Berlin. Es wäre ein Horrorszenario: ein Anschlag auf die Fußball-EM in Deutschland. Welche Gefahren die Behörden besonders im Blick haben.
Wenn am 14. Juni um 21 Uhr in München das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft zwischen Deutschland und Schottland angepfiffen wird, liegen nicht nur hinter den Spielern auf dem Rasen Wochen intensiver Vorbereitungen. Auch die deutschen Sicherheitskräfte haben sich schon lange vor Turnierstart mit allen Szenarien rund um das Fußballfest befasst.
Solche Großereignisse können immer zum Ziel von Extremisten und Terroristen werden. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost stellen die Behörden aber vor besondere Herausforderungen. Die Sicherheitsbehörden arbeiten seit Monaten besonders eng zusammen. Das gemeinsame Ziel: Einen Anschlag auf die EM zu verhindern.
Jede Woche schalten sich die wichtigsten Vertreter des Verfassungsschutzes, der Polizei und des Innenministeriums dafür zusammen. Sie gehen die aktuellen Meldungen durch, besprechen, wie die Lage bezüglich möglicher Anschläge aussieht. „Wir wappnen uns mit maximalem Einsatz der Sicherheitsbehörden gegenüber allen denkbaren Gefahren“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dieser Redaktion. „Unser Fokus reicht von der Bedrohung durch islamistischen Terror, über Hooligans und andere Gewalttäter bis hin zu Cyberangriffen und anderen Gefahren.“ Die Sicherheit der Fußball-EM in Deutschland habe „höchste Priorität“.
Fußball-EM: Kriege in Nahost und Ukraine verschärfen Sicherheitslage
Von einer „hohen abstrakten Gefährdungslage“ ist in Sicherheitskreisen die Rede, konkrete Hinweise auf mögliche Attentate liegen aktuell nicht vor. Die Lage ist weniger als einen Monat vor dem Beginn der Europameisterschaft in Deutschland aber angespannt. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost und ihre Auswirkungen auf die Bedrohungslage hierzulande beschäftigen die deutschen Sicherheitsbehörden ohnehin intensiv.
Wie sicher ist die EM? Buschmann fürchtet „Sabotageakte“
„Der russische Angriffskrieg und die Situation in Gaza verschärfen die Sicherheitslage auch bei uns“, sagte Justizminister Marco Buschmann in einem Interview mit dieser Redaktion. Die Konflikte könnten Extremisten veranlassen, während der EM die große Bühne zu suchen, heißt es bei den Sicherheitsbehörden.
Ein Angriff auf das Team der Ukraine wäre ein Horrorszenario
Schlimmste Erinnerungen gibt es an die Olympischen Spiele 1972 in München. Damals drangen Mitglieder einer palästinensischen Terrorgruppe in das Olympische Dorf ein und griffen die israelische Mannschaft an. Elf israelische Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf Terroristen starben.
Ein Horrorszenario wäre ein Angriff auf die ukrainische Mannschaft. Während das russische Team wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine von dem Wettbewerb ausgeschlossen war, qualifizierte sich die ukrainische Elf in einem Entscheidungsspiel gegen Island. Das fordert nun die deutschen Behörden.
Mannschaft der Ukraine schlägt Quartier in Hessen auf
Die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt haben Gefährdungsbewertungen für alle Teams erstellt. Die sind die Grundlage für „lageangepasste Schutzmaßnahmen“ während des Turniers. Faeser sprach unlängst davon, dass für die Mannschaft aus der Ukraine „noch höhere Sicherheitsvorkehrungen“ gelten als für die anderen Teams. „Wir werden alles tun, um auch das ukrainische Team und die Fans zu schützen.“
Die ukrainische Mannschaft schlägt ihr EM-Quartier im hessischen Taunusstein-Neuhof auf. Wer in dem Teamhotel anruft, um sich nach den Sicherheitsvorkehrungen zu erkundigen, wird freundlich abgewiesen. Zu heikel ist das Thema. „Sie können sich darauf verlassen, dass die hessischen Sicherheitsbehörden alles daransetzen, um eine sichere Unterbringung des Teams zu gewährleisten“, sagte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) dieser Redaktion. Zu Details äußert sich sein Ministerium nicht: „Aus einsatztaktischen Gründen und zum Schutz der ukrainischen Mannschaft können wir Ihnen leider keine Informationen zu Einsatzstärken der Polizei oder zu polizeilichen Maßnahmen geben.“
Europameisterschaft: Der IS ruft zu Anschlägen auf
Eine andere mögliche Bedrohung sehen die Sicherheitsbehörden in islamistischen Extremisten. Seit einigen Wochen macht intern ein Bild die Runde. Es wurde auf einer Propagandaseite des „Islamischen Staats“ (IS) gepostet und zeigt einen Mann von hinten, der in ein voll besetztes Stadion schaut. Daneben steht der Satz: „Dann schieße das letzte Tor“. Es ist ein unvermittelter Aufruf zu einem Anschlag.
Bedrohung durch Islamisten: Wie gefährlich der IS-Ableger „Khorasan“ in Deutschland ist
Solche Aufrufe werden regelmäßig auf IS-Seiten gepostet. Sie dienen nach Einschätzung von Experten einerseits der Einschüchterung. Schließlich werden 2,7 Millionen Menschen in die Stadien strömen, insgesamt zwölf Millionen werden auf den Fanmeilen erwartet. 22.000 Polizisten sind jeden Tag im Einsatz. Sie sollen alles im Blick behalten, wo es zu möglichen Eskalationen kommt, wer möglicherweise einen Anschlag begehen will – und wo verdächtige Gegenstände ins Stadion geschmuggelt werden sollen. „An allen Spielorten und überall, wo sich viele Menschen bewegen, wird die Polizei hohe Präsenz zeigen“, verspricht Faeser.
Islamistische Propaganda soll Einzeltäter ermutigen
Aber können die Sicherheitskräfte jeden schützen? Diesen Zweifel wollen die Islamisten säen. Zumal die Aufrufe auch den Zweck haben, radikalisierte Einzeltäter zu Gewalttaten zu animieren, da sind sich Experten sicher. In Sicherheitskreisen wird erinnert an Mitte Oktober letzten Jahres: Damals wurden in der belgischen Hauptstadt Brüssel vor dem EM-Qualifikationsspiel zwischen Belgien und Schweden zwei schwedische Fußballfans erschossen. In einem Bekennervideo bekannte sich der später von der Polizei erschossene Täter zum IS. Zuvor hatte es in Schweden immer wieder Koranverbrennungen gegeben, was als mögliches Motiv für die Tat gilt.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich die Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus nach Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden verschärft. Deutschland hatte sich fest an die Seite Israels gestellt. Rund um Weihnachten und Silvester gab es Warnungen vor möglichen Anschlägen mit islamistischem Hintergrund in Deutschland, passiert ist jedoch nichts.
Innenministerin Faeser: „Wir sind sehr wachsam und gut vorbereitet“
Die Austragungsorte der Europameisterschaft sind Berlin, München, Hamburg, Leipzig, Stuttgart, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Köln, Gelsenkirchen und Dortmund. Sollte es Hinweise auf mögliche Bedrohungen geben, stehen die Sicherheitsbehörden immer vor einer Frage der Abwägung: Nicht bei jedem Gewalt-Aufruf kann gleich die EM abgesagt werden – andererseits nehme man solche Hinweise schon sehr ernst, heißt es intern. Die Entscheidung, ob ein Spiel aus Sicherheitserwägungen nicht angepfiffen wird, hängt immer vom jeweiligen Innenminister des Bundeslandes ab, wo die Partie stattfindet. Die Behörden um den Verfassungsschutz und die Polizei geben dann jeweils eine Empfehlung ab.
Während der EM wird die Bundespolizei an allen deutschen Grenzen kontrollieren, die Beamten sollen außerdem die Flughäfen und den Bahnverkehr schützen. „Wir sind sehr wachsam und gut vorbereitet“, sagte Faeser. „Unser ganzes Land kann sich auf ein großes Fußballfest mit Millionen Fans aus ganz Europa freuen“, zeigt sich die Innenministerin überzeugt.
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