Berlin. Hält die Ampel-Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode? Derzeit scheint es nicht danach – wie Scholz, Lindner und Habeck brechen könnten.

Desaströse Umfragewerte, wachsende Missgunst, ständig Streit und nun ein Papier von Christian Lindner, das als Provokation aufgefasst werden muss: Zerbricht gerade die Ampel-Koalition? Die Spekulationen mehren sich, die Opposition macht Druck. „Die Ampel hat fertig“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz schon vor Wochen. Aber wie könnte es zum Ampel-Aus kommen, wer kann den Todesstoß setzen – mit Absicht oder aus Versehen? Die sieben Wege und wie wahrscheinlich sie sind.

1. Scholz für Neuwahlen

Aus Sicht von Ampel-Gegnern die Wunsch-Variante. Der Bundeskanzler müsste im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und absichtlich verlieren. Dann kann der Bundespräsident innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen, es käme zu Neuwahlen. Drei Kanzler – Willy Brandt 1972, Helmut Kohl 1982 und Gerhard Schröder 2005 – haben es vorgemacht.

Ziel: Ein starkes Wählervotum bei erzwungenen Neuwahlen, um mit neuer Kraft weiterzuregieren. Brandt und Kohl waren erfolgreich, Schröder verlor die Wahl knapp. Allerdings gab es jedes Mal Kritik von Verfassungsrechtlern. Für Scholz kommt der Schritt nicht infrage, versichern Vertraute. Neuwahlen wären für alle Ampel-Parteien gefährlich. Der Kanzler will Zeit gewinnen, hofft auf eine Stimmungswende bis zur regulären Wahl im September 2025. Sein Kalkül, so beschreiben es Eingeweihte: In einem Jahr kann innen- und außenpolitisch viel passieren. Und ein Unions-Kanzlerkandidat Merz könne bis dahin noch viele Fehler machen. Wahrscheinlichkeit: gering.

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2. Minderheitsregierung statt Ampel

In diesem in Berlin diskutierten Szenario führt der Ampel-Streit über ein zentrales Thema zum Bruch. In der SPD wird dazu etwa auf das vom Kabinett schon abgesegnete Rentenpaket verwiesen, die Sicherung des Rentenniveaus ist ein Herzensprojekt der SPD  – gegen das die FDP im Bundestag aber große Bedenken erhebt. Die Blockade wäre für führende Genossen eine rote Linie, das deutete auch der Kanzler schon an. Auch über den Haushalt könnte es zum Bruch kommen.

Denkbar wäre zudem, dass ein Ampel-Partner demonstrativ ausschert und gegen den Kurs der Ampel im Bundestag für populäre Vorschläge der Opposition stimmt, um sich besser für Neuwahlen zu positionieren. Ist die Migrationspolitik der Anlass? Liberale wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki machten das Überleben der Koalition in der Vergangenheit ausdrücklich vom Kurswechsel in der Asylpolitik abhängig.

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Der abtrünnige Partner könnte die Koalition im Krach verlassen. Oder Scholz wirft ihn raus – und würde in diesem Beispiel mit den Grünen in einer Minderheitsregierung weiter arbeiten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) soll Scholz im Haushaltsstreit genau auf diesen Weg verwiesen haben: „Dann musst du mich entlassen“. Aber ob die Grünen dem angeschlagenen SPD-Kanzler die Treue halten würden? Scholz könnte das Experiment womöglich nicht lange durchhalten. Wahrscheinlichkeit: mittel.

3. Wenn die Vertrauensfrage scheitert

In der SPD kursiert die Idee, der Kanzler solle alles auf eine Karte setzen und Führungsstärke demonstrieren: Mit einer Vertrauensfrage im Bundestag, die er gewinnen will. Vorbild wäre Gerhard Schröder. Im Herbst 2001 gab es in der rot-grünen Koalition Bedenken gegen die Bundeswehr-Teilnahme am amerikanischen Anti-Terroreinsatz in Afghanistan – Sozialdemokraten schwankten, acht Grüne drohten mit Nein. Schröder verband die Abstimmung über das Bundeswehr-Mandat mit der Vertrauensfrage, um Regierungsfähigkeit zu demonstrieren und „das Heft des Handelns in der Hand zu behalten“, wie er sagte. Er gewann die brutale Machtprobe und ein Jahr später die Bundestagswahl.

