Essen. „Die Interessen unseres Landes und unsere Werte sind nicht immer deckungsgleich“, sagt Unionsfraktionschef Volker Kauder. Sein Parteifreund Ruprecht Polenz (CDU) fordert wie der SPD-Chef Sigmar Gabriel „mehr Transparenz“, das Parlament müsse frühzeitig erfahren, welche todbringenden Produkte aus deutscher Fertigung in welches Land verkauft werden.

Der „Leopard“ hat auf das saudische Königshaus schon länger eine Faszination ausgeübt. Bereits vor 22 Jahren äußerten die Saudis gegenüber der Regierung von Kanzler Helmut Schmidt (SPD) die ersten Absichten, den Panzer kaufen zu wollen. Damals scheiterte das Geschäft noch am Veto Israels und den Grundsätzen deutscher Außen- und Rüstungspolitik. Keine Waffen für die Feinde Israels.

Heute hat sich die geopolitische Lage verändert. Eine Voranfrage über den Kauf von 270 „Leopard2“-Panzern aus Saudi-Arabien hat der Bundessicherheitsrat positiv beschieden.

Das islamistische Regime in Riad macht sich zwar Menschenrechtsverletzungen schuldig und mag immer noch judenfeindlich sein, es ist aber auch der einzige große Gegenspieler der Region zum Iran. Und Teherans Regierung hat mehrfach betont, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen. „Die Interessen unseres Landes und unsere Werte sind nicht immer deckungsgleich“, formulierte Volker Kauder, Fraktionschef der Union im Bundestag, jüngst in einem Welt-Interview das Dilemma.

Opposition fordert Tranzparenz, Gabriel lehnt Exporte in Diktaturen ab

Für Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ist es die neue Außenpolitik: „Ertüchtigung statt Einmischung“. So lautet die Devise, die auch Kanzlerin Merkel vertritt. Lieber Partnerländer in Krisenregionen mit Waffen ausstatten, als selbst deutsche Soldaten hinschicken. Eine Konsequenz aus dem Langzeit-Einsatz in Afghanistan. „Würden Rüstungsexporte zu einem Pfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik werden, wäre dies eine neue Dimension“, sagt Jan Grebe, Rüstungsexperte vom Bonner International Center for Conversion (BICC).

SPD-Chef Sigmar Gabriel lehnt Waffenexporte „an Diktaturen wie Saudi-Arabien“ entschieden ab. „Wir müssen zurück zu unserer ­alten Linie: Keine Waffen in Krisengebiete“, sagte er jetzt dem „Spiegel“. Er sei „nicht stolz darauf, dass Deutschland einer der größten Waffenexporteure der Welt ist.“ Fordert deshalb, dass nach jeder Zusage des Bundessicherheitsrats zu einer ­Rüstungslieferung der Bundestag informiert werden müsse.

Auch andere Oppositionspolitiker stört, dass der Bundessicherheitsrat solche Geschäfte im Geheimen genehmigt. Das Parlament erfährt davon im Zweifel erst ein Jahr danach aus dem Rüstungsexportbericht – wenn Entscheidungen nicht mehr revidierbar sind. Grünen- Verteidigungspolitikerin Katja Keul verlangt eine parlamentarische Beteiligung bei Waffenexporten. „Wir wollen die freiwilligen Grundsätze der Bundesregierung im Hinblick auf Menschenrechte und Spannungsgebiete endlich verbindlich in Gesetzesform beschließen.“

Unionspolitiker kann sich ein „Rückrufrecht“ vorstellen

Selbst innerhalb der Union wird die bisherige Praxis in Frage gestellt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), forderte jüngst „mehr Transparenz“, das Parlament müsse stärker einbezogen werden. Parteifreund Roderich Kiesewetter brachte via Twitter einen Denkanstoß in Umlauf: Bei strittigen Waffenlieferungen in Krisenregionen sollte ein Unterausschuss des Parlaments ein „Rückrufrecht“ erhalten, um Entscheidungen des Bundessicherheitsrats zu revidieren.

„Sollen Kaufverträge demnächst nur auf Basis des Widerrufsrechts des Parlaments unterschrieben werden? Das macht doch niemand“, meint Martin Lindner, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP. Kiesewetter warf er im Gespräch mit dieser Zeitung „reinen Populismus vor“. Über eine regelmäßigere Information des Parlaments zu Entscheidungen des Bundessicherheitsrats könne man diskutieren, mehr aber nicht: „Das sind Entscheidungen der Exekutive. So ist Gewaltenteilung.“

Rüstungsexporte sieht Lindner auch als Mittel, Einfluss zu nehmen, etwa auf die Situation der Menschenrechte in Saudi-Arabien: „Bisher sind wir aufgrund unseres Rohstoffbedarfs eher von den Saudis abhängig als umgekehrt. Durch diese Exporte würde man wechselseitige Abhängigkeiten schaffen“. Nur wer auf dem Spielfeld stehe, so Lindner, könne mitbestimmen.

„Herr Lindner glaubt doch selbst nicht, dass Deutschland sich durch Waffenexporte langfristigen Einfluss auf die saudische Regierung sichern könnte“, sagt Jan van Aken, Rüstungsexperte der Linken. Ein Ministerwechsel könne genügen und schon fährt das Land wieder einen anti-israelischen Kurs. Dann aber mit deutschen Waffen.

Sturmgewehre geraten als erste in die falschen Hände

Der frühere UN-Biowaffen-Inspektor kämpft im Bundestag für strengere Waffenexportregeln. „Vor drei Jahren hat das kaum jemanden interessiert. Jetzt reden sogar FDP und CDU über mögliche Änderungen“, sagt er. Langfristig will er durchsetzen, deutschen Unternehmen den Bau von Rüstungsfabriken im Ausland zu verbieten. Derzeit plant Rheinmetall in Algerien einen Produktionsstandort für „Fuchs“Rad-Panzer.

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Aus Sicht van Akens sollte Deutschland auch keine Kleinwaffen mehr exportieren dürfen. Zwar ist ihr Anteil von 30 bis 70 Millionen bei Exportgenehmigungen von insgesamt fünf Milliarden Euro gering, doch die Masse macht’s. „Ein Sturmgewehr kostet etwa 1000 Euro. Das sind die ersten Waffen, die in falsche Hände geraten.“

Zuletzt schossen Taliban in ­Afghanistan mit deutschen ­Gewehren auf deutsche Soldaten.