Berlin. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht spricht im Interview über den Krieg in der Ukraine und ihre Haltung zur AfD.
Sahra Wagenknecht hat die Linke in Trümmern hinterlassen und eine Partei gegründet, die ihren Namen trägt: das BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht). Es ist die am schnellsten erfolgreiche Parteineugründung der Bundesrepublik. Aus dem Stand erreichte sie bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zweistellige Ergebnisse. In allen drei Ländern wird das BSW nun für eine stabile Regierung gebraucht. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Wagenknecht, wie nahe sie sich der AfD fühlt und welche Bedingungen sie für Koalitionen stellt.
Frau Wagenknecht, wie lange dauert es, bis Sie mit der AfD regieren?
Sahra Wagenknecht: Mit der AfD kann man heute nicht mehr regieren. In den letzten Jahren sind immer mehr Leute in verantwortliche Positionen gekommen, die statt liberal-konservativer klar rechtsextreme Positionen vertreten. Das bekannteste Gesicht dieser Richtung ist Herr Höcke, der von „schwachen Volksteilen“, einem „notwendigen Aderlass“, „wohltemperierten Grausamkeiten“ und der Remigration von 20 bis 30 Millionen Menschen fabuliert. Ich werde nicht dazu beitragen, dass so ein Mann Macht erhält.
Würden Sie mit der AfD koalieren, wenn sie sich von ihrem Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke trennt?
Es geht nicht um einen Mann, sondern um eine innerparteiliche Strömung, die in den letzten Jahren immer einflussreicher geworden ist. Sie hat auf der Europaliste die oberen Plätze besetzt. Herr Krah, der jede Einwanderung für „Völkermord“ hält, wurde Spitzenkandidat. Sie bestimmen in den Ost-Landesverbänden die Linie und sie werden die nächste Bundestagsfraktion noch mehr dominieren als die aktuelle. Die AfD, die als konservative Professorenpartei gestartet war, hat sich zunehmend radikalisiert. Frau Weidel weiß, wes Geistes Kind diese Leute sind. Sie hat noch 2017 einen Antrag unterschrieben, Höcke wegen seiner „übergroßen Nähe zum Nationalsozialismus“ und seiner Menschenverachtung aus der AfD auszuschließen. Aber Frau Weidel hat – im Unterschied zu vielen, die mittlerweile die AfD verlassen haben – irgendwann ihren Frieden mit dem Höcke-Flügel gemacht.
Sie finden AfD-Chefin Alice Weidel nicht besonders rechts, das haben Sie in einem Streitgespräch beim Privatsender „Welt“ deutlich gemacht. Auf einer Skala von eins bis zehn haben Sie Weidel mit sechs bewertet …
Ab sieben oder acht beginnt das Spektrum des Rechtsextremismus. Ich halte Frau Weidel nicht für eine Rechtsextremistin – auch wenn sie in ihren Äußerungen vielfach Grenzen überschreitet. Entscheidend ist für mich aber etwas anderes: Die Wähler der AfD haben legitime Anliegen. Wir können nicht so tun, als seien 20 Prozent der Wähler rechtsradikal. Die Menschen erleben seit Jahren eine Politik, die ihre Interessen missachtet und ihr Leben schwerer macht. Das betrifft die weiterhin unkontrollierte Migration, die Wirtschaftskrise und die Wohlstandsverluste, die fehlende Aufarbeitung der Corona-Zeit und die Frage von Krieg und Frieden.
Ihr TV-Duell mit Weidel geriet streckenweise zum Duett. Sie haben sich beide als Russlandfreundinnen gezeigt und die Nato für den Ukraine-Krieg verantwortlich gemacht.
Es geht nicht um Russlandfreund oder Russlandfeind, sondern um Frieden in Europa und darum, wie man den Ukraine-Krieg beenden kann. Das gelingt nicht durch mehr Waffen. Wir brauchen mehr diplomatische Bemühungen. Eine Forderung wird nicht deshalb falsch, weil die AfD sie auch vertritt.
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Sie sprechen von Frieden in Europa, wollen der Ukraine aber die Unterstützung verweigern. Damit betreiben Sie Putins Geschäft.
Unsinn. Ich will das Sterben beenden und die Kriegsgefahr für unser eigenes Land eindämmen. Es gibt einen guten Friedensplan von Brasilien und China. Ich wünsche mir, dass Deutschland und auch die EU solche Initiativen unterstützen. Die Chinesen könnten Putin unter Druck setzen, wir sollten das auch gegenüber Selenskyj tun, damit beide Seiten zu Kompromissen gedrängt werden. Ohne Kompromisse wird es keinen Frieden geben.
Sehen Sie nicht, dass Putins imperialistischer Hunger weit über die Ukraine hinausreicht?
Dass die Nato heute großflächig an Russland grenzt, ist nicht darauf zurückzuführen, dass die Russen ihr Territorium vergrößert hätten. Gorbatschow hat einst das russische Militär aus ganz Osteuropa abgezogen und damit den gesellschaftlichen Wandel erst möglich gemacht. Ich will den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine nicht rechtfertigen, aber die Ursache war nicht Territorialhunger.
Moment! Polen, Kroaten, Balten haben Zuflucht in der Nato gesucht, sie wurden nicht zum Beitritt gezwungen. Stellen Sie das Selbstbestimmungsrecht der Völker infrage?
Die Russen haben immer wieder signalisiert, dass sie kein US-Militär an ihrer Grenze haben wollen. Auch viele westliche Politiker haben darauf hingewiesen, dass eine Integration der Ukraine in die militärischen Strukturen der Nato zum Krieg führen wird.
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Russland hat die Ukraine überfallen, ohne dass sie in die Nato eingetreten wäre.
Vor dem Krieg waren 4000 Nato-Soldaten in der Ukraine, es gab zwölf CIA-Basen an der russischen Grenze und gemeinsame Manöver im Schwarzen Meer. Die Einbindung in die militärische Einflusszone der Amerikaner war in vollem Gange. Die Russen haben den Krieg begonnen, bevor es aus ihrer Sicht zu spät war. Denn die Nato ist Russland militärisch weit überlegen, ein Krieg mit dem gesamten Militärbündnis wäre Selbstmord. Aber das heißt nicht, dass es aktuell keine Gefahr einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs gibt. Wenn die Nato in der Ukraine zur Kriegspartei wird, dann wird es einen Punkt geben, an dem Russland auch militärische Einrichtungen auf Nato-Gebiet angreift. Und dieser Konflikt wird dann sehr schnell nuklear eskalieren, weil das der einzige Bereich ist, in dem Russland der Nato nicht unterlegen ist. Deshalb ist es so wahnsinnig gefährlich, wenn wir uns immer tiefer in diesen Krieg hineinziehen lassen.
Sie haben Ihre hochumstrittene Haltung zum Ukraine-Krieg in die Landespolitik getragen – und mit einer Regierungsbeteiligung in Thüringen, Sachsen und Brandenburg verknüpft. Warum?
Ohne Frieden ist alles nichts. Unsere Wähler erwarten, dass wir alles dafür tun, in der deutschen Außenpolitik einen Kurswechsel zu erreichen. Aber natürlich brauchen wir zugleich echte Veränderungen auf Landesebene. Wir werden in eine Koalition eintreten, wenn wir etwas bewegen können – bei landespolitischen Themen wie Bildung und innere Sicherheit, bei der Aufarbeitung der Corona-Zeit, aber auch in der Frage von Krieg und Frieden.
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Darüber wird in Moskau entschieden, nicht in Erfurt, Dresden oder Potsdam.
Darüber wird auch in Washington und Berlin entschieden. Und es ist eine urdemokratische Erwartung, dass eine Landesregierung das vertritt, was die große Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes möchte. Landesregierungen wiederum können ihren Einfluss geltend machen, um die Bundespolitik zu verändern. Deutschland muss wieder eine international geachtete Stimme werden, die in Konflikten vermittelt und sich für Diplomatie einsetzt. Da ist ja schon etwas in Bewegung gekommen. Der gemeinsame Friedensappell der Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg sowie des Thüringer CDU-Landesvorsitzenden ist ein guter Schritt, weil er aus einer Debatte ausbricht, in der es immer nur darum ging, nach noch mehr Waffen zu rufen.
Bestehen Sie darauf, dass die Forderung nach einem Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine in die Koalitionsverträge aufgenommen wird?
Wenn man eine Regierung bildet, sollten wichtige Dinge im Koalitionsvertrag verankert werden. Das betrifft auch die Position zu Krieg und Frieden. Wenn wir spürbare Veränderungen für die Menschen erreichen können, werden wir regieren. Aber wenn die anderen Parteien die Signale der letzten Wahlen immer noch nicht verstanden haben und einfach weitermachen wollen wie bisher, wird es keine Koalition mit uns geben.
Name | Sahra Wagenknecht |
Geburtsdatum | 16. Juli 1969 |
Partei | ehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) |
Parteimitglied seit | 1989 (SED) bis 2023 (Die Linke), seit 2024 BSW |
Familienstand | verheiratet, keine Kinder |
Ehemann | Oskar Lafontaine |
Wohnort | Merzig (Saarland) |