Jerusalem. Israel hat Dokumente entdeckt, die Einblicke in die Vorbereitung des Hamas-Massakers gewähren und zeigen, wie die Hamas im Geheimen agierte.
Nach dem Ramadan 2022 hatte Hamas-Führer Yahya Sinwar Grund zu feiern: Wieder hatte er es geschafft, die israelischen Geheimdienste zu überlisten. Auch in Israel herrschte Erleichterung: Wieder hatte man es geschafft, dass die Sicherheitslage im islamischen Fastenmonat nicht eskaliert. Die Geheimdienste waren mit sich zufrieden, sie fühlten sich bestätigt: Schließlich hatten sie vorausgesagt, dass die Hamas an keinem Krieg in Gaza interessiert und daher darum bemüht ist, die Lage nicht über die Maßen zu eskalieren.
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Wie fatal falsch ihre Einschätzung damals war, zeigen jetzt Protokolle der Hamas, die Israels Armee in Gaza ausgehoben und ausgewertet hat. Auszüge aus diesen Protokollen liegen US-Reportern vor, die „New York Times“ hat sich von zahlreichen Quellen die Echtheit der Dokumente bestätigen lassen.
„Das große Projekt“: Nur wenige hohe Hamas-Kommandeure wussten Bescheid
Laut diesen Protokollen hat Sinwar Israel auf geschickte Weise getäuscht. Er hat in den zwei Jahren vor dem 7. Oktober ganz bewusst auf der israelischen Seite den Eindruck erweckt, dass die Hamas keinen Krieg will. Wenn es Angriffe aus Gaza auf Israel gab, dann war es zumeist der Palästinensische Islamische Dschihad, der sie im Auftrag der Hamas durchgeführt hat – so konnte die Hamas nach außen hin jede Schuld von sich abladen.
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Die Terrororganisation gewann auf diese Weise Zeit, ihr Arsenal an Raketen und Drohnen laufend auszubauen und die unterirdischen Tunnelanlagen zu befestigen. Möglich war das nicht zuletzt durch israelische Mithilfe: Israel ermöglichte, dass Millionen US-Dollar aus katarischen Quellen nach Gaza gelangten. Man nahm an, dass das der Wirtschaft in Gaza helfen, der verarmten Bevölkerung eine neue Perspektive geben und junge Männer davon abhalten würde, sich dem terroristischen Kampf anzuschließen. Heute weiß man: Die Millionen dienten unter anderem der Vorbereitung des Massenmordes an israelischen Zivilisten am 7. Oktober.
Sinwar nannte den geplanten Überfall „das große Projekt“. Ein gigantischer Raketenangriff und Überfall auf israelische Militärbasen und Dörfer waren ihm so wichtig, dass er nur ganz wenige hohe Kommandeure der Hamas einweihte – um zu verhindern, dass über Spione etwas nach außen dringt.
Eigentlich hätte der Überfall schon viel früher stattfinden sollen – im Herbst 2022. Da Sinwar aber weder vom Iran noch von der Hisbollah im Libanon klare Signale der Unterstützung bekam, wurde die Attacke um ein Jahr verschoben. So richtig überzeugen konnte Sinwar die Partner in Teheran und Beirut auch diesmal nicht, Israel mit vereinten Kräften zu attackieren. Er beschloss dennoch, seine Pläne nicht erneut aufzuschieben. Aus zwei Gründen.
Erstens sah er Israel geschwächt, da das Land seit Monaten über die umstrittene Justizreform der Regierung Benjamin Netanjahu stritt und Tausende Reservisten angekündigt hatten, den Dienst zu verweigern. Zweitens wollte der Hamas-Führer verhindern, dass Israel seine jüngste Innovation in der Raketenabwehr fertig entwickeln konnte, bevor der Überfall stattfand. Konkret geht es um das Laser-Schutzschild Iron Beam, mit dem sich Israels Armee vor massenhaften Angriffen mit Raketen und Drohnen schützen will. Es soll ab der zweiten Jahreshälfte 2025 zur Verfügung stehen.