolizeibehörde Krefeld wurde dort über eine Strafanzeige eines Mitarbeiters des Krefelder Ausländeramtes am 09.10.2024 bekannt, dass bei dem Tatverdächtigen bereits im Jahr 2009 eine psychische Erkrankung ärztlich attestiert worden sein soll. Dieses Attest liegt in der Kreispolizeibehörde Krefeld jedoch nicht vor.“
Das Präventionsprogramm „Periskop“
Das Konzept zur Früherkennung von und zum Umgang mit Personen mit Risikopotenzial, kurz PeRiskoP, kommt seit 2022 in allen 47 Kreispolizeibehörden Nordrhein-Westfalens zum Einsatz. Mithilfe des Konzepts sollen risikoträchtige Personen frühzeitig erkannt werden – auch losgelöst von politischen oder religiösen Motiven. „Mit PeRiskoP können wir potenzielle Amokläufer nun landesweit leichter aufspüren. Natürlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, aber wir hoffen, dank PeRiskoP bereits im Verdachtsfall eingreifen und so das Risiko schwerer Gewalttaten minimieren zu können,“ sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) zum Start des Konzeptes.
Von welchem Risikopotenzial des Tatverdächtigen ging die Landesregierung aufgrund seiner Behandlung als „Prüffall“ im Rahmen des „Periskop“-Programms aus?
Der Innenminister antwortet so darauf: „Im Sachverhalt in Krefeld wurde der Tatverdächtige am 17.09.2024 in die Prüffallstufe 1 des Konzepts PeRiskoP aufgenommen. Im Folgenden wurden gemäß Konzept weitere zur Risikoeinschätzung erforderliche Prüfungen vorgenommen. Aufgrund der während der Prüffallphase 1 festgestellten Informationen und Erkenntnisse wurde der Tatverdächtige am 07.10.2024 in die Prüffallstufe 2 aufgenommen. Dies bedeutet u. a. eine Überprüfung und Recherche in weiteren behördlichen und öffentlichen Datenquellen. Zum Zeitpunkt der Tat am 10.10.2024 dauerte diese Prüffallphase weiter an. Eine entsprechende Einstufung (Prüffallstufe 3) als Person mit Risikopotential war folglich bis zur Tat am 10.10.2024 noch nicht erfolgt.“
Noch am Tattag, dem 10.10.2024, sei dem Tatverdächtigen durch PeRiskoP-Sachbearbeiter die Einladung zu einem solchen Präventivgespräch angekündigt worden. Ob der Tatverdächtige hieran teilgenommen hätte, bleibe angesichts der noch am selben Tag begangenen Tat Spekulation.
Wie viele Personen mit „Risikopotenzial“ hat NRW im Rahmen des Programms „Periskop“ auf dem Schirm?
Die Landesregierung beantwortet diese Frage so: „Seit Mai 2022 wurden insgesamt 6.945 Prüffälle in den 47 Kreispolizeibehörden bearbeitet (Stufen 1 und 2). Die Prüffälle wurden für insgesamt 4.711 unterschiedliche Personen im Zeitraum vom 01.02.2021 bis zum 30.09.2024 erfasst. Bei 928 Personen handelt es sich um sogenannte Mehrfachprüffälle. Zum Stichtag 30.09.2024 sind insgesamt 362 Personen als Personen mit Risikopotential im Sinne des Konzepts eingestuft.“ Diese 362 Menschen gelten offenbar nach Ansicht der Landesbehörden als besonders gefährlich.
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