Gaza. Jihia al-Sinwar gilt als Kopf hinter dem Terror vom 7. Oktober. Jetzt ist er an die Spitze der Hamas gerückt. Er hat nur ein Ziel.

Eine Woche nach dem Attentat auf ihren politischen Anführer Ismail Hanija hat die Hamas Jihia al-Sinwar zu dessen Nachfolger ernannt. Der 61-Jährige, der seit dem 7. Oktober im Tunnelsystem unter Gaza vermutet wird, war bisher Chef der Hamas in Gaza und führte zusammen mit dem kürzlich getöteten Militärchef Mohamed Deif die Kampfbrigaden der Hamas in Gaza. Nun soll Sinwar auch das Politbüro der Hamas leiten, das seinen Sitz in Katar hat.

Die Entscheidung kam nicht nur für viele Hamas-Anhänger überraschend. Beobachter hatten fest damit gerechnet, dass der im Vergleich zu Sinwar als gemäßigt geltende Khaled Mashal Hanijas Amt übernehmen würde. Mashal lebt seit Jahrzehnten im Exil im katarischen Doha.

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Sinwar: Die Exil-Elite bleibt außen vor

Der Amtsantritt Sinwars gilt als Kampfansage an die für ihr bequemes Leben in dem Golfemirat kritisierte Exil-Elite der Hamas. Sinwars Wahl ist aber auch eine Machtdemonstration gegenüber Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Dieser steht in Israel unter starkem politischem Druck, weil der verlustreiche zehnmonatige Krieg gegen die Hamas zwar 80 Prozent der Infrastruktur im Gaza-Streifen zerstört hat, aber die Führungsriege der Hamas offenbar weiter einen Guerilla-Widerstand organisieren kann.

Jihia al-Sinwar ist seit dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober nicht mehr öffentlich aufgetreten. Suchtrupps der israelischen Armee (IDF) waren ihm zwar mehrmals dicht auf den Fersen, doch ob er sich tatsächlich wie behauptet unter der Stadt Chan Yunis befindet, wissen offenbar nicht einmal die Agenten des israelischen Geheimdienstes Shin Bet.

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Netanjahu weiter unter Druck

Was viele in Israel irritiert: Es war möglich, Hamas-Führer Ismail Hanija in seiner Residenz im fernen Teheran zu töten. Unmöglich scheint es dagegen für Armee und Geheimdienst, die Hamas-Führung in dem nur knapp 40 Kilometer langen Gaza-Streifen zu finden. Israel hat sich bislang nicht offiziell zur Tötung von Hanija bekannt, mit der Wahl Sinwars ist jedoch der Etappensieg, den Netanjahu nach Hanijas Tod sichtlich genoss, wieder dahin.

Doch auch für Palästinenser, die auf ein Ende des Konflikts hoffen, ist die Wahl ein Rückschlag. In der Hamas-Erklärung heißt es: „Der Mord an Hanija, der an ein Waffenstillstandsabkommen glaubte, hat uns dazu veranlasst, einen Anführer zu wählen, der den Weg des Widerstands geht.“

Damit dürfte auch ein von der chinesischen Regierung im Juli ausgehandelter Kompromiss zwischen der Hamas, der im Westjordanland regierenden Fatah-Bewegung und anderen Gruppen vom Tisch sein. Nach dem Abkommen von Peking gab es Hoffnung, dass sich Hamas und Fatah die Macht in einem Nachkriegs-Gaza teilen könnten.

Sinwar kam durch Schalit-Abkommen aus der Haft

Der 1962 in Chan Yunis geborene Sinwar wuchs wie viele Hamas-Funktionäre als Flüchtling auf. Seine Eltern stammen aus der Stadt Ashkelon, aus der die arabische Bevölkerung 1948 während des arabisch-israelischen Krieges vertrieben wurde. Schon als Jugendlicher schloss sich Sinwar strengreligiösen Gruppen an.

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Mit 20 Jahren wurde er erstmals von israelischen Behörden verhaftet. 1985 gründete er zusammen mit anderen Islamisten die al-Majd-Bewegung und ging brutal gegen angebliche israelische Informanten vor. Al-Majd war nach der Gründung der Hamas im Jahr 1987  für die Sicherheit der Funktionäre zuständig.

Sinwar wollte Israel „von der Landkarte löschen“

Nach einem Mord an einem Palästinenser, der verdächtigt wurde, mit Israel zu kollaborieren, wurde Sinwar zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Im Gefängnis lernte er fließend Hebräisch und setzte seine Suche nach Verrätern fort. Von israelischen Medien „Schlächter von Chan Yunis“ genannt wurde er von palästinensischen Hamas-Gegnern gefürchtet. Durch das so genannte Schalit-Abkommen kam er 2006 frei. Die Hamas hatte den israelischen Soldaten Gilad Schalit entführt und setzte unter anderem durch deutsche Vermittlungen einen Gefangenenaustausch durch. Sinwars Bruder hatte Schalit im Gaza-Streifen persönlich bewacht.

Jihia al-Sinwar gilt als strategischer Kopf hinter dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober. Sein Ziel ist klar: „Es geht nur noch darum, wann wir Israel von der Landkarte löschen.“

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl