Berlin. Der Soziologe Steffen Mau erklärt den Erfolg der Partei in Sachsen und Thüringen – und sagt, was die anderen Parteien jetzt tun können.
Die AfD sei eine Ressentiment-Bewegung, sagt der Soziologe Steffen Mau. Der 55-Jährige stammt aus Rostock und ist Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. In seiner Forschung befasst sich Mau intensiv mit Ostdeutschland. Gerade ist sein Buch erschienen „Ungleich vereint: Warum der Osten anders bleibt“. Ein Gespräch nach dem Wahl-Beben von Thüringen und Sachsen.
Wie erklären Sie sich den Erfolg der AfD?
Steffen Mau: Wir sehen seit vielen Jahren ein Anwachsen der Unzufriedenheit bei Menschen in Ostdeutschland. Mit der AfD ist eine Möglichkeit gewachsen, diesem Frust eine Stimme zu geben. Zugleich sehen wir autoritäre Traditionen, die in Ostdeutschland greifen und natürlich auch mit der DDR zu tun haben. Anders als im Westen ist die Zivilgesellschaft schwach, Gewerkschaften und Kirchen sind weniger präsent in der Mitte der Gesellschaft. Die im Westen etablierten Parteien wie CDU, SPD und FDP sind im Osten strukturelle Schwächlinge. In Ostdeutschland haben wir noch immer eine fragile politische Kultur.
Es reicht aus Sicht der AfD also, einfach nur den Frust der Wählerschaft einzusammeln?
Die AfD agiert als politischer Wegelagerer. Sie wartet ab, und wenn ein Aufreger-Thema kommt, dann positioniert sie sich gegen die anderen Parteien. Sie ist eine Ressentiment-Bewegung, sie ist eine Wutsammelstelle. Die AfD nimmt Themen auf und heizt ein Unmutsklima an. Zugleich gibt es starke äußere Faktoren, etwa der Krieg in der Ukraine, aber auch die wirtschaftlichen Unsicherheiten mit der Inflation, die ihr in die Hände spielen. Parteien wie CDU und SPD können im Osten nicht die Bindungskräfte entfachen wie im Westen. Sie schaffen es weniger gut, eine Kompetenz zur Lösung der Probleme zu vermitteln oder auch Konflikte zu absorbieren.
Gerade jungen Menschen wählten stark die extremen Rechten. Wie kommt das?
Das ist ein wichtiger Punkt. Und das spricht auch gegen die These, dass die AfD-Wählerschaft ausschließlich oder vor allem diktatursozialisiert sei. Wir sehen eine noch schwächere Bindung an Parteien bei den jungen Menschen. Das hilft der AfD, denn sie kann junge Wähler schneller an sich ziehen. Die AfD wird im Osten zum Teil einer Jugendprotestkultur. Das gelingt ihnen auch deshalb, weil sie sich dort aufhalten, wo diese Menschen sich politisch informieren: in sozialen Netzwerken wie TikTok.
Wie sollten die anderen Parteien auf das Wahlergebnis der AfD reagieren?
Parteien wie CDU, SPD und Grüne müssen näher an die Menschen in Ostdeutschland heranrücken. Sie müssen mehr vor Ort sein, stärker die Sprache der Menschen vor Ort sprechen. Die AfD speist ihren Erfolg auch aus einer Anti-Establishment-Agitation. Zugleich ist es naiv zu glauben, der Aufstieg der AfD lasse sich einfach zurückdrehen. Im Gegenteil: Die anderen Parteien müssen aufpassen, dass sie sich im Abwehrkampf gegen die AfD nicht aufreiben. Sie müssen eigenständig bleiben, dürfen sich nicht nur über die Programmatik der AfD, wie etwa Migrationspolitik, definieren. Das hilft am Ende nur den extremen Rechten.
Partei | Alternative für Deutschland (AfD) |
Gründung | 6. Februar 2013 |
Ideologie | Rechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis |
Vorsitzende | Tino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Jörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke |