Berlin. Die AfD feiert „historische“ Wahlerfolge in Sachsen und Thüringen. Dafür gibt es viele Gründe – aber einer wiegt besonders schwer.
Tino Chrupalla braucht nur etwa zehn Sekunden, um zu skizzieren, welche Dimension die Ereignisse vom Sonntag aus seiner Sicht haben. „Gestern hat die AfD wieder ein Stück Geschichte geschrieben“, sagt der Co-Chef der AfD als allererstes am Morgen nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Bei denen hat seine Partei jeweils rund ein Drittel der Stimmen geholt. Björn Höcke als Spitzenkandidat in Thüringen habe da ein „historisches Ergebnis geschafft“, lobt Chrupalla. „Erstmalig in einem Bundesland stärkste Kraft, damit auch der klare Wählerauftrag, dort eine Regierung zu bilden.“
Historischer Erfolg. Regierungsauftrag. Damit ist der Ton gesetzt für den Auftritt von Chrupalla, seiner Co-Parteivorsitzenden Alice Weidel, dem sächsischen Landeschef Jörg Urban und Stefan Möller, der gemeinsam mit Björn Höcke AfD-Vorsitzender in Thüringen ist. Mit Ausnahme von Urban, der einräumen muss, dass man sich Sachsen mehr erhofft hatte, zeigt sich die AfD an diesem Montag selbstbewusst, badet in ihrem Erfolg.
Und erneut sind es ostdeutsche Bundesländer, in denen sie diesen Erfolg errungen hat. Sachsen, Thüringen, aber auch die anderen Länder Ostdeutschlands sind für die AfD seit langem freundliches Terrain. 2014 waren es die Parlamente von Sachsen, Thüringen und Brandenburg, in die die Partei als erste Landtage einzog, bei bundesweiten Wahlen holen sie hier regelmäßig die höchsten Stimmanteile.
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AfD-Erfolg: schwache Parteienbindung und „autoritäre Traditionen“
Der Unterschied zu Westdeutschland habe Gründe, sagt Soziologe Steffen Mau, der zu Ungleichheit und gesellschaftlichen Umbrüchen forscht. Er sieht eine seit langem anwachsenden Unzufriedenheit in Ostdeutschland, von der die AfD profitiert. Für Wählerinnen und Wähler sei die Partei eine Möglichkeit, diesem Frust eine Stimme zu geben.
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„Zugleich“, sagt Mau aber auch, „sehen wir autoritäre Traditionen, die in Ostdeutschland greifen und natürlich auch mit der DDR zu tun haben.“ Anders als im Westen sei die Zivilgesellschaft schwach, Gewerkschaften und Kirchen weniger präsent in der Mitte der Gesellschaft. „Die im Westen etablierten Parteien wie CDU, SPD und FDP sind im Osten strukturelle Schwächlinge“, erklärt er im Gespräch mit dieser Redaktion. In Ostdeutschland gebe es noch immer eine fragile politische Kultur.
Auch Thorsten Faas, Politikwissenschaftler von der Freien Universität Berlin, sieht in der vergleichsweise schwachen Bindung an andere Parteien als die AfD einen Grund für den Erfolg der Rechtsaußen-Partei in den ostdeutschen Bundesländern. Das zeige sich vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern. „Gerade in der Gruppe schlagen aktuelle Entwicklungen noch stärker durch“, sagt er. Das müsse aber nicht bedeuten, dass diese Gruppe ihr Wahlverhalten in Zukunft nicht ändern könne.
Stark bei Männern und Arbeitern, schwächer bei Frauen und Akademikern
Während vor allem SPD, Grüne und FDP etwa in Sachsen seit langem nur geringe Stimmanteile holen können, gibt es dagegen andere Traditionslinien, an die AfD anknüpfen kann. „Man darf ja nicht vergessen, dass auch DVU und NPD dort zu Zeiten stark waren“, sagt Faas. Die NPD zog 2004 zum ersten Mal in den sächsischen Landtag ein
Doch auch in Sachsen und Thüringen kann die Partei, die in beiden Ländern als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, nicht überall gleichermaßen punkten. Besonders erfolgreich ist die AfD bei Männern, bei jüngeren Menschen und bei Arbeitern. Unter Frauen und Menschen mit akademischen Abschlüssen dagegen sind ihre Stimmanteile im Schnitt geringer.
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Auffällig ist auch, dass die AfD in kleinen Gemeinden sowie Klein- und Mittelstädten viel besser abgeschnitten hat als in großen Städten. In Gegenden, in denen die Bevölkerung schrumpft, kann die Partei leichter bei den Wählern punkten als in Boom-Regionen. In Thüringen und in Sachsen gaben in Nachwahl-Befragungen etwa jeweils vier von zehn AfD-Wählern an, dass sie dieser Partei aus Enttäuschung über andere Parteien ihre Stimme gegeben hätten.
AfD selbst erklärt ihren Erfolg in Ostdeutschland auch mit dem DDR-Erbe
Auch thematisch zeigt sich ein klarer Fokus der AfD-Anhänger. Ihre Wähler trauen ihr insbesondere in der Asyl- und Migrationspolitik sowie bei der Kriminalitätsbekämpfung viel zu. Bei den Landtagswahlen am Sonntag waren das entscheidende Themen. Bei der AfD selbst erklärt man sich den eigenen Erfolg in Ostdeutschland zumindest zum Teil mit der DDR-Vergangenheit der Region. „Der Vertrauensverlust der Corona-Zeit steckt vielen noch in den Knochen“, sagt Parteichef Tino Chrupalla. „Die Ostdeutschen wissen, wozu eine Regierung imstande ist, die Grund- und Freiheitsrechte aussetzt.“
Davon profitiere die AfD. „Und das überträgt sich durch die Sozialisierung in den Elternhäusern auch auf die Jugendlichen.“ Andere Parteien stellt das vor eine Herausforderung. Wollten sie auf den Erfolg der AfD reagieren, müssten sie näher an die Menschen in Ostdeutschland heranrücken, sagt Soziologe Mau. „Sie müssen mehr vor Ort sein, stärker die Sprache der Menschen vor Ort sprechen.“ Die AfD speise ihren Erfolg auch aus einer Anti-Establishment-Agitation.
Einfach zurückdrehen lassen werde sich die Entwicklung der vergangenen Jahre aber nicht, sagt er. „Im Gegenteil: Die anderen Parteien müssen aufpassen, dass sie sich im Abwehrkampf gegen die AfD nicht aufreiben“, sagt er. „Sie müssen eigenständig bleiben, dürfen sich nicht nur über die Programmatik der AfD, wie etwa Migrationspolitik, definieren. Das hilft am Ende nur den extremen Rechten.“