Berlin. Hans-Jürgen Papier war Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Er sagt, warum er das Verbot des Magazins „Compact“ für überzogen hält.
In den vergangenen Monaten ging der Blick oft in eine Stadt, die vor allem aufgrund ihrer Bedeutung für die deutsche Justiz bekannt ist: nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat wichtige Entscheidungen der Bundesregierung gekippt und kritisiert, erst das Haushaltsgesetz, dann die Wahlrechtsreform, bald vielleicht Pläne zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung durch das BKA.
Die Ampel-Koalition hat Ärger mit der Justiz. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2010 Präsident des Gerichts in Karlsruhe. Bis heute mischt sich der Rechtswissenschaftler immer wieder auch in politische Debatten ein. Im Interview mit unserer Redaktion äußert er sich skeptisch zu einem AfD-Verbotsverfahren, will keine Eingriffe in private Wohnräume durch den Staat und sagt: „Die Ampel-Koalition ist bei ihren Entscheidungen zum Haushalt sowie zum Wahlrecht ein hohes juristisches Risiko eingegangen.“
Die Haushaltspläne, die gegen das Grundgesetz verstoßen; die Wahlrechtsreform, die von Karlsruhe in Teilen kassiert wurde; jetzt der das Verbot der extrem rechten Zeitschrift „Compact“, das im Eilverfahren gekippt wurde… Macht die Ampelkoalition juristisch handwerklich schlechte Politik?
Hans-Jürgen Papier: So pauschal lässt sich das nicht sagen, jeder Fall ist anders gestaltet. Und ganz grundsätzlich ist es rechtstaatlich völlig in Ordnung, wenn Gesetze oder Behördenentscheidungen von Gerichten bisweilen beanstandet werden. Richterliche Kontrolle ist ein Wesensmerkmal des Rechtsstaates. Es stimmt jedoch bedenklich, wenn die Beanstandungen von politischen Entscheidungen durch Gerichte Überhand nehmen.
Haben Sie aktuell das Gefühl, dass die Bundesregierung zu oft Niederlagen vor Gericht einfährt?
Wir erleben eine Koalition mit drei zum Teil sehr unterschiedlichen Parteien. Es ist offensichtlich, dass in zentralen politischen Fragen gute Kompromisse immer schwieriger werden. Wenn politische Entscheidungen nur noch nach zähen Beratungen und teilweise unter Zeitdruck getroffen werden, dann besteht die Gefahr, dass diese Kompromissentscheidungen nicht hinreichend durchdacht und auch nicht juristisch hinreichend geprüft sind. Die Ampel-Koalition ist so bei ihren Entscheidungen zum Haushalt sowie zum Wahlrecht ein hohes juristisches Risiko eingegangen.
Das heißt, eine Regierung, die weniger streitet, arbeitet auch juristisch sauberer?
Sind politische Entscheidungen besser vorbereitet und eingehender durchdacht, können Regierung und Parlament auch die juristischen Risiken besser abwägen – anders ist es, wenn Gesetze etwa in nächtlichen Beratungsrunden und in letzter Minute beschlossen werden. Das hat sich auch während der Corona-Pandemie gezeigt.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat nun im Eilverfahren das Verbot des Magazins „Compact“ gestoppt. Ist die Regierung im Kampf gegen Rechtsextremismus zu weit gegangen?
Aus meiner Sicht hat das Bundesinnenministerium sein administratives Handeln falsch eingeschätzt. Die Ampel-Koalition hat das hehre und legitime Ziel, Rechtsextremismus zu bekämpfen. Doch sie verkennt in diesem Fall, dass der demokratische Rechtsstaat seine Feinde allein mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen kann. Es gibt rote Linien auch im Kampf gegen Rechtsextremisten und Terroristen. Der gute Zweck heiligt nicht jedes Mittel, und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen muss gewahrt bleiben. Eine Missachtung dieser Grundsätze beobachte ich immer wieder, auch in der Corona-Pandemie, als zentrale Freiheitsrechte massiv eingeschränkt wurden. Und ich sehe dieses Überschreiten der roten Linie auch jetzt im Fall des Compact-Verbots. Wir dürfen selbst zur Wahrung legitimer Ziele nicht den Ast absägen, auf dem wir alle sitzen, nämlich die Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit.
Ist das auch ein Plädoyer, von einem AfD-Verbot lieber die Finger zu lassen?
Ich habe nicht die Kenntnisse, die etwa Verfassungsschutzbehörden und zuständige Ministerien haben. Nach dem, was mir bekannt ist, würde ich derzeit von einem Verbotsantrag abraten. Ein Parteiverbot ist im Grundgesetz vorgesehen, aber es ist das äußerste und ein sehr zweischneidiges Mittel zum Schutz der Demokratie. Denn eine Partei zu verbieten, ist an sich undemokratisch und autoritär. Die rechtsstaatliche Demokratie bekämpft ihre Feinde vorrangig mit den Mitteln des Rechtsstaats und des freien Meinungskampfes, nicht mit Verboten von Meinungen und Gesinnungen.
Das Bundeskriminalamt soll die Möglichkeit bekommen, heimlich Wohnungen durchsuchen zu können, um islamistische Anschläge abzuwehren. Ist das der nächste Vorstoß, den Karlsruhe kassieren wird?
Ich kenne auch hier die Details des geplanten Gesetzentwurfs nicht. Grundsätzlich ist der Rechtsstaat gehalten, die terroristischen Gefahren mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen. Maßnahmen im Kampf gegen Terrorismus haben in jedem Fall den Kernbereich privater Lebensgestaltung sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu achten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit sehr deutlich gemacht. Der Schutz der Menschenwürde ist absolut, wir können ihn nicht gegen andere Belange abwägen, auch wenn sie besseren Schutz für die Allgemeinheit versprechen. Die Polizei im Rechtsstaat darf nicht zu einer Geheimpolizei werden.
Worauf kommt es juristisch an, wenn die Bundesregierung Gesetze schreibt?
Greift in Krisenzeiten eine hektische Ad-hoc-Gesetzgebung Platz, dann gibt es immer wieder auch handwerklichen Murks. Ein Punkt ist mir wichtig: Werden Gesetze zu häufig vom Verfassungsgericht kassiert, dann schwächt dies das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit und Regierbarkeit unserer parlamentarischen Demokratie. Am Ende führt das zu mehr Politik- und Demokratieverdrossenheit.
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