Scholz müsste für ein solches Manöver ein großes Thema aufrufen: Etwa einen neuen Milliardenfonds für Sicherheit oder eine Wirtschafts- und Investitionswende. Doch dafür ist das Misstrauen in der Ampel wohl schon zu groß: Was, wenn er verliert? Die Ampel wäre am Ende, Neuwahlen wären wahrscheinlich. Die Union drängt den Regierungschef dennoch zur Vertrauensfrage, der winkt ab: „Das ist doch ein kleines Oppositionsideechen, dass man mal immer so alle drei Wochen dieses Wort sagt“, erklärte er im ZDF. Wahrscheinlichkeit: eher gering.

Bundestag Schröder Fischer
Vertrauensfrage überstanden: Dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, rechts im Bild) gratuliert Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) mit Händedruck. Im Bundestag hatte Schröder 2001 die Abstimmung über einen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr mit der Vertrauensfrage verbunden. © picture-alliance / dpa/dpaweb | Peter_Endig

4. Pistorius für Scholz

In der SPD werden Stimmen laut, Scholz solle den Rückzug einleiten und die Kanzlerkandidatur Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) überlassen. Aber: Ein Jahr Hängepartie wäre zu lang, Pistorius müsste für gute Wahlchancen schon jetzt ins Kanzleramt einziehen.

Riskant: Selbst wenn die Spitzen von FDP und Grünen den Wechsel absegnen – in geheimer Abstimmung könnten frustrierte Abgeordnete ihre Zustimmung verweigern. Scheitert das Manöver, wären Neuwahlen wahrscheinlich. Der Kanzler lehnt sowieso ab: „Boris Pistorius will, wie viele andere, dass ich wieder als Kanzler antrete“, sagte er dem Tagesspiegel. „Ich sehe das genau so.“ Wahrscheinlichkeit: mittel.

5. Stürzt Merz den Kanzler?

Die Union kann versuchen, den Kanzler mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zu stürzen, muss dafür aber einen eigenen Kandidaten vom Bundestag wählen lassen. In der Bundesrepublik gelang das bisher nur einmal: Am 1. Oktober 1982 löste Helmut Kohl (CDU) SPD-Kanzler Helmut Schmidt ab, nachdem Schmidts Koalitionspartner FDP die Seiten gewechselt hatte.

Diesmal müssten neben der FDP auch die Grünen einen Deal mit der Union machen und ihren Kanzlerkandidaten wählen. Im Erfolgsfall könnten sie noch ein Jahr als Jamaika-Koalition weiterregieren – Fortsetzung nach der Bundestagswahl möglich. Das Problem der Union: Im Bundestag ist die CDU/CSU derzeit schwächer als die SPD, in Umfragen viel stärker. Merz setzt daher klar auf Neuwahlen, versichert die CDU-Spitze. Außerdem: Können FDP und Grüne das Wagnis eingehen? Würden sie sich überhaupt in einer neuen Koalition zusammenraufen? Schwierig. Wahrscheinlichkeit: sehr gering.

CDU/CSU Klausurtagung
CDU-Chef Friedrich Merz: Der Oppositionsführer setzt auf Neuwahlen, ein vorzeitiger Regierungswechsel würde für die Union zum Risiko. © DPA Images | Michael Kappeler

6. Söder-Idee: Große Koalition

Die Idee hat vor einiger Zeit der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lanciert: Grüne und FDP raus, die Union rein als Juniorpartner in einer „Regierung der nationalen Vernunft“. Aber in der CDU-Zentrale schütteln sie nur den Kopf: Warum sollte sich die Union der SPD jetzt unterordnen und damit ihren Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 enorm erschweren?

Viel lieber schaut sie der Ampel beim Sterben zu. Verwegene denken schon an das umgekehrte Modell: Die SPD würde sich als Juniorpartner in eine Große Koalition retten. Nicht mit Scholz, sondern mit Pistorius als Vizekanzler. Auch diese Idee hat Söder schon geäußert – allerdings für die Zeit nach der Bundestagswahl. Dann kann es so kommen, vorher nicht.

7. Ampel-Aus erst in einem Jahr

Wenn alle drei Koalitionspartner es wollen, endet die Ampel wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl am 28. September 2025. Neuauflage ausgeschlossen. Viel wird die Koalition nicht mehr liefern können - und die Stimmung im Land steht gegen die Ampel. Panikreaktionen sind absehbar. Ob die Koalitions-Abgeordneten die Nerven behalten? Alle Alternativen sind riskant. Wahrscheinlichkeit: mittel.