Berlin. Das Klimaschutzprogramm habe dem Urteil nach „methodische Mängel“ und basiere auf „unrealistischen Annahmen“. Die Ampel ist blamiert.
Jürgen Resch ist die Begeisterung noch am Tag danach anzuhören: „Wir sind hin und weg von diesem Urteil“, schwärmt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) am Telefon. Das Urteil, das er meint, kommt vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG). Es ist nach einer Entscheidung aus dem November eine erneute klimapolitische Niederlage der Bundesregierung vor diesem Gericht.
In der Sache ging es um das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, das diese im Oktober 2023 beschlossen hatte. Dazu gehörten unter anderem das Heizungsgesetz, das 49-Euro-Ticket und eine CO₂-abhängige LKW-Maut. Schon damals hatte Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) eingeräumt, dass zwischen dem, was sich nach Ansicht der Bundesregierung mit den kombinierten Maßnahmen des Programms erreichen lässt, und den Klimazielen für 2030 eine erhebliche Lücke bleibt: insgesamt 200 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten.
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Auch das Oberverwaltungsgericht befand jetzt: Das Programm reicht nicht aus – und verurteilte die Bundesregierung dazu, nachzulegen. Bis auf die Landwirtschaft, so die Ansicht des Gerichts, würden die Sektorziele im Klimaschutzgesetz mit diesem Maßnahmenpaket nicht eingehalten, auch nicht die Klimaziele insgesamt. Die Kritik des Senats war scharf: Das Programm, hieß es, leide unter „methodischen Mängeln“ und beruhe „teilweise auf unrealistischen Annahmen“.
Klimaschutz-Urteil: Ministerien sortieren noch die Folgen
Bei der Umwelthilfe, die die Klage gemeinsam mit drei Privatpersonen angestrengt hatte, ist man mit diesem Ergebnis sehr zufrieden. „Das ist in der Bedeutung auf Augenhöhe mit dem Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021“, sagte Resch dieser Redaktion. Das Karlsruher Urteil hatte damals den Verfassungsrang von Klimaschutz herausgestrichen und die zu diesem Zeitpunkt noch schwarz-rote Regierung gezwungen, ein ehrgeizigeres Gesetz vorzulegen.
Das jetzige Urteil mache klar, „dass man nicht einfach in ein Klimaschutzprogramm schreiben kann ‚wir machen mehr Werbung für die Bahn‘ und dann schreibt man eine Zahl von Tonnen CO₂-Äquivalenten daneben, die damit angeblich eingespart werden“, führte Resch aus. „Das Gericht war sehr deutlich: Die Maßnahmen zum Klimaschutz müssen konkret sein, sie müssen belastbar sein, sie müssen messbar sein.“
Daran würde laut Resch auch die Änderung des Klimaschutzgesetzes wenig ändern, die am Freitag den Bundesrat passiert hat. Die neue Fassung des Gesetzes lockert zwar die Vorgaben für die einzelnen Sektoren, nicht aber die übergreifenden Klimaziele. Am Freitag waren die zuständigen Ministerien damit beschäftigt zu sortieren, was dieses Urteil für die Regierung nun genau heißt, und welche Wechselwirkungen es mit dem überarbeiteten Klimaschutzgesetz möglicherweise gibt.
Ampel-Koalition: Ob die Regierung in Revision geht, ist offen
In der Ampel-Koalition sieht man in dem Urteil „ein Signal, dass die Bundesregierung ihren Klimaschutz-Kurs beibehalten und weiter ausbauen muss“, wie ein Sprecher des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sagte. Man habe immer transparent gemacht, dass das Maßnahmenpaket aus 2023 nicht ausreichen kann. Das habe das Gericht jetzt bestätigt und der Regierung den Auftrag gegeben, nachzusteuern. Das Ministerium verweist aber auch auf den vor wenigen Wochen vorgestellten Projektionsbericht für 2024, der zeige, „dass wir diese Lücke nahezu ganz schließen können“.
Tatsächlich sieht der Bericht des Umweltbundesamts aus diesem Jahr das Erreichen der notwendigen Emissionseinsparungen deutlich näher als noch der Bericht aus dem Jahr davor. Allerdings wurde in der Projektion nicht berücksichtigt, dass wegen der Haushaltskrise jetzt viele Gelder aus dem Klima- und Transformationsfonds, die in Klimaschutzprojekte fließen sollten, wegfallen.
Nach Angaben des Gerichts hat die Regierung nach Zustellung des vollständigen Urteils einen Monat Zeit, um in Revision zu gehen. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Zug. Nachdem das OVG die Bundesregierung schon im vergangenen November angehalten hatte, Sofortprogramme für mehr Klimaschutz im Gebäudesektor und im Verkehr aufzusetzen, war man gegen diese Entscheidung in Revision gegangen.
SPD-Fraktionsvize sieht weitere Gründe für engagierteren Klimaschutz
Ob die Ampel-Regierung das auch dieses Mal tun wird, ist noch offen. Aus dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium (das bei einer Nachsteuerung den größten Teil der Arbeit leisten müsste) hieß es, man werde das Urteil zunächst prüfen. Eine Revision könnte schon deshalb von Interesse sein, weil damit grundsätzlich geklärt werden könnte, welche Anforderungen Klimaschutzprogramme erfüllen müssten, um vor Gericht Bestand zu haben, verlautete aus Regierungskreisen.
Matthias Miersch, stellvertretender Fraktionschef der SPD-Fraktion im Bundestag, hob hervor, dass es auch jenseits der juristischen Auseinandersetzung Gründe gibt, sich um mehr und effektiveren Klimaschutz zu bemühen. Das neue „ergänzt das alte Klimaschutzgesetz noch um die europäischen Regeln, die massive Strafzahlungen vorsehen, wenn bestimmte Sektoren ihre Ziele verfehlen“, sagte Miersch auf Anfrage. „Deshalb ist die Bundesregierung gehalten, unabhängig von der Rechtskraft der Entscheidungen, vor allem im Mobilitätsbereich weitere Anstrengungen zu unternehmen.“
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