Berlin. Die AfD darf nun offiziell als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden. Was das für Partei und Verfassungsschutz heißt.
Auf dieses Gerichtsurteil aus Münster hat der Verfassungsschutz gewartet: Der Inlandsgeheimdienst darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen. Damit könnte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bald schärfere Schritte gegen die Partei einleiten und die AfD möglicherweise als gesichert extremistische Bestrebung einordnen. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hat bereits vor einer Weile klargemacht, wohin die Partei aus seiner Sicht steuert: „nach rechts außen“.
AfD-Prozess: Worum ging es vor Gericht?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte die AfD und ihre Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Dagegen wehrte sich die Partei juristisch. Das Verwaltungsgericht Köln, das BfV hat dort seinen Sitz, wies eine Klage der AfD dagegen 2022 ab. Seitdem hat sich die Partei Beobachtern zufolge noch einmal deutlich radikalisiert.
Es gebe ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD, hieß es vor zwei Jahren bereits in Köln vor Gericht zur Begründung, dem Verfassungsschutz recht zu geben. Die AfD trug den Rechtsstreit vor das Oberverwaltungsgericht Münster. Die Richter dort gaben dem Verfassungsschutz nun abermals recht. Auch die Beobachtung des sogenannten „Flügel“ als zunächst Verdachtsfall und dann erwiesen extremistische Bewegung ist laut Urteil rechtmäßig.
Wie begründet das OVG Münster das Urteil?
In der Urteilsbegründung macht das Gericht deutlich, dass es die Einstufung durch den Verfassungsschutz für gerechtfertigt hält. Sowohl bei AfD als auch JA und „Flügel“ stellte das Gericht fest, dass es dort Bestrebungen gebe, insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund zu diskriminieren.
Es lägen „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind“, heißt es zur Einstufung der Gesamtpartei. Auch gegenüber Menschen islamischen Glaubens stellte das Gericht Diskriminierungsbestrebungen fest. Außerdem gibt es nach Auffassung der Richter „Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen“, allerdings in geringerem Ausmaß als vom BfV vorgetragen.
Was bedeutet das Urteil für den Umgang des Verfassungsschutzes mit der AfD?
Zumindest erst einmal ändert sich im Umgang des Verfassungsschutzes mit der AfD nichts. Bereits seit dem Kölner Urteil dürfen die Verfassungsschützer die AfD und ihre Protagonisten mit den Mitteln eines Geheimdienstes ins Visier nehmen: Der Verfassungsschutz darf also AfD-Vertreter observieren oder als Informanten (V-Leute) anwerben, um Beweise für eine extremistische Ausrichtung zu sammeln.
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Bei diesen Maßnahmen ist immer die Verhältnismäßigkeit zu wahren, es handelt sich stets um Einzelfallentscheidungen. Außerdem darf das Bundesamt unter strengen Vorgaben Telefonate überwachen oder E-Mails lesen. Dafür muss es allerdings Anhaltspunkte für schwerwiegende Straftaten wie Hochverrat oder die Bildung einer terroristischen Vereinigung geben. Das Münsteraner Urteil dürfte dennoch Folgen für die AfD haben.
Welche Schritte plant der Verfassungsschutz?
Der Verfassungsschutz wird nun das schriftliche Urteil abwarten, das dürfte in einigen Wochen vorliegen. Erwartet wird, dass die Behörde von Haldenwang dann in absehbarer Zeit ein neues Gutachten zur Einschätzung der Partei vorlegt. Aufgrund öffentlicher Äußerungen von Haldenwang muss die AfD damit rechnen, vom Verfassungsschutz dann als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft zu werden. Damit kann der Nachrichtendienst den Umgang mit der AfD verschärfen.
Wieso kann der Verfassungsschutz dann härter gegen die AfD vorgehen?
Die Einstufung als gesichert rechtsextrem würde die AfD der gefährlichsten Kategorie der verfassungsfeindlichen Bestrebungen zuordnen. Die zur Beobachtung der Partei bereits erlaubten Mittel ändern sich durch eine höhere Einstufung zwar nicht, die Hürden für ihren Einsatz werden aber gesenkt. Wenn eine Partei als gesichert rechtsextrem gilt, ist die Verhältnismäßigkeit eher gegeben. Die Werkzeuge bleiben also die gleichen, sie werden nur möglicherweise verstärkt eingesetzt.
Partei | Alternative für Deutschland (AfD) |
Gründung | 6. Februar 2013 |
Ideologie | Rechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis |
Vorsitzende | Tino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Jörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke |
Auch für Parteimitglieder, die im öffentlichen Dienst tätig sind, könnte eine solche Einstufung Folgen haben. Wer sich eine rechtsextreme Gesinnung vorwerfen lassen muss, etwa weil er sich aktiv bei einer gesichert rechtsextremen Partei engagiert, könnte als ungeeignet für den Dienst eingeschätzt werden. Seit April gilt außerdem ein neues Gesetz, welches es vereinfacht, Bundesbeamte zu entlassen, die Teil verfassungsfeindlicher Organisationen sind. Auch das Ruhegehalt von Ex-Bundesbeamten kann gestrichen werden.
Was heißt das für die Parteienfinanzierung und ein mögliches Parteiverbotsverfahren?
Zu Jahresbeginn urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die rechtsextreme Partei Die Heimat (ehemals NPD) für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden kann. Danach forderte etwa Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD), Konsequenzen für die AfD zu prüfen. Die Parteienfinanzierung brachte der AfD 2022 fast 10,5 Millionen Euro ein. Ein Ausschluss ist nur möglich, wenn die Partei tatsächlich verfassungsfeindlich ist.
Diskutiert wird zudem ein Verbotsverfahren, das Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung beantragen können. Bisher will keines der Verfassungsorgane diesen Schritt gehen. Möglicherweise wäre eine Einstufung als gesichert rechtsextrem der entscheidende Anstoß. Doch an den zentralen Kritikpunkten eines Verbotsverfahrens hat sich nichts geändert: Das Verfahren ist langwierig und selbst wenn es erfolgreich ist, verschwinden die Wähler der Partei nicht einfach.
Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) sieht das Urteil nicht als Vorboten eines Verbotsverfahrens. „Ein solches sollte man nur anstrengen, wenn man sich sehr sicher sein kann, dass es auch erfolgreich wäre. Am wichtigsten und überzeugendsten bleibt es, wenn es uns als Demokraten gelingt, rechtspopulistische Parteien politisch zu bekämpfen und mit Argumenten zu entlarven. Das sollte der Anspruch der seriösen Demokraten bleiben“, sagte Buschmann dieser Redaktion. Dennoch zeige das Urteil, dass der Rechtsstaat über die Mittel verfüge, sich gegen Parteien zu wehren, die die Verfassung mindestens in Teilen ablehnen.
Was sind die politischen Folgen für die AfD?
Theoretisch könnte eine neue Einstufung durch den Verfassungsschutz abschreckend auf Wähler wirken, schließlich müssten sie sich vorwerfen lassen, eine gesichert rechtsextreme Partei zu unterstützen. Immerhin stehen in diesem Jahr zahlreiche Wahlen an, von der Kommunalebene bis zum Europaparlament. Im September wählen Thüringen, Brandenburg und Sachsen ihren jeweiligen Landtag. Allerdings: In Thüringen und Sachsen sind die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits als gesichert rechtsextrem eingestuft, ihrer Popularität tut das keinen Abbruch.
„Inzwischen verwenden Junge Alternative und AfD die gemeinsame Strategie, den Verfassungsschutz zu delegitimieren und sich als Opfer zu inszenieren“, sagte die Parteienforscherin Anna-Sophie Heinze von der Universität Trier. „Durch eine Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem wird es vermutlich keine Veränderung im Wählerverhalten geben“, analysierte auch Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel. „Es mag zwar Menschen geben, die sich davon abschrecken lassen, es gibt aber auch solche, die das als Adelung verstehen.“
Kann sich die AfD noch gegen das Urteil wehren?
Der juristische Weg ist noch nicht zu Ende. Das haben die AfD-Vertreter auch während der Verhandlungen in Münster klargemacht. Aber: Das Oberverwaltungsgericht ist die letzte Tatsacheninstanz. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als mögliche nächste und letzte Instanz nimmt nur noch eine reine Rechtskontrolle vor. Die Aufklärung des Sachverhalts durch ein Gericht sowie Beweisanträge durch die AfD oder das Bundesamt für Verfassungsschutz sind nur bis zum OVG möglich.
